Druckartikel: Atemberaubend und ausgefeilt

Atemberaubend und ausgefeilt


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Dienstag, 02. Januar 2018

"Breakin' Mozart" : Eine Show in 17 Nummern, die es in sich hat: Mozarts Sichtweisen und Spielarten der Liebe, hinübergetragen ins 21. Jahrhundert.
Dancefloor Destruction Crew mit  "Breakin' Mozart" im Bad Kissinger Kurtheater. Gerhild Ahnert


Man wird den Gedanken nicht mehr los: Wenn man es recht bedenkt, dann ist der Breakdance als Kulturform ein Erbe der "Westside Story", sozusagen "Tonys Vermächtnis", der als Hoffnungsträger und Mitglied der New Yorker Straßengang der Jets von Chino von den verfeindeten Sharks erschossen wird. Immerhin hat das Musical ein relatives Happy End: Jes und Sharks tragen dem Getöteten gemeinsam zu Grabe. Das könnte die Geburtsstunde des Breakdance gewesen sein und war es in gewisser Weise auch, wenn man davon absieht, dass zwischen der Uraufführung von Leonard Bernsteins Musical 1957 und der "ersten urkundlichen Erwähnung" des Breakdance 1969 - damals hieß er noch B-Boying - absieht (erste organisierte Tanzformationen entstanden 1976). Natürlich entwickelte sich auch diese Tanzform in der sozial und kriminell explosiven Gemengelage der New Yorker Slums. Aber für die jungen Leute war der Tanz zur imponierenden Gebärde geworden. Sie hauten sich nicht mehr auf die Köpfe, sondern sie tanzten auf ihnen. Sie reagierten sich gewaltfrei ab: Wer auf dem Kopf tanzt, tut sich schwer, Prügel auszuteilen oder zu schießen.

Der Breakdance mit seinen mittlerweile zahlreichen stilistischen Verästelungen ist zu dem wohl originellsten, wichtigsten Beitrag des ausgehenden 20. Jahrhunderts zur Jugendkultur geworden - was man von der Musik mit ihren Retro-Tendenzen nicht ungeschmälert sagen kann. Und man kann feststellen, dass er bei seinem Publikum angekommen ist. Das "Ausverkauft"-Schild an der Kasse des Kurtheaters sprach eine deutliche Sprache. Und im Zuschauerraum war das Durchschnittsalter auf die Hälfte heruntergekracht.
Das lag aber auch am Angebot. Man darf nicht dem Irrtum unterliegen, dass die DDC, die "Dancefloor Destruction Crew", eine provinzielle Angelegenheit sei, nur weil sie aus dem benachbarten Schweinfurt kommt, wo die Provinz bekanntlich noch nicht zu Ende ist. Der Firmensitz ist wohl eher zufällig. Nein, das ist eine hochprofessionelle Truppe, die sich in einem hart umkämpften Feld immerhin schon zwei Weltmeistertitel ertanzt hat. Wer jetzt ihre Produktion "Breakin' Mozart" erlebt hat, versteht, warum.

Der Berliner Dirigent, Pianist und Opernregisseur Christoph Hagel hat zusammen mit den Tänzern Marcel Geißler, Alexander Pollner und Gregory Strischewsky (sie entwickelten auch die Choreographien) sowie Raphael Götz, Michael Lamprecht und Krzysztof Malicki sowie den beiden Tänzerinnen Tessa Achtermann und Felice Aguilar eine Show in 17 Nummern auf die Bühne gestellt, die es in sich hat: Mozarts Sichtweisen und Spielarten der Liebe, hinübergetragen ins 21. Jahrhundert - der natürlich fast immer irgendwie mitmischte. Das ist schon deshalb ein dankbares Thema, weil es so viel Stoff gibt, entweder als originale Klaviersonaten oder Variationen - die Christoph Hagel am Flügel im Hintergrund der Bühne spielte, oder als Arrangements von Ouvertüren, Sinfonien oder dem Requiem, elektronisch verfremdet und raffiniert auf Vordermann und Zeitgeist gebracht, die zugespielt wurden.
Das eigentliche Phänomen war allerdings die Umsetzung der Musik in erzählende Handlung und Tanz. Da zeigte sich sehr schnell: Der Breakdance ist wesentlich näher am Leben dran als das abstraktere moderne Ballett - vom klassischen Ballett wie zuletzt in "Schwanensee" gar nicht zu reden. Und er braucht nicht nur enorme Kraft, die möglichst unsichtbar eingesetzt wird, sondern auch erheblichen Mut. Klar, wer auf dem Kopf tanzen kann, kann nicht mehr drauffallen (Headspin nennt man dieses Rotieren auf dem Kopf). Aber es sind extrem gewagte Sprünge, Salti in alle Richtungen ohne Netz und doppelten Boden, Wurf- und Hebefiguren, die den Atem stocken lassen, Menschenpyramiden, bei denen man sich fragt, wie sie physikalisch und athletisch überhaupt möglich sind.
Dabei mischen sich bei der Truppe der DDC die Tanzelemente und Stile, sie bietet von allem etwas: Top Rocking (das Tanzen im Stehen), Footworks, Freezes (das Einfrieren von spektakulären Positionen, Powermoves (das berühmte Rotieren auf einer Stelle des Körpers oder um eine innere Achse - also auch der Headspin), Electric Boogie, Popping oder Locking, dessen wilde Gestik die Tannzenden als mechanische Puppen oder Marionetten erscheinen lässt , das sind Begriffe, die man nicht kennen muss, um den Auftritt zu genießen. Aber sie zeigen, dass die DDCler nichts auslassen, dass sie für alles mindestens einen Spezialisten haben - außer für Felice Aguilars atemberaubende Equilibristiknummer auf einer Drehscheibe.

Wobei das alles nur Mittel zum Zweck ist. Denn es geht darum, mit einem Augenzwinkern und viel getanztem Humor Mozarts mehr oder weniger erfolgreiche Liebesbeziehungen auf die Bühne zu bringen, zu zeigen oder zu konterkarieren. "Einer zuviel" zu der Figaro-Ouvertüre und einer Bearbeitung des "Confutatis" aus dem Requiem, "Paartherapie" zu "La ci darem la mano", "Lach doch mal" zu den Variationen über "Ah, vous dirai-je, maman", "Rache" zu - natürlich - "Der Hölle Rache" der Königin der Nacht: Es gab viel zu lachen in den 17 choreographisch ausgefeilten Szenen. Aber noch mehr zu staunen.