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Asylpodium der Saale-Zeitung: Chancen durch Krise


Autor: Benedikt Borst

Bad Kissingen, Donnerstag, 22. Oktober 2015

Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft haben im Jukuz Bad Kissingen über Auswirkungen der Asylkrise diskutiert. Die Ukrainerin Anastasiia Galanzovska berichtete über Hürden deutscher Bürokratie.
Anastasiia Galanzovska (links) und Laboklin-Chefin Elisabeth Müller im Gespräch mit Ralf Ruppert. Foto: Benedikt Borst


1200 Asylbewerber leben im Landkreis, nächstes Jahr könnten 1900 weitere dazukommen. Wie wirkt sich das aus, ist der starke Zuzug eine Chance für die Region? Immer wieder drehte sich am Mittwochabend eine Podiumsdiskussion zum Thema Asyl im Jukuz um diese Frage. Auf der vom DGB-Kreisverband und der Saale-Zeitung organisierten Veranstaltung versuchten Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung Antworten zu geben.

Der Grundtenor war dabei trotz großer anstehender Herausforderungen im Hinblick auf Unterbringung und Integration positiv. "In Jeder Krise steckt eine Chance", sagte Stefan Seufert, Asylkoordinator des Landratsamtes. Vor allem um die Folgen sinkender Einwohnerzahlen im Landkreis abzufedern: Egal ob leerstehende Häuser, schwindende Mitgliederzahlen in Vereinen oder drohende Schulschließungen wegen leerer Klassenzimmer. "Mein Eindruck ist, dass so mancher Bürgermeister ganz froh ist", meinte Seufert.

"Die Wirtschaft sieht Flüchtlinge als Chance", pflichtete Bernd Clemens, Fachkräfteberater der IHK-Mainfranken bei. Gerade Mangelberufe wie die Gastronomie haben in der Region schon jetzt Probleme, Fach- und Nachwuchskräfte zu finden und hoffen auf die Asylbewerber. Wichtigste Hürde ist das Lernen der deutschen Sprache. "Ohne Deutsch geht es nicht, aber vielleicht in kleineren Schritten", sagte Clemens. Asylbewerber könnten in praxisnahen Berufen wie Koch und Mauerer Fuß auf dem Arbeitsmarkt fassen und sich später weiterqualifizieren.


Ausbildung geht immer

Der Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Bad Kissingen Marco Beier ging darauf ein, welchen Zugang Geflüchtete auf den Arbeitsmarkt haben. In den ersten drei Monaten herrsche ein striktes Arbeitsverbot: "Am Anfang geht's um Wohnung, Verpflegung und andere grundlegende Dinge, da ist der Arbeitsmarkt auch weit weg." Danach sei bis zum 15. Aufenthaltsmonat eine Beschäftigung nur dann möglich, wenn geprüft wurde, dass es für die Stelle keine inländischen Bewerber gibt und der Job angemessen bezahlt wird. Lediglich Ausbildungsplätze würden frei vergeben. Diese Prüfung fällt ab dem 16. Monat weg, aber die Ausländerbehörde muss trotzdem noch zustimmen. Ausnahmen gebe es nur für besonders qualifizierte Flüchtlinge oder ausgewählte Mangelberufe.

Beier stellte klar, dass es auf dem deutschen Arbeitsmarkt rund 15 Prozent einfache Helfertätigkeit gibt. Er sprach sich deshalb für mehr Qualifikation zu Fachkräften anstelle von kurzfristigen Beschäftigungen in einfachen Tätigkeiten aus.

Es wurde aber nicht nur über, sondern auch mit Asylbewerbern geredet. Anastasiia Galanzovska arbeitet hart, um sich ein neues Leben in Bad Kissingen aufzubauen. Die Ukrainerin war wegen der politischen Lage in ihrer Heimat geflohen, wohnt in der Gemeinschaftsunterkunft in Ebenhausen und hat jetzt eine Ausbildung bei der Bad Kissinger Firma Laboklin begonnen.


Residenzpflicht bereitet Probleme

Die Ausbildung verlangt ihr viel Kraft ab: Sie steht um 4.30 Uhr auf, fährt mit dem Zug nach Bad Kissingen, läuft quer durch die Stadt an ihren Arbeitsplatz, kommt abends gegen 19 Uhr nach Hause und paukt dann in der lauten Atmosphäre des Asylbewerberheims Deutsch. "Ich würde gern umziehen, weil ich viel pendeln muss. Das ist aber schwierig", erzählt Galanzovska. Sie würde über Laboklin-Chefin Elisabeth Müller sogar eine Wohnung bekommen, aber der entsprechende Auszugsantrag wurde von der Regierung von Unterfranken nach sieben Wochen noch nicht entschieden. "Der Antrag ist gestellt und liegt auf Halde. Das haben wir uns leichter vorgestellt", bestätigt auch Müller.


Lebhafte Diskussion

Vor gut einem Jahr war die Lage noch ganz anders: In der Großen Kreisstadt gab es im Herbst 2014 noch keine Asylunterkunft, im Landkreis lebten wenige hundert geflüchtete Menschen. Jetzt sind es 1200 Asylsuchende, wobei Bad Kissingen mit rund 40 Prozent den größten Anteil beherbergt. "Ich denke, dass wir auf dem richtigen Weg sind", kommentierte Bürgermeister Thomas Leiner (CSU) die Entwicklung. Er äußerte sich zuversichtlich, dass die Integration gelingen werde. Die Stadt sei etwa mit den Helferkreisen aber auch mit dem Integrationsbeirat gut aufgestellt. "Wir sind sehr viel weiter als in den 1990er Jahren mit den Russlanddeutschen. Was heute an Integrationsarbeit vor Ort geleistet wird, hat es damals nicht gegeben", meinte er.


Lage in der Notunterkunft

Das Podium wurde von der stellvertretenden DGB-Kreisvorsitzenden Victoria May und Redakteur Ralf Ruppert moderiert. Neben Fachvorträgen zum Thema Asyl und der Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt, stellten sich die Diskussionsteilnehmer den Fragen der Moderatoren und denen der rund 80 anwesenden Zuhörer. Ein Thema war die Lage der mehr als 300 Bewohner in der Notunterkunft in einer alten Wäschefabrik in der Röntgenstraße. 20 Asylsuchende sind vor wenigen Wochen vor das Landratsamt gezogen, um dort ihre Anliegen vorzutragen. Eine Zuhörerin kritisierte, dass die Demo für die Akzeptanz der Asylbewerber in der Bevölkerung nicht gut gewesen sei. Der Asylkoordinator des Landratsamtes Stefan Seufert entgegnete, dass es keine echte Demo wegen der Unterkunft war. Es lagen überwiegend persönliche Beweggründe vor. Ein Familienvater wurde beispielsweise auf der Flucht von seiner Familie getrennt. Die Frau ist in Stuttgart untergekommen, das Kind zwischenzeitlich gestorben. "Der Mann wollte verständlicherweise nach Stuttgart fahren", erklärte Seufert. Oliver Plume (Die Linke) war Zeuge des Vorfalls und pflichtete Seufert bei. Die Bewohner der Notunterkunft seien weder aggressiv noch fordernd, sondern den Umständen entsprechend zufrieden. Landrat Thomas Bold (CSU) betonte, dass immer ein Mitarbeiter des Landratsamtes in der Unterkunft sei, so dass schnell auf Schwierigkeiten reagiert werden kann.


Gewerkschaft kritisiert CSU

Beim Thema Asyl blieb es nicht aus, dass die große Politik im Bad Kissinger Jukuz angesprochen wurde. Der DGB-Kreisvorsitzende Gerhard Klamet äußerte etwa die Befürchtung, dass Arbeitgeber die Asylsuchenden als Billig-Arbeitskräfte missbrauchen könnten. Außerdem warf er der CSU vor, Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Landrat Thomas Bold (CSU) nannte die Kritik plakativ und wies auf Bayerns führende Rolle in der Asylkrise hin. "Bayern hat unheimlich viel geleistet, das muss man auch anerkennen", sagte er. Das betrifft sowohl die Zahl der Flüchtlinge, die hier ankommen und aufgenommen werden, als auch die Gelder, mit denen der Freistaat den Kommunen beisteht. Für grundsätzliche Lösungen sieht er den Bund und die EU in der Pflicht. Bold: "Unsere Aufgabe ist es, die Probleme hier zu lösen."


Stimmen aus dem Publikum

Ewald Kiesel: Der Rentner vermietet ein Haus an den Landkreis als dezentrale Flüchtlingsunterkunft und kümmert sich um die Familien, die dort untergebracht wurden. "Ein Anfangsproblem war die Mülltrennung, das haben wir aber gut hinbekommen", berichtet er. Kiesel bringt die Asylbewerber zu Arztterminen und hilft bei Behördengängen, einem jungen Syrer hat er einen Job bei einer Baufirma verschafft. "Ich bin jeden Tag mit den Leuten beschäftigt und die sind glücklich und froh, dass sie hier sind." Er hat gelernt, mit kulturellen Unterschieden umzugehen. "Ich habe mich immer gewundert, warum die Frauen mir nicht die Hand geben. Ich akzeptiere das aber und begrüße sie mit einer Verbeugung."

Karin Reinshagen: "Das Thema Asyl beschäftigt mich sehr", sagt die SPD-Stadträtin. Sie plädiert dafür, jede Parteipolitik in Sachen Asyl außen vor zu lassen. Es gehe darum, die Probleme zu bewältigen und den hier ankommenden Menschen zu helfen. Deshalb engagiert sie sich auch stark im Flüchtlingshelferkreis in Garitz. "Ich kann für meinen Stadtteil sagen, dass alle toll zusammenhalten", berichtet die und Integrationsbeauftragte des Stadtrates. "Von den Helferkreisen wird viel gefordert und viel gegeben." Reinshagen sieht es als Chance und nicht als Schwäche, dass der Staat auf die Hilfe freiwilliger Bürger angewiesen ist, um die Unterbringung der vielen Flüchtlinge zu bewältigen.

Hüseyin Sarekabaday-Klauer: Hüseyin Sarekabaday-KlauerDer Kurde ist vor 28 Jahren nach Deutschland geflüchtet, ist verheiratet und besitzt einen deutschen Pass. "Ich gehe davon aus, dass ich gut integriert bin", sagt der gläubige Alevit. Er findet, dass die Gesellschaft weiter ist. "Damals gab es keine Sprachkurse und kein ehrenamtliches Engagement." Auch der Zugang auf den Arbeitsmarkt ist besser. "Wir waren damals fünf Jahre zur Untätigkeit gezwungen." Ihm hat anfangs der Kontakt zu Nachbarn in Gauaschach geholfen, außerdem fand er Anschluss im Fußballverein. Er machte eine technische Ausbildung, heute arbeitet er als Meister bei Bosch. "Es gibt viele Möglichkeiten, wenn man sich selber einbringt."

Christa Keßler: Die Seniorin verfolgt die Asylthematik genau, sowohl auf bundes- und landespolitischer Ebene, als auch lokal. Immer wieder meldet sich die Zuschauerin auf der Podiumsdiskussion mit Wortbeiträgen. Keßler ist mit der scharfen Rhetorik von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) beim Thema Asyl nicht einverstanden und mahnt mehr Sachlichkeit an. "Man kann mit einer Weise, wann, wie und wo man etwas sagt, eine Gegnerschaft schaffen", meint sie. Damit werde nur Öl ins Feuer von Fremdenfeindlichen geschüttet. Außerdem spricht sie sich dafür aus, sich nicht auf Glaubensfragen einzulassen. "Religion gehört komplett außen vor", findet sie.

Ursula Hartmann: Hartmann übernimmt mit zehn weiteren Kollegen bei der Caritas die soziale Flüchtlingsberatung im Landkreis. Jeder Sozialbetreuer ist für 150 Menschen zuständig. "Wir bemühen uns, den Menschen gerecht zu werden, aber ohne die Hilfe der Ehrenamtlichen wäre es einfach nicht möglich", lobt sie die Arbeit der verschiedenen Helferkreise. "Die meisten Deutschkurse, die aktuell laufen, werden von Ehrenamtlichen gehalten. Es geht nicht darum, ausgebildeter Lehrer zu sein, sondern Alltagsdeutsch zu vermitteln." Besonders wichtig ist die Bereitschaft, Flüchtlinge im Auto mitzunehmen. Bus- und Zugfahrkarten sind bei einem Taschengeld von 143 Euro eine große Belastung.