Architektur und das Weltbad
Autor: Werner Vogel
Bad Kissingen, Sonntag, 27. November 2016
Ein nächtlicher Rundgang mit individueller Führung für die Abo+ Kunden ermöglichte einen Blick auf die repräsentativen Bauten der Stararchitekten.
Es ist ein Zauber, den der Schmuckhof auch unter nächtlichem Winterhimmel ausstrahlt, meint der viel gereiste Gerd Schindelmann. Und den erleben selbst die Kissinger nicht alle Tage. Der italienischen Barockgärten nachempfundene Innenhof des Regentenbaus gehört zu den Kleinodien, die der für die Kurstadt so bedeutsame Architekt Max Littmann geschaffen hat.
Der rechteckige Laubengang mit den schemenhaft zu erkennenden Freskomalereien kontrastiert geheimnisvoll mit dunkelgrünem Rasen. Brunnengeplätscher und die angestrahlten Figuren aus griechischer und römischer Mythologie nahmen auch die Lesergruppe von "Abo+" der Saale Zeitung bei der individuellen Führung durch Gerhard Wulz gefangen. "Venus, die Göttin der Liebe und des Gartens, darf in so einem Ambiente nicht fehlen, auch Bacchus nicht, der Gott des Weines mit Trauben in der Hand", beschrieb er die Szenerie. Dass Diana, Göttin der Jagd, seit einigen Monaten wieder ihren geschmiedeten Pfeil in der Hand hält, wusste Wulz ebenfalls.
Unterschiedliche Bauweisen
Begonnen hatte die Führung mit einem Blick zurück. Wie es dazu kam, dass Bad Kissingen zum bevorzugten Bad des bayerischen Königshauses wurde, als König Ludwig I. 1833 seinen berühmten Hofarchitekten Friedrich von Gärtner beauftragte, den Arkadenbau mit den charakteristischen Bogen, Säulen und Pfeilern als erstes repräsentatives Kurgebäude in Bad Kissingen zu bauen. Von Gärtner schuf unter anderem Feldherrnhalle, Staatsbibliothek, Ludwigstraße in München.Auch dass der Rossini-Saal - vormals kleiner Kursaal und Herzstück des Arkadenbaus - als vielfältig nutzbarer Conversations-Saal ohne Bühne eingeweiht wurde, war für viele Kissinger neu. Hier konnte Wulz auch erstmals die unterschiedlichen Bauweisen der Münchner "Weltbadarchitekten" vergleichen. Das heutige Aussehen verdankt der von Gärtner errichtete Saal den Renovierungen des Max Littmann.
Während der 1791 in Koblenz geborene von Gärtner romanische Rundbögen als Gestaltungselement bevorzugte, nahm Littman - er erblickte 1872 in Chemnitz das Licht der Welt - sich häufig historische Vorbilder verschiedener Epochen zum Vorbild. Der Blick zur Kassettendecke zeigt seinen harmonischen Mix aus Klassizismus mit Jugendstilelementen.
Littmanns eigener Baustil
"Münchner Barock" wird Littmanns Gestaltungsweise gern beschrieben. Für Gerhard Wulz trifft die Bezeichnung den Stil nicht wirklich, weil Littmann wesentlich mehr architektonische Elemente verwendete: Er sprach vom "typischen Littmann Stil". Die Zuhörer erfuhren, dass der geniale Baumeister im Spannungsfeld sich überlagernder Architekturströmungen seine eigene Richtung in einem bewussten Nebeneinander verschiedener Stilrichtungen gefunden habe. "Da steht im Grünen Saal ein "ägyptisches Papyrus Kapitell neben einem Pilaster, der der Antike entlehnt ist, und ionische Säulen harmonieren mit klassizistischen Elementen".
Weltgrößte Trinkkurhalle
Im Max Littmann-Saal des Regentenbaus erfuhren die Besucher, dass die Wände mit Kirschbaum vertäfelt, die Decken aus Fichte und der Boden mit Eichenparkett belegt sind und vor allem, dass sich der Architekt auch als Künstler verstand und bis ins Detail alles selbst plante und entwarf. Den rasanten Aufstieg Littmanns zum meistbeschäftigten Bauherrn seiner Zeit, förderte auch die Heirat mit der Tochter der größten süddeutschen Baufirma. Das Unternehmen Heilmann und Littmann ermöglichte ihm einen großzügigen Lebensstil. Seine äußerst disziplinierte Schaffenskraft endete knapp 70 jährig, als ihm ein rascher Tod den Zeichenstift aus der Hand nahm.
Beeindruckend
In der Brunnen- und der Wandelhalle führte Wulz den Besuchern die Großzügigkeit der gesamten Anlage vor Augen. Mit der Verwendung von Massivbeton revolutionierte Littman die Bauzeit. In nur acht Monaten stand die Halle, obwohl auch hier überwiegend heimische Firmen (unter anderem Schick, Del Fabbro) am Bau beteiligt waren. Der Abschluss des abendlichen Rundgangs gehörte aber dem überragenden Theaterarchitekten Littmann, dem Bad Kissingen auch die bahnbrechende Neuerung ansteigender Zuschauerränge verdankt. Neubürger Silvia und Udo Bahr sind beeindruckt von den detailreichen Erläuterungen. "Wir haben Bad Kissingen als Gesundheits- und Kulturstadt gewählt. Heute ist uns eine neue Facette bewusst geworden. Kissingen ist auch eine Kunststadt, denn Architektur ist Kunst."