Arbeit finden: extrem schwierig
Autor: Steffen Standke
LKR Bad Kissingen, Sonntag, 03. Juli 2022
1300 geflüchtete Ukrainer leben inzwischen im Landkreis Bad Kissingen. Viele von ihnen richten sich ein und wollen selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Doch das ist teilweise mit großen Hürden verbunden.
Oksana Razkevych hat Glück gehabt. Die 45-Jährige aus der Großstadt Browary östlich von Kiew unterrichtet seit Ende April eine Willkommens-Klasse an der Garitzer Grundschule. Ihren Mann Serhii, einem Rechtsanwalt, gelang dieser Sprung auf den Arbeitsmarkt noch nicht. Kein Einzelfall unter den ukrainischen Flüchtlingen im Landkreis Bad Kissingen.
Seit 9. März, also zwei Wochen nach dem russischen Überfall auf das Nachbarland am 24. Februar, lebt das Ehepaar mit seinen drei Kindern schon in Bad Kissingen. "Wir wollen beide arbeiten", sagen Oksana und Serhii.
Die Grundschullehrerin ergriff die Initiative, ging zum Rektor der Garitzer Schule. Auch meldete sie sich auf den Aufruf des Staates an ukrainische Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland. Die 45-Jährige hätte auch in Bad Neustadt anfangen können, entschied sich aber für Garitz.
Keine Beschäftigung als Rechtsanwalt
Ihr Mann hat es ungleich schwerer, obwohl er als Anwalt hochspezialisiert ist. Doch sein Wissen um die ukrainischen Gesetze ist in Deutschland nichts wert. Serhii Razkevychs Kanzlei in Kiew besteht zwar noch; von insgesamt sechs Mitarbeitern sind noch drei da. Der 46-Jährige könnte vielleicht online mitwirken. Aber erstens fehlen der Anwaltskanzlei in Kriegszeiten die Aufträge und zweitens würde sein Einkommen wohl kaum den deutschen Sozialhilfesatz übersteigen. Also blieb Serhii bisher in Deutschland ohne Arbeit.
Ihre Chance für den Arbeitsmarkt sehen er und seine Frau, die des Englischen recht gut mächtig sind, in einem Deutsch-Sprachkurs. Dann könnte Serhii Razkevych vielleicht zum Steuerberater umschulen; zwei Jahre dauert das. Aber auch Oksana muss sich Gedanken machen. Ihre Stelle an der Grundschule läuft Ende Juli aus. Sie weiß nicht, ob sie ins neue Schuljahr verlängert wird. Beide sehen eher einen Sinn darin, besser deutsch zu lernen und sich weiterbilden oder umschulen zu lassen, als irgendeinen Job als Putzkraft oder in der Gastronomie anzunehmen. Das Problem: Die Konkurrenz bei den angebotenen Kursen ist groß; die Wartezeit auf Plätze lang.
So wie die Razkevychs denken viele der nach dem 24. Februar aus der Ukraine Geflüchteten, sagt Ganna Kravchenko, die schon länger in Deutschland lebt. Etwa 60 Prozent der in den Landkreis Gekommenen gehörten zur sogenannten Intelligenz, hätten ein Studium absolviert, seien als Lehrer, Ärzte, Zahnärzte oder auch Manager tätig gewesen. "Sie sehen ihren Weg über einen Deutsch-Sprachkurs in den Beruf", sagt sie.
Geschätzt ein Viertel sei vor dem Krieg Fabrikarbeiter oder Ähnliches gewesen. Und weitere 20 Prozent hätten in ihrem Heimatland ihr Geld als Selbstständige verdient. "Sie spielen gerade im Kopf Modelle durch, was sie selbstständig hier vor Ort machen können."