Als Kissingen Geschichte schrieb

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Auge in Auge mit dem Reichskanzler: Besucher in der Ausstellung zur Politik Bismarcks im Bismarck-Museum in der Oberen Saline in Bad Kissingen. Im Mittelpunkt stehen das "Kissinger Diktat" von 1877 und der Berliner Kongress. Foto: Werner Vogel
Auge in Auge mit dem Reichskanzler: Besucher in der Ausstellung zur Politik Bismarcks im Bismarck-Museum in der Oberen Saline in Bad Kissingen. Im Mittelpunkt stehen das "Kissinger Diktat" von 1877 und der Berliner Kongress. Foto: Werner Vogel
Der Historiker Lothar Machtan zeigt den Besuchern das Originaldokument des "Kissinger Diktats" von 1877. Foto: Werner Vogel
Der Historiker Lothar Machtan zeigt den Besuchern das Originaldokument des "Kissinger Diktats" von 1877.  Foto: Werner Vogel
 
Als wären die Besucher mitten im Berliner Kongress von 1878, diesen Eindruck vermittelt die Ausstellung in der Oberen Saline. Foto: Werner Vogel
Als wären die Besucher mitten im Berliner Kongress von 1878, diesen Eindruck vermittelt die Ausstellung in der Oberen Saline.  Foto: Werner Vogel
 
In dieser Dokumentenmappe ist das Kissinger Diktat abgelegt.
In dieser Dokumentenmappe ist das Kissinger Diktat abgelegt.
 

Der Historiker Lothar Machtan unterstreicht in einem Vortrag und einer Sonderführung zum "Kissinger Diktat von 1877" im Bad Kissinger Bismarck-Museum die Bedeutung der Kurstadt für die Politik des ersten Reichskanzlers.

"Nur wenige Schritte von hier ist es entstanden. Wir haben das Dokument an die Wiege zurückgeholt". Nicht ohne Stolz beschreibt Prof. Dr. Lothar Machtan, Kurator der Ausstellung "Schlüsselworte für Deutschlands Politik in Europa: Bismarcks Kissinger Diktat von 1877" den großen Schatz, der derzeit in der Sonderausstellung im Museum Obere Saline zu sehen ist.
"Woanders könnte man das nicht besser machen als hier in Kissingen", ist sich der der Politik- und Geschichtswissenschaftler aus Bremen sicher.
Das Kissinger Diktat ist mit der Hand geschrieben, auf ganz normalem Papier, abgeheftet in einer alltäglichen, eher unansehnlichen grauen Aktenmappe. Fürst Otto von Bismarck, Kanzler des Deutschen Reiches, hat es seinem Sohn Herbert in die Feder diktiert. Noch am gleichen Tag wurde die Depesche nach Berlin geschickt.


Außenpolitik aus Bad Kissingen

Den 15. Juni 1877 haben schon Generationen von Gymnasiasten verflucht. Es ist der Tag, an dem Bismarck während einer Kur in den Räumen der Oberen Saline, dem heutigen Bismarck Museum, seine Gedanken zur Zukunft des deutschen Reiches entwickelte. Das "Kissinger Diktat" wurde zum festen Begriff, es ist ein Schlüsseldokument deutscher Geschichte, aber ein eher spröder Lern- und Unterrichtsstoff, der den Schülern nähergebracht werden soll. Es geht darin um nicht weniger, als den Erhalt des Deutschen Reiches. Ziel Bismarck'scher Politik war es, einer Gefährdung des Kaiserreichs durch ausländische Koalitionen vorzubeugen. Die europäischen Großmächte sollten keine Bündnisse gegen, sondern nur mit Deutschland schließen. Die zentralen Leitlinien preußisch-deutscher Außenpolitik für die Jahre nach der Reichsgründung also sind es, die im Kissinger Diktat festgehalten sind.
Die politischen Zusammenhänge sind allerdings äußerst komplex. Hintergrundwissen ist Voraussetzung um Inhalt und Tragweite oft verschachtelter Sätze zu verstehen. Die Schüler brauchen schon Geschichtslehrer wie Machtan, um die weitsichtige Bündnispolitik Bismarcks nachzuvollziehen und wie die Zuhörer des Vortrags im Museum ein faszinierendes Kapitel deutscher Geschichte erleben zu können. Lothar Machtan, Professor für Neuere Geschichte in Bremen, exzellenter Kenner der Bismarck-Biographie hat seinerzeit das Kissinger Bismarck Museum mit konzipiert und Kulturreferent Peter Weidisch hat ihn auch als Ausstellungsmacher zum 200. Geburtstag verpflichten können.
Sein Vortrag zum Konzept der Sonderausstellung und zum Inhalt des Kissinger Diktats fesselte die kleine, hochinteressierte Schar der Zuhörer. Er führte in die Welt der Diplomatie des 19.Jahrhunders und machte Lust auf den Rundgang durch die Ausstellung.


Uniform und Schnurrbartbürste

In der Kapelle des Museums fühlt sich der Besucher ins Berliner Rathaus der Kaiserzeit versetzt. Die Reproduktion des berühmten Gemäldes von Anton von Werner mit Bismarck und den Diplomaten des Berliner Kongresses von 1878 nimmt die gesamte Stirnwand ein. Schmale Aufsteller mit knappen Texten vermitteln die Grundzüge damaliger Politik. Eine schmucke Diplomatenuniform ist zu sehen und eine Vitrine mit Reisekoffer zeigt, was man damals als Abgesandter auf einer Reise so mitführte, Schnurrbartbürste und steifer Kragen inbegriffen. Ein Zettelkarussell mit Leitsätzen Bismarcks und die Kommentare der Besucher dazu führen zurück in das Heute.
Auf der Galerie kann man in zweifacher Weise versinken. Zum einen in die Lehnsessel aus dem vergangenen Jahrhundert, zum anderen mit dem Kopfhörer am Ohr in die Welt der Diplomatie bei ausgesuchten Reden "eines großen Deutschen, der nicht immer große Politik gemacht hat", wie Machtan ausführte. Den Rundgang durch die Ausstellung würzte der Autor zahlreicher Bücher und Studien zur Sozial- und Politikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit kleinen Anekdoten und unterstrich die Bedeutung von Bad Kissingen für das Schaffen des Eisernen Kanzlers.
Auch Helena Scharf, Hausherrin und guter Geist des Museums zeigte sich hoch erfreut von der qualitätvollen Sammlung, die den Ruf Bad Kissingens als Kulturstadt unterstreicht. "Selten hat eine Ausstellung von uns so hohe bundesweite Aufmerksamkeit gefunden", freute sich Scharf und sieht das Museum auf einem guten Weg: "Die Besucherzahlen des Museums haben in diesem Jahr nochmals deutlich zugelegt". Das bestätigte auch eine Besucherin aus Marburg: "Ich war im Frühjahr schon mal hier. Diese feine Ausstellung lohnt die Anreise auf jeden Fall".
Die Ausstellung dauert noch bis zum 25. Oktober.