Als das reiche Bürgertum die Hoheit über die Musik übernahm
Autor: Thomas Ahnert
Staatsbad Brückenau, Sonntag, 26. Juni 2016
Natürlich war es ein Liederabend, aber eben kein gewöhnlicher, was den Rosenball-Flüchtlingen des Kissinger Sommers im König-Ludwig-I.-Saal serviert wurde.
Es war ein Liederabend aus der Zeit, als der Adel aus wirtschaftlichen Gründen die Lufthoheit über die Musik verlor und das Bürgertum übernahm. Da waren kleinere Formen für die Salons gesucht. Eine Lösung war die Kreation des "sinfonischen" Liedes für Singstimme und Klarinette (und natürlich Klavier), weil da, wie Reiner Wehle in seiner Moderation erläuterte, zwei sehr ähnliche Partner aufeinanderstoßen.
Er hatte Recht.
Die Sopranistin Christiane Karg und die Klarinettistin Sabine Meyer zeigten mustergültig, wie instrumental eine Stimme werden kann, wie sanglich aber auch die Klarinette mit ihren reichen Klangfarben.
Man muss aber auch sagen: Christiane Karg hat eine ausgesprochen schöne, mühelos wirkende Stimme, mit der sie nie deklamiert, sondern immer erzählend singt. Und Sabine Meyer ist nicht zuletzt durch ihren weichen, singenden Ansatz berühmt geworden.
Mitdem ausgewählten Programm (allzuviel gibt es nun auch wieder nicht für diese Besetzung) ließen sich schöne Charakterstudien machen: Lachners "Seit ich ihn gesehen", wesentlich euphorischer als in der introvertierten Vertonung von Robert Schumann in seinem Zyklus "Frauenliebe und -leben", den Christiane Karg so innig, aufopfernd sang, dass man ihr nicht einmal als Feminist böse sein konnte. Oder Louis Spohrs "Deutsche Lieder", die schon stäerker auf die virtuose Auseinandersetzung zielen. Dazu gab's Lieder von Brahms wie "Auf dem See" oder "Wir wandelten", bei denen man trotz aller Intensität plötzlich die Klarinette vermisste, und Schumanns Fantasiestücke op. 73, bei denen Sabine Meyer bewies, dass eine Klarinette die Stimme zum Erzählen wirklich nicht braucht.
Und am Schluss wohl das berühmteste Klarinettenlied: Schuberts "Der Hirt auf dem Felsen". Wenn die Einordnung dieses Liedtypus bisher Schwierigkeiten machte - jetzt nicht mehr: Die beiden machten das Lied mit musikantischen Zugriff und Lust an der Konfrontation eindeutig zu einer Szene.