Als Buben noch Strapse trugen
Autor: Werner Vogel
Bad Kissingen, Mittwoch, 15. Oktober 2014
Der Schülerjahrgang 1945 frischte im Schulmuseum Aschach Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit auf. Die Kissinger Nachkriegsgeschichte wurde wieder lebendig.
Bad Kissingen — Alle fünf Jahre organisiert Gerd Schindelmann ein Schülertreffen mit einem ansprechenden Programm über zwei Tage, zu dem diesmal auch zwei Mitschüler aus den USA angereist waren. Eine originell kombinierte Stadtführung zu Fuß und mit dem Kurbähnle beeindruckte vor allem "Amerikaner" und die auswärtigen Teilnehmer, weil Regentenbau, Grüner Saal und Schmuckhof auch von innen besichtigt werden konnten.
Bei einer Andacht in der Jakobuskirche gedachte die Gemeinschaft der verstorbenen Mitschüler und bedauerte, dass Krankheiten und Tod doch beträchtliche Lücken in die Klassengemeinschaft gerissen haben. Beim Mittagessen im Ratskeller gab's viel zu erzählen und im Cafe Salinenblick wurden Fotos und Filme gezeigt.
Zum Höhepunkt des Treffens geriet die Fahrt nach Aschach. Nicht nur das Gartenambiente und die Sammlungen im Schloss beeindruckten, vor allem das Schulmuseum mit der Ausstellung "Griffel, Füller, Tintenkiller" beflügelte die verbliebenen 28 Schüler des Jahrgangs mit ihren Frauen, und so wurden in erster Linie alte Schulerinnerungen aufgefrischt und die Zeit stand lebendig vor den heute 75-Jährigen.
Knappheit und Prügel
Da wurden nicht nur Geschichten erzählt, da lebte ein Stück Kissinger Nachkriegsgeschichte auf. Schindelmann erinnerte daran, dass die Einschulung gerade mal vier Monate nach Kriegsende erfolgte, und obwohl Kissingen von Zerstörungen weitgehend verschont blieb, waren selbst Alltagsgegenstände knapp. 77 Schüler betraten erstmals die ehemalige Judenschule in der Maxstraße (heute jüdisches Gemeindehaus). Die Klassen waren nicht nur nach Jungen und Mädchen, sondern auch nach Konfessionen getrennt. Es gab Klassen mit über 50 Schülern. Die Kleidung war überwiegend selbst genäht, die meisten gingen barfuß. Es gab kaum Bücher und Hefte, die Schiefertafel war das kostbarste, was im Ranzen steckte und eine Schultüte hatte kaum jemand. Sport wurde nicht unterrichtet. Die Prügelstrafe war an der Tagesordnung, was fast alle schmerzlich erfahren mussten.
Erbsensuppe mit "wenig drin"
"Erinnerst Du dich noch", fragte Walter Horn, Mitorganisator des Treffens, seinen Klassenkameraden Horst Zintl "an die Schulspeisung? Manche hatten kein Töpfchen dabei und aßen aus der Konservendose." " Die hing dann mit Draht am Schulranzen beim Heimweg", wusste Zintl zu berichten. "Oft gab es Erbsensuppe, aber "mit wenig drin", und auch Grießbrei mit Rosinen wurde im dampfenden Kessel unter der Schultreppe gekocht, erinnerte man sich. Ein Festtag war, wenn die Care Pakete der Amerikaner verteilt wurden. "Da gab es Kakaopulver, Trockenmilch, Schokolade, Corned Beef und Zahnpasta, das kannten wir alle noch nicht".
Verklärte Vergangenheit
Es wurde viel erzählt in den zwei erlebnisreichen Tagen und ein Teilnehmer bekannte, dass die Erinnerung die Vergangenheit wohl verklärt: "Sie war unbeschwerter, aber so schön war die gute alte Zeit dann doch nicht." "Im Alter wird die Zeit immer kostbarer, deshalb wollen wir uns in fünf Jahren - hoffentlich alle- wieder treffen" gab Schindelmann seinen Klassenkameraden noch mit auf den Weg.
Erinnerungen
Karl-Heinz Brand: Es gab oft Hiebe auf die Finger. Zog man die Hand weg und die Lehrerin schlug sich auf den Rock gab's noch eine Zugabe. Noch schlimmer war auf der Bank liegend auf sechs mit der Rute auf den Hosenboden zu warten. Für besondere Vergehen "durfte" man im Lehrerzimmer das "spanische Röhrchen" als Folterwerkzeug holen.
Horst Zintl: Unsere betagte Lehrerin brachte einmal im Jahr einen Bettvoreger mit. Der wurde vor der Tafel ausgebreitet. Jeder vollführte, was er konnte. Für einen Purzelbaum gab es eine 3, eine Kerze wurde mit zwei benotet und ich war der einzige, der einen Handstand konnte. Traumnote 1 und Spott von den Klassenkameraden: "Du Streber".
Gerd Schindelmann: Gestrickte Wollstrümpfe unter kurzen Hosen waren alltäglich. Über der Unterhose wurde ein Leibchen mit Gummibändern getragen. Diese Strapse wurden an den Strümpfen befestigt. Weil sie dauernd abgingen nestelte man unter der Hose, um sie wieder zu befestigen. Wurde mit zunehmendem Alter immer peinlicher.
Walter Horn: In den ersten Klassen wurde nur auf die Schiefertafel geschrieben. Später gab's Federhalter und Tinte. Die Tintenfässchen waren mit Klappen in der Bank versenkt. Ein Blatt Papier zu beschreiben, ohne dass der Federhalter gepatzt hat, war fast nicht möglich. Ein Heft ohne Tintenfleck gab es nicht. Blaue Finger hatte jeder.