Allein geflüchtet - und jetzt in Deutschland in der Schule
Autor: Angelika Despang
Bad Kissingen, Dienstag, 12. April 2022
Matiullah und Hussein sind mit 14 Jahren ganz alleine aus Afghanistan und Syrien geflüchtet und nach Bad Kissingen gekommen. Dank Jugendhilfe, Schule und Jugendamt konnten sie in der Fremde Fuss fassen.
"Du musst gehn!", sagte der Vater zu Matiullah, als die Taliban in sein Haus kamen. Matiullah wollte nicht von zu Hause fort gehen. Und vor allem nicht alleine. Doch sein Vater konnte wegen der kleineren Geschwister nicht mit ihm gehen. Also ist Matiullah alleine losgezogen, den ganzen Weg von Afghanistan nach Deutschland. Da war er gerade mal 14 Jahre alt. Sieben Monate hat seine Flucht zu Fuß und mit dem Auto gedauert. Die meiste Zeit war er alleine unterwegs, in der Türkei hat er einen Freund gefunden, zusammen haben sie es hierher geschafft.
Ganz alleine auf der Flucht
Matiullah ist einer von acht unbegleiteten Flüchtlingen an der Anton-Kliegl-Mittelschule in Bad Kissingen. Unbegleitet heißt, dass Minderjährige ganz alleine flüchten, ohne Eltern, Familie oder sonstige Erwachsene, die für sie verantwortlich sind. Inzwischen ist er seit einem Jahr in Bad Kissingen, geht in die 8. Klasse und spricht schon ziemlich gut Deutsch. Seit der Flucht hat er nichts mehr von seinen Eltern und Geschwistern gehört. Er hat nur zu seiner Tante Kontakt, ob seine Eltern und Geschwister noch leben, weiß er nicht.
Teenager muss zwischen Krieg und Flucht entscheiden
Auch Hussein (17) ist alleine hier. Als er vierzehn war stand das Militär vor seiner Haustür in Syrien zur Zwangsrekrutierung. Da musste er sich zwischen Krieg und Flucht entscheiden. Seine Eltern blieben bei den kleineren Geschwistern, als er sein Zuhause verließ. Hussein hat regelmäßig Kontakt zu ihnen. Ein Onkel von ihm lebt in Norddeutschland.
Dolmetscher fehlt im Unterricht
Beide Jungs gehen in die Deutschklasse an der Mittelschule. Sie besteht aus zehn Schülern im Alter von 14 bis 18 Jahren. Hier liegt der Unterrichtsschwerpunkt natürlich erstmal auf dem Erlernen der neuen Sprache: "Das ist nicht so einfach, weil wir ja keine Dolmetscher haben und die Kinder oft nur ihre Muttersprache sprechen, wenn sie herkommen", sagt Klaus Neumeyer, einer der zwei Klassenlehrer, "deshalb wird am Anfang mit Bildern gearbeitet oder wir gehen mit den Jugendlichen in den Supermarkt und zeigen auf die Dinge." Je nachdem dauert es, bis sich Lehrer und Schüler auf Deutsch verständigen können. "Mathematik und Geografie sind kein Problem, da ist wenig Text und man kann mit Karten arbeiten", so Neumeyer.
Große Bildungsunterschiede
Allerdings sind die Bildungsdefizite teils massiv, da manche Kinder in ihren Heimatländern noch nie eine Schule besucht haben, bestenfalls eine Koranschule: "Manche Jugendliche in unserer Klasse lernen gerade den Zahlenraum bis 20, andere machen Funktionsrechnungen", erklärt Bernhard Häreth, der zweite Lehrer der Deutschklasse, "das ist schon eine sehr große Spanne, die wir da als Lehrer abdecken müssen." Aber auch deutsche Regeln und Werte werden vermittelt, Respekt und Geduld, Pünktlichkeit, Höflichkeitsformeln und das Frauen- und Männerbild hierzulande. "In einer Regelklasse hätten diese Kinder keine Chance", so die Klassenlehrer, "aber das Schöne ist, dass sie von Kindern gleicher Herkunft unterstützt und an die Hand genommen werden." Deshalb würden sie die Schule in der Regel ausgesprochen gut schaffen, so Häreth.