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Abgründiges von den Mächtigen


Autor: Gerhild Ahnert

Bad Kissingen, Mittwoch, 05. November 2014

Theresia Walsers Stück "Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel" über drei Diktatoren-Gattinnen begeisterte beim Theaterring im Kurtheater. Reinhild Solf und Doris Kunstmann brillierten.
Sie hat sie ständig dabei, "Erichs Urne", die am Ende von Theresia Walser satirischer Komödie "Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel" zerschmettert am Boden liegt, und ihren stahlharten Stalinismus: Margot Honecker (Reinhild Solf, 2. von links) im Kreise ihrer Machtweiber-Kolleginnen Imelda Marcos (rechts: Doris Kunstmann) und Leila Ben Ali (ganz links: Saskia Valencia) mit Dolmetscher Gotthilf (Ole Eisfeld) Foto: Ahnert


Bad Kissingen — Theresia Walser benannte ihr 2013 uraufgeführtes Erfolgsstück "Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel" nach einem angeblichen Zitat Muammar al-Gaddafis aus dessen Gedichten in "Das Dorf, das Dorf, die Erde, die Erde und der Selbstmord des Astronauten" und führt damit nur sehr indirekt hin zu ihrer "Satirischen Komödie", die eben nicht von skrupellosen Macht-Männern wie Gaddafi handelt, sondern deren ebenso skrupellosen Ehefrauen.
Zwei von ihnen sind in Deutschland noch bekannt bis berüchtigt, Margot Honecker, First Lady "im Land hinter der Mauer" und Imelda Marcos, Ehegattin des ehemaligen philippinischen Machthabers Ferdinand Marcos mit den vielen Schuhen. Zu ihnen gesellt Walser Leila Ben Ali, die Ehefrau des 2011 gestürzten tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali, die sich nach dem Sturz ihres Gatten mit ihrem Goldvermögen nach Dubai absetzte.
Der Ort ihres Treffens ist ein Fernsehstudio, in dem sie auf den Beginn einer Pressekonferenz zur Promotion eines Filmes über sie, warten. Dabei kümmert sich um sie Gottfried, der Dolmetscher für Margot Honecker. In einem Setup wie für eine der wohlfeilen Talkrunden im Fernsehen könnte nun so etwas wie eine fiktive Doku-Show abgehen, in der sich drei abgehalfterte Teilhaberinnen an der Macht ihrer Männer so richtig lächerlich machen in ihrem eifersüchtigen Kampf um Aufmerksamkeit und Bedeutung.

Brandgefährliche Machtgeilheit

So leicht macht es Theresia Walser ihren Regisseuren und Ensembles aber nicht, denn ihr Text lässt abgekupferte Realität nur sehr bedingt zu. Er ist ein kompliziert durchkomponiertes Wortkunstwerk, in dem nicht nur Pointen fliegen. Man spürt, dass hinter dem albernen Zickenkrieg die brandgefährliche Machtgeilheit der drei sich unverstanden, unschuldig und ungemein großartig findenden Damen lauert.
Regisseur Hans Hollmann stellte sich dieser Tiefenstruktur, versuchte nicht, sie unterhaltungskompatibler zu machen durch Requisitenzauber und Aktionismus der drei Schauspielerinnen. So hatte man gerade im ersten Teil fast den Eindruck einer konzertanten Aufführung einer Oper. Auch Ausstatter Stephan Mannteufel beschränkte sich auf vier Stühle und ein Stehpult vor einem geschlossenen Vorhang, hinter dem ein Zuschauerraum zu erkennen ist. Jede der vier Personen geht gelegentlich ab, Modefreak Leila zieht sich dabei auch mal um, aber das Sehbedürfnis der Zuschauer wird eher vernachlässigt. Ihre Aufmerksamkeit wird dadurch im Wesentlichen auf das gelenkt, was die drei Frauen sagen - teilweise authentische Zitate - und auf eine weitere Ebene, die Walser ihrem Stück mithilfe des Dolmetschers verleiht. Eigentlich sollte der Verständnis vermitteln, doch legt er durch seine eigenmächtigen Falschübersetzungen die menschenverachtende Absurdität der Machtgefüge offen, was die drei Damen zu Repräsentantinnen einer viel komplexeren als bloß deren Lebens-Geschichte macht.
Zentral platziert, unendlich überheblich und komplett uneinsichtig spielte Doris Kunstmann mit ihrer ungeheuren Bühnenpräsenz von Anfang an ihre Imelda Marcos. Die prahlt mit ihrer Bildung, ihrem Reichtum, ihrer Bekanntheit mit den Größen der Weltpolitik, ihrem abgesetzten Gatten, den sie tiefgefroren aufbewahrt, bis er irgendwann einmal die allfällige Dankbarkeit seines Volkes erfahren wird. In der selbstverständlichen Nonchalance, mit der sie erzählt, dass man in Marcos' Staat immer mal Dissidenten halt ohne Kopf vorfand, wird das Grauen erfühlbar, das hinter Walsers Machtweibern steckt.
Saskia Valencia hat es mit der Modepuppe und Vorzeigefrau der arabischen Welt Leila Ben Ali ungleich schwieriger, wirkt leichtgewichtiger, ist aber in ihren spitzzüngigen und bissigen Wortgefechten mit Imelda und ihren naiv-dummen Entschuldigungshymnen auf das Herrschaftsgebaren ihres Mannes durchaus überzeugend.
Was in Hollmanns Inszenierung sehr deutlich wurde, war die zentrale Rolle, die - trotz der beiden eloquenten Kontrahentinnen aus Asien und Afrika - Margot Honecker, die deutschen Zuschauern am nächsten Stehende spielt, die in ihren Äußerungen einer ewig Unverbesserlichen auch am meisten belacht wurde. Reinhild Solf zeigte sie zunächst als farblose, hausfrauenhafte, eher ordentlich als aufwendig gekleidete alte kleine Frau, die aber immer mehr die Oberhand gewinnt, erschreckend eindringlich in ihrer Verbohrtheit, Unbeugsamkeit, egomanischen Rechthaberei. Walser hat ihre Bedeutung schon dadurch befördert, dass sie als Einzige der Übersetzung bedarf, dass sie ihre Thesen wie den unsäglichen Ausspruch, dass die Mauertoten ja selbst schuld seien, niemand habe sie zu ihrem Tun gezwungen, oder ihre Lobeshymnen auf Stalin und ihren Erich beinahe monologisch von sich geben kann. Solf gelang aus der scheinbaren Unscheinbarkeit heraus das Kunststück, in fast unmerklicher Steigerung auf den großen Schlusseffekt des Stücks hinzuarbeiten, als durch eine ungeschickte Bewegung des Dolmetschers "Erichs" Urne, die sie in ihrer großen Tasche verborgen bei sich trug, auf der Bühne zu Bruch geht und alle fassungslos auf seine Asche starren. Und hier an diesem Schluss führt Walser raffiniert auch die Geschichte eines Opfers der drei Furien ein, denn hier offenbart der Dolmetscher Gottfried, dass er als Jugendlicher zu den Opfern der mächtigen Ministerin für Volksbildung von 1963 bis 1989 gehörte. Ole Eisfeld führte in dieser Erzählung seiner sehr persönlichen Leidensbeziehung zu Margot Honecker seine im Laufe des Stückes immer deutlicher werdende Verletztheit und Verstörtheit zu einem eindrucksvollen und schlüssigen Ende.

Unpassende Pause

Die Zuschauer bedachten die Aufführung des Euro-Studio Landgraf beim Theaterring mit langem Applaus und einigen Bravos für Reinhild Solf .
Dass es eine Pause kurz vor Schluss gab, war wohl nicht dem Inszenierungskonzept der Bühne, sondern dem Cateringkonzept der Staatsbad GmbH geschuldet. Sie war den meisten Zuschauern eher lästig und durchbrach die Spannungslinie des Stücks. kag