Druckartikel: A71 vor zehn Jahren eröffnet - was bleibt?

A71 vor zehn Jahren eröffnet - was bleibt?


Autor: Paul Ziegler

Bad Kissingen, Mittwoch, 16. Dezember 2015

Anfangs haben die Pläne die Bevölkerung polarisiert. Bis heute haben sich weder die schlimmsten Befürchtungen noch die größten Erwartungen eingestellt. Was wurde daraus? Unsere Webreportage erzählt die ganze Geschichte.
Die A 71  Foto: Paul Ziegler


Der Anfang war ein bisschen holprig. Der Beginn für die Realisierung der Autobahn A 71. Die ersten Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung waren zwar geprägt von der großen Aufbruchstimmung, eine besondere Aufgabe erfüllen zu müssen: Die Zusammenführung der beiden deutschen Staaten. Aber das sollte nicht um jeden Preis geschehen. Eines war nach dem 9. November 1989 klar: Verkehrstechnisch musste was passieren, um Deutschland wieder zu einen.


Zur Mulitmedia-Reportage über die A71
Dass Bayern und Thüringen über die Landkreise Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld angebunden werden, warklar. Die bestehende Bundesstraße B 19 war seit Jahrhunderten durch die Täler von Lauer, Saale und Streu die Verbindung der beiden Regionen schlechthin. Diese Bundesstraße war es auch, die nach der Wende zunächst den Straßenverkehr auffing. Das konnte sie aber nicht auf Dauer.

Mit dieser Einsicht wurden Ideen geboren, Vorstellungen und Wünsche. Die Politiker dachten eher in großen Räumen, während die Bürger vor Ort ihr persönliches Lebensumfeld nicht dem Moloch einer Autobahn opfern wollten. Die Suche nach dem Mittelweg gestaltete sich problematisch. Im Januar 1991 trat Günther Krause das Amt des Bundesverkehrsministers an und leitete eine Bestandsaufnahme der Verkehrssituation in den neuen Bundesländern ein. Daraus gingen die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) hervor. Es waren 17 an der Zahl, darunter sieben, die den Autobahnausbau betrafen. Das Projekt mit der Nummer 16 war der Neubau der A 71/ A 73 von Schweinfurt nach Erfurt bzw. Suhl nach Bamberg.


Zwei Projektgesellschaften

Um alle Projekte möglichst binnen eines Jahrzehnts zu realisieren, wurden außerhalb bisheriger Behördenstrukturen mit der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges) und der Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit (PBDE) zwei privatrechtliche Projektgesellschaften gegründet. Die Deges nahm bei der Planung und dem Bau der A 71/ A 73 den Bereich Thüringen in die Hand, während im "Westen" die Autobahndirektion Nordbayern und das Straßenbauamt Schweinfurt als Planer auftraten. Als die ersten Pläne auf den Tisch gelegt wurden, waren es vor allem die Autobahngegner (Bürgerinitiativen, Bund Naturschutz), die sich lautstark bemerkbar machten. Die geplante Autobahn von Schweinfurt nach Erfurt polarisierte die Bevölkerung. Während die einen um den Erhalt der Natur und Landschaft kämpften, waren den Befürwortern - zunächst die Politiker und eine schweigende Mehrheit - die verkehrstechnische Erschließung des vormals mehr oder minder abgetrennten nordunterfränkischen Raumes an das bundesdeutsche Autobahnnetz wichtig.


Konsens war problematisch

Die Autobahn-Befürworter versprachen sich für die Region wirtschaftlichen Aufschwung, während die Gegner den Ausverkauf der Landschaft, die Zerstörung von Natur und das Schwinden der Lebensqualität sahen. Dennoch: Die Autobahn-Pläne nahmen ihren Lauf. Raumordnungsverfahren und Trassenbestimmung gestalteten sich aber schwierig. Die Front der Autobahngegner war stark, wurde aber geteilt in die Gruppe derer, die generell gegen die Autobahn waren, und die, die die Autobahn nur nicht vor "ihrer Haustüre" haben wollten. Es ging um die Trassen, "West", "Mitte West", "Mitte" und "Ost" wurden vorgelegt, diskutiert und diskutiert. Bürgermeister und Kommunalpolitiker hatten in diesen Tagen kein einfaches Leben: Zum einen sollten sie Wohl und Wehe ihrer Gemeinde und Region im Auge behalten, andererseits die Wünsche der Bürger, die sie gewählt hatten, berücksichtigen.


Klagen gegen die Autobahn

Die Gemeinden Geldersheim, Rannungen, Münnerstadt und Rödelmaier gehörten zu erklärten Gegnern der geplanten A 71 und strengten teilweise Gerichtsverfahren an. Gleichzeitig wurden über die Deges und Autobahndirektion die nötigen Flächen für die letztendlich gewählte Ost-Trasse aufgekauft. Die offiziellen Verfahren und Anhörungstermine zur Raumordnung und Planfeststellung nahmen Jahre in Anspruch. Jahre immerwährender Diskussionen und Untersuchungen. Aber: So langsam setzten sich die Befürworter durch, auch deshalb, weil die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit seit 1991 auf Gesetzesebene gehoben waren und sich oberhalb einer "normalen" Planung befanden.

Dann war es soweit: 1996 wurde auf Thüringer Seite mit dem Bau des ersten Abschnittes der A 71 zwischen Erfurt und Bindersleben begonnen. Im Oktober dann auch in Bayern: 1999 wurde nördlich von Maibach der Bau der A 71 begonnen, zwei Jahre später war Baubeginn für den Streckenabschnitt Münnerstadt bis Landesgrenze. Am 14. Oktober 2005 ist dann zunächst der Abschnitt vom Dreieck Werntal bis zur Ausfahrt Bad Kissingen/ Oerlenbach für den Verkehr freigegeben worden, am 17.12.2005, genau heute vor zehn Jahren, war die A 71 bis Erfurt und Bindersleben fertig. Die neue Autobahn war für den Verkehr frei.

Die A 71 hat gleich mehrere Superlative: Mit dem Rennsteigtunnel hat sie den längsten Tunnel Deutschlands (7878 Meter); nicht weniger als rund 30 Großbrücken wurden zwischen Geldersheim und Erfurt gebaut, von denen die Talbrücke "Wilde Gera" mit 252 Metern Spannweite die größte Stahlbetonbrücke in Deutschland ist. Eine weitere Besonderheit der A 71 ist ihr Ausbaustandard im Bereich des Talwassergrabens bei Münnerstadt. Aufgrund der hier vorhandenen Trinkwasservorkommen - genutzt von den Städten Bad Kissingen, Münnerstadt und Rannungen - wurde die A 71 auf einer Länge von zehn Kilometern speziell ausgebaut. Dort ist die Fahrbahn durch den zusätzlichen Einbau einer zehn Zentimeter starken bituminösen Tragschicht abgedichtet worden.


Eine Bilanz nach zehn Jahren

Und zehn Jahre nach der Eröffnung der A 71? ... Die früheren Gegner haben sich mit der Autobahn arrangiert. Die meisten jedenfalls. Ohne den Druck aus der Bevölkerung wäre sicherlich einiges anders gekommen, auf jeden Fall war der damalige Widerstand gegen den Bau nicht vergebens. Die Befürworter sind ob ihrer Erwartungen desillusioniert worden: Die A 71 schafft zwar die Bindung an das bundesdeutsche Autobahnnetz, sie erfüllt Entlastungsfunktion für die Gemeinden an der ehemaligen B 19 (heute Staatsstraße 2445). Aber: Sie hat nicht den wirtschaftlichen Aufschwung gebracht, den sich der eine oder andere erhoffte.

Das hängt auch mit den Verkehrsprognosen zusammen, die vor 15 Jahren von den Planern sehr großzügig und falsch eingeschätzt wurden. So ist die A 71 nicht zu einer - befürchteten - Transitautobahn geworden, sondern zu einer kleinen, schmucken Regionalautobahn. Es lässt sich gemütlich und stressfrei auf ihr fahren, und die Landschaft kann man auch genießen.