65 Jahre Schauspielkunst
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Freitag, 13. Februar 2015
Mario Adorf zieht mit umwerfender Bühnenpräsenz noch immer das Publikum in seinen Bann. Im Großen Saal des Regentenbau gab es Standing Ovations für sein Programm "Schauen Sie mal böse".
Natürlich haben Schauspieler viel zu erzählen. Und da sie Bühnenprofis sind, können sie das auch gut. Und wenn sie ein hohes Alter erreicht haben, können sie auch viel, die Theatergeschichte eines ganzen Landes erzählen. Und wenn sie mit 84 noch solche Energiebündel sind wie Mario Adorf, dann können sie das ausgezeichnet.
Und so entpuppte sich das neue Programm Adorfs, das er im Großen Saal der Regentenbaus präsentierte, als wesentlich mehr als sein Titel verspricht: "Mario Adorf liest 'Schauen Sie mal böse' - Geschichten aus seinem Schauspielerleben" ist eine Mischung aus der für ihn so typischen fast persönlich wirkenden Erzählung, die er eigentlich ja vorliest, aber an entscheidenden Stellen vorspielt, vorsingt mit erstaunlicher Stimme, seinem Talent zu Imitation und Parodie und seiner umwerfenden Bühnenpräsenz.
Köstliche Geschichten
Natürlich, einige seiner Geschichten kennt man hier schon, denn als bekennender Kissingen-Liebhaber war er bei Freunden schon häufig privat und als Schauspieler bei beiden Festivals zu Gast, doch wenn sie einem so gut präsentiert werden, amüsiert man sich gerne noch einmal über seine meist köstlichen, manchmal auch nachdenklich machenden Geschichten über seine eigene und 65 Jahre Schauspielkunst in Deutschland.
Von seinen Kinderjahren in Mayen mit "Jungvolk" und Fanfarencorps in der Eifel bei seiner alleinerziehenden Mutter, die als Näherin ihr Geld verdiente, über Abitur, Studium in Mainz mit Studententheater und Zürich, wo er am Schauspielhaus schon als Komparse und Mädchen für alles mitmachte, bis zum Engagement als Regieassistent dort, Weggang an die Otto-Falckenberg-Schule in München und von dort in die Kammerspiele und die erste Garde der Schauspieler in Deutschland ging es bei ihm rasend schnell. Dabei schlaglichtartige Erinnerungen an seinen Deutschlehrer in der Nazi-Zeit, der ihn als erklärter Pazifist vom Box-Hobby abbringen wollte, welches der junge Adorf aber noch ausübte, als er sich schon auf eine Premiere im Studententheater am Abend vorbereitete und erst da einsah, dass beides nebeneinander schlecht ging. Und wie er außer Boxer auch noch beinahe Tenor geworden wäre, wenn es nach dem Willen seines Stimmbildners Prof. Müller gegangen wäre, der ihn mit Schubertliedern auftreten ließ. Und wie seine ausgebildete Singstimme es ihm ermöglichte, alle Partien eines bei der Generalprobe völlig vergrippten Opernensembles in Glucks "Iphigenie" am Zürcher Schauspielhaus zu singen - zum großen Ergötzen aller Beteiligten dort und zur Freude des Kissinger Publikums, denn auch ihm sang Adorf einige Kostproben mit immer noch guter Stimme vor.
Von Siodmak bis Kortner
Viel Raum gab Adorf Studium und Engagement in München, wo er von seinem Lehrer Friedrich Domin erfuhr, dass das Wichtigste am Schauspieler sei, "dass er gut riecht", wo ihm der große Peter Lühr das Wunder des ebenso natürlichen wie verständlichen Sprechens zeigte. Und zum Entzücken des Publikums spielte ihnen Adorf einen Hamlet-Part vor und zeigte, wie ein Satz in einer gefürchteten Nebenrolle in Schillers "Don Carlos" für den nervösen Anfänger zur Qual werden und zum kompletten Textsalat führen kann.
Auch der Weg zum Film "Nachts, wenn der Teufel kam", mit dem Adorf 1957 der Durchbruch beim breiten deutschen Publikum gelang, führte über eine skurrile Erstbegegnung mit Regisseur und Produzent Robert Siodmak, der ihn in ein später häufig von ihm gefordertes Rollenbild trieb mit seiner Forderung: "Schaun Se mal böse!" und der ihm im "Hotel Vierjahreszeiten" seinen Muskelfaserriss mit einem neuartigen amerikanischen Spray zu heilen versuchte.
Als gewandter Stimmenimitator konnte Adorf auch die Konsterniertheit bayerischer Polizisten, die ihm Nazi-Handschellen vom eilig verlassenen Filmset abnehmen sollten, wie im zweiten Teil des Abends die großen Kontrahenten Hans Albers und Fritz Kortner wiederauferstehen lassen. Sehr berührend seine Hommage an Kortner mit dessen Shylock-Monolog; sehr witzig die vielen Anekdoten über den bissig-kritischen Regisseur Kortner. Einiges gab's auch zum Schauspieleralltag, von Trunkenheit auf der Bühne, den Schwierigkeiten mit Lachen (dem ungewollten des Schauspielers auf der Bühne) und Weinen und der Darstellung des Todes. Hier outete sich Adorf als Voyeur des Lebens, der sogar am Sterbebett oder bei einem Unfall noch studiert, wie das aussieht auf den Gesichtern der Menschen.
Nach Standing Ovations eines begeisterten Publikums gab es als Zugabe noch das Schmankerl "Toilettefehler" zum Thema des nicht geschlossenen Hosentürls bei den Hörbigers und Adorf selbst. Der große alte deutsche Mime, dessen unzählige Rollen jeweils vor den beiden Teilen des Abends in Bildern und Filmausschnitten gezeigt wurden, schaffte es auch mit 84 noch, sein Publikum über zweieinhalb Stunden völlig in seinen Bann zu ziehen. Chapeau, Herr Adorf!