In dieser Serie wollen wir Sportarten im Selbstversuch vorstellen, die sonst nicht so im Licht der Öffentlichkeit stehen. Diesmal: Radball.
Wenn man zunächst die Halle betritt, fühlt man sich in längst vergessene Zeiten zurückversetzt. Stuck an der Decke und meterdicke Wände machen die Schulturnhalle der Bamberger Domschule aus. Doch unten auf dem Feld geht es zur Sache. Hier trainieren die Radballer des RKB Solidarität 1911 Bamberg-Gaustadt - und heute auch ich.
Und eines wird mir schon beim Zuschauen klar - Fahrradfahren und Radball spielen sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Ein erstes Indiz hierfür ist mein Trainingspartner. Als wir uns unterhalten, steht er neben mir, und zwar auf seinem Rad. Marcel Fuchs, einer der Radball-Spieler beim RKB, denkt nicht einmal daran, von seinem Spielgerät abzusteigen, während er mir erklärt, worum es beim Radball geht.
Schießen ohne Füße
Es geht - ganz banal - darum, mehr Tore zu schießen als der Gegner. So weit, so gut! Dass ich zum Schießen aber weder die Füße noch irgendein anderes Körperteil nehmen darf und während des Spiels tunlichst nicht den Boden berühren darf, erschwert die ganze Sache jedoch gravierend. Aber zunächst einmal schwinge ich mich auf mein Rad.
Schon das wird zum Problem, denn mit normalem Radeln hat das wenig zu tun. Ich versuche, im Sitzen anzufahren. Doch sofort falle ich vom Rad. Der Sattel ist sehr weit hinten am Rad angebracht und verlagert so meinen Schwerpunkt gefährlich nach hinten. Also nochmal das Gleiche im Stehen. Juhuu, ich rolle. Doch schon kommt das nächste Problem: Wie halte ich wieder an? Bremsen am Rad - Fehlanzeige. Marcel ruft mir zu, einfach nicht mehr zu strampeln, dann würde ich stehen bleiben. Gesagt, getan! Ich höre auf und mein Vehikel stoppt abrupt; schon liege ich wieder am Boden.
Da man mit einem Radball-Fahrrad sowohl vorwärts als auch rückwärts fahren kann, reagiert es auf jede meiner Fußbewegungen. Ein weiterer großer Unterschied zum normalen Drahtesel. Nach ein paar weiteren Versuchen drehe ich aber immerhin meine erste Runde auf dem Rad und der Schweiß läuft mir die Stirn hinunter.
"Man braucht Monate, bis man ein Tor schießen kann"
Das wäre also geschafft. Was nun? Marcel rollt mir einen Ball zu und ich versuche, ihn mit meinem Vorderrad zu treffen. Ein unkmögliches Unterfangen. Runde für Runde versuche ich, den Ball auch nur irgendwie zu berühren, aber entweder verfehle ich ihn komplett oder ich treffe ihn ein wenig, falle aber gleichzeitig wieder vom Rad. "Realistischerweise braucht man Monate, wenn nicht sogar ein Jahr, bis man mal ein Tor schießen kann", erklärt mir mein Trainingspartner. Das sei auch der Grund, warum Radball eine absolute Randsportart sei.
Klar, Jugendliche und Kinder, die sich für eine Sportart interessieren, wollen auch schnelle Erfolge sehen. Und nicht vom Rad zu fallen, verbuchen die wenigsten als wirklichen Erfolg. Deswegen ist Radball bei der "Soli" auch Familienangelegenheit. Neben Marcel Fuchs ist auch sein Vater und sein Cousin beim Verein engagiert. Darüber hinaus gibt es noch Lukas Alt, den Jugendleiter des RKB, samt seiner zwei Brüder und dem Vater. Insgesamt spielen drei Teams im Zweier-Radball im Ligabetrieb. Hier spielen sie in der Bayernliga und Landesliga. Zusammen bilden sie das Sechser-Rasenradballteam, das 2013 deutscher Meister wurde und im vergangenen Jahr in Bischberg den Vizemeistertitel errang.
Dabei ist die Nischen-Sportart durchaus schön anzusehen. Als ich das Feld ver- und den Profis die Halle überlasse, zeigen mir diese, was sie alles draufhaben. Übersteiger, Heber, schnelle Wendemanöver, aber auch harte Zweikämpfe sind beim Radball an der Tagesordnung. Und natürlich viele Schüsse. "Bis zu 70 km/h kann so ein Ball schnell werden, wenn wir ihn richtig treffen", erklärt Lukas Alt. "Das kann ganz schön weh tun, wenn man den am Körper auf die falsche Stelle bekommt."
Mit Feuereifer beim Training
Nichtsdestotrotz sind sie mit Feuereifer beim Training dabei und je mehr ich zusehe, desto mehr Lust bekomme ich, auch noch einmal aufs Rad zu steigen. In einer Pause versuche ich es noch einmal. Diesmal mit dem ruhenden Ball. Ich rolle frontal auf ihn zu und treffe ihn praktisch mit der "Pike". Langsam, sehr langsam rollt der Ball auf das Tor zu - und daran vorbei. Ein Erfolgserlebnis ist mir bei meinem Premierentraining also nicht vergönnt. Wie auch! "Im ersten Jahr wird man sicher noch kein Tor schießen", sagt mir Marcel Fuchs, als wir die alte Turnhalle mit der Stuckdecke nach dem Training verlassen.
In zwei Stunden habe ich viel über den Sport Radball gelernt und habe großen Respekt vor den "Soli"-Spielern, die mich nach ihrem Training noch einladen. Wozu? Natürlich zu einem Radler...
Der Verein - Erfolgsklub mit Nachwuchssorgen
Der Rad- und Kraftfahrerbund (RKB) Solidarität 1911 Bamberg-Gaustadt ist einer der mitgliederstärksten Vereine im Bezirk Oberfranken. Insgesamt gibt es 105 Mitglieder. Davon spielen zwölf aktiv Radball, drei Nachwuchsradballer sind zusätzlich im Aufbau.
Am erfolgreichsten waren die Radballer in den letzten sieben Jahren. 2008 wurden sie bereits Vizemeister auf dem Rasen. Drei Jahre später wurde die bayerische Meisterschaft in der Halle gefeiert, ehe 2013 der größte sportliche Erfolg kam - die deutsche Meisterschaft im Rasenradball direkt vor der Haustür bei den Wettkämpfen in Bischberg.
Trotz der Erfolge haben die Radballer so wie viele Randsportarten Nachwuchsprobleme. "Fußball und andere große Sportarten graben uns das Wasser ab, da man hier als Einsteiger einfach schneller Erfolge feiern kann", erklärt Lukas Alt, der Jugendleiter beim RKB. Auch deswegen versuchen die Radballer immer wieder, durch Infoveranstaltungen und Showtrainings in Schulen und Kindergärten auf sich aufmerksam zu machen. Das beste Einstiegsalter für Radballer wäre nämlich mit acht Jahren.
Wer es selbst mal ausprobieren möchte, kann freitags zwischen 17 und 20 Uhr zum RKB-Jugendtraining in die Grundschule Gaustadt kommen.
Die Sportart - Regel eins: Betritt nie den Boden!
Bei der originären Variante des Radballs setzt sich eine Mannschaft aus Feldspieler und Torwart zusammen, wobei diese Positionen im Spiel gewechselt werden können. In der Offensive agieren beide Spieler gemeinsam, in der Defensive verteidigt ein Spieler, während der andere als Torwart im Torraum agiert.
Hier darf der Spieler auch mit seinem Körper den Ball abwehren, muss aber - wie auf dem gesamten Spielfeld - immer beide Füße auf den Pedalen haben. Ist dies nicht der Fall, wird ein Spieler dadurch bestraft, dass er hinter die Torlinie muss, ehe er wieder aufs Rad steigen und ins Spiel eingreifen darf.
In den zwei Mal sieben Minuten, die ein Spiel dauert, sind die Spieler somit immer in Bewegung. Der größte Unterschied zu einem normalen Fahrrad ist, dass Radballräder Spezialmaschinen mit "starrer Hinternabe und direkter Übersetzung" haben. Das erlaubt dem Spieler, sowohl auf dem Rad zu stehen als auch rückwärts zu fahren. Die nach oben gebogene Lenkerstange gibt ihm dafür den nötigen Halt und macht es möglich, dass der Spieler durch gezielte Bewegungen den Ball schießen kann. Natürlich gibt es beim Radball auch Fouls. Hier werden vor allem Angriffe auf das gegnerische Rad geahndet, oder wenn ein Gegenspieler irgendwie vom Rad geholt wird.
Neben der Zweier-Variante gibt es im Radball noch zwei weitere Spielarten. Das Fünfer-Radball wird ebenfalls in der Halle gespielt - allerdings auf einem größeren Spielfeld in einer Dreifachturnhalle. Noch größer wird es, wenn es nach draußen geht zum Sechser-Rasenradball. Dies wird quer auf einem Fußballfeld gespielt.