Vor 75 Jahren wurde am Oberhaider Bahnhof ein KZ-Transportzug mit 500 jüdischen Mädchen und Frauen abgestellt. Zeitzeugen erinnern sich.

Solche Geräusche hatte der Zweitklässer Karl Stretz noch nie zuvor gehört. Und auch bis heute hat der inzwischen 81-Jährige nichts auch nur ansatzweise Ähnliches vernommen. Noch immer emotional höchst aufgewühlt sucht er nach den passenden Worten. Es geht um die Geräusche, die aus dem Inneren von Viehwaggons drangen, die bei Oberhaid abgestellt waren: Eine Geräuschkulisse wohl aus Jammern, Schluchzen, Flehen, Schreien, Wimmern - von rund 500 jüdischen Mädchen und Frauen. Fast verhungert, gedemütigt, geschlagen, vergewaltigt; auf dem Weg ins 400 Kilometer entfernte KZ Mauthausen in Österreich; auf Gleis 1 abgestellt bis zum Weitertransport.

Aus dem Zug geworfen

Den sieben nicht mehr erlebten. "Ihre Leichen wurden aus dem Zug geworfen", sagt Carsten Joneitis leise und: "Sie sollen nicht vergessen bleiben, der Todestransport, dieser ganze Wahnsinn."

Am Sonntag, 23. Februar, findet in Oberhaid eine Gedenkstunde statt. Um 18 Uhr wird ab der Pfarrkirche eine Lichterkette zu Gleis 1 in Bewegung gebildet. Dank einer Sondergenehmigung der Bahn kann die Gedenkveranstaltung direkt bei Gleis 1 erfolgen, ganz in der Nähe, wo die Leichen hingeworfen worden waren.

Eine Veranstaltung zum Jahrestag des Todestransport-Aufenthaltes hatte es in Oberhaid noch nicht gegeben. Angesichts der AfD-Wahlergebnisse im letzten Jahr sieht Bürgermeister Joneitis (SPD) dafür nun dringend Handlungsbedarf. Auch, weil man Zeitzeugen, die das in irgendeiner Form miterlebt haben, jetzt noch fragen könnte. Neben Karl Stretz gehören Baptist Stark (82) und Agnes Stretz (90) zu diesen Zeitzeugen.

In Oberhaid wurden immer wieder russische Kriegsgefangene bei Gleisarbeiten eingesetzt, erinnern sich die Senioren. Die Bevölkerung hatte durchaus Mitgefühl. So berichtet die 90-Jährige, dass man einmal für Schweine gekochte Kartoffeln kurzfristig einfach zu den Gefangenen brachte, nachdem ihre Ankunft bekannt geworden war. Diese Geschichte ist im Ort bekannt.Vom abgestellten KZ-Transport hingegen hat Agnes Stretz nichts mitbekommen. Ganz klar, über so etwas " durfte nicht viel gesprochen werden."

Baptist Stark war ein Schuljunge und ist mit anderen hinunter zum Zug, um Nahrung durch die Schlitze zu werfen. Gesehen habe er nichts, nur gehört. Eben diese Geräusche. "Frauen haben gejammert." Aber die Posten hätten die Jungs weggeschickt.

Karl Stretz hingegen wurde mit seiner Klasse vom Lehrer, "ein richtiger Nazi", gezielt zum Zug geschickt: Sie mussten Wasser vom Brunnen in Blechwannen zu den Waggons tragen. Wofür sagte man ihnen nicht. Dann wurden sie weggeschickt. Doch die Geräusche aus den Waggons vergisst er nie. "Alles, was man sich wünscht ist, dass man keinen Krieg mehr erleben muss", sagt Agnes Stretz tonlos. Karl Stark nickt stumm.

Für Karl Stretz ist das heute stillgelegte Gleis 1 ein Ort der Erinnerung und Mahnung: "Bloß das nicht mehr!"

Carsten Joneitis fühlt genauso, und meint, all dies dürfe nicht in den Geschichtsbüchern verschwinden. Die Gedenk-Veranstaltung soll dem entgegenwirken. "Es ist unser Auftrag gegen das Vergessen und das Schweigen vorzugehen."

Kreisheimatpflegerin Annette Schäfer findet den Ansatz gut. Dennoch würde sie auch eine Zusammenschau jüdischen Lebens zwischen 1940 und 45 im Landkreis befürworten. Denn es gab wohl einige Deportationen in der Region. "Aber jeder schreibt eben erst mal nur über seine Gemeinde."

Die in Oberhaid aus dem Zug geworfenen Leichen kamen in ein Gemeinschaftsgrab an der Mauer im Ortsfriedhof. Später wurden sie in den Ehrenfriedhof in Flossenbürg überführt: "Feld C, Reihe 16a, im Grab Nr. 2509-2515", zitiert Joneitis die Chronik. "Das darf nicht alles sein, eine Nummer im KZ-Friedhof!"

KOMMENTAR:

Nie wieder!

Es gehört wohl zum dunkelsten Kapitel der Oberhaider Ortsgeschichte - in der Chronik ist die Rede von "einem vieldiskutierten, grausigen Ereignis". Gemeint ist der 24. Februar 1945, als einer der letzten KZ-Transporte hier Station machte. Erstmals bekam die Bevölkerung die Menschen zu sehen, von denen die Propaganda immer behauptet hatte, sie seien in Lagern, um zu arbeiten.

Nackte, kahl geschorene , fast skelettierte Frauen in Viehwaggons. Die Chronik berichtet von grausamen Misshandlungen durch die Bewacher von der SS.

Einige Oberhaider versuchten, den Frauen heimlich Nahrung zu geben. In der Chronik wird die Frage aufgeworfen, ob die Bevölkerung nicht etwas hätte tun können, wie andernorts. Ob sie nicht angesichts der Grausamkeiten hätte anders reagieren müssen. Eine heute wohl rhetorische Frage, zumal die NSDAP hier bis zum Schluss hervorragend funktionierte, die Menschen, wie die Zeitzeugen berichten, Angst hatten. Umso notwendiger und angesichts der Tendenzen bei der Europawahl wird die Gedenkveranstaltung. Fast 20 Prozent AfD-Wähler in Oberhaid - was ist da schief gelaufen? Höchste Zeit, sich mit dem 24. Februar zu befassen! Es darf nicht bei Gebeten und Kerzen bleiben. Die furchtbare Begebenheit vor 75 Jahren ist heute eine Verpflichtung: für Oberhaid, für den Landkreis, für uns alle. Damit so etwas nie wieder passiert.