In Kulmbach fliegen die Fäuste auf dem Fußballplatz - und das mit voller Absicht. Wir wagen den Selbstversuch im Faustball.
Bisher waren es immer Vereinsmannschaften oder Einzelsportler, bei denen ich zu Besuch sein durfte. Diesmal ist es eine Nationalmannschaft, die mich zum Mittrainieren eingeladen hat - man muss sich ja steigern können. Das Damen-Nationalteam im Faustball hält seinen letzten Lehrgang vor der Europameisterschaft in Kulmbach ab, und ich bin mit Trainerin Silke Eber - einer waschechten Katschenreutherin (Landkreis Kulmbach) - verabredet.
Dass es sich hier nicht um ein normales Training handelt, wird schnell klar. Sehr fokussiert gehen die zwölf Spielerinnen, die aus ganz Deutschland auf das Gelände de ATS Kulmbach gekommen sind, zu Werke. "Sie wissen, dass wir uns vor der EM nicht mehr sehen. Hier geht es heute vor allem darum, den Teamgeist zu stärken und Abläufe zu automatisieren", erklärt Eber.
Vergleich mit Volleyball - aber es gibt gravierende Unterschiede
Für mich geht es in erster Linie darum, den Ball zu treffen. Auch wenn viele den Sport mit Volleyball vergleichen, so gibt es doch gravierende Unterschiede. "Lass Deine Faust geschlossen", ermahnt mich die Physiotherapeutin Kerstin Schmid, mit der ich die ersten Faustball-Versuche wage. Ich soll beim Schlagen nicht so sehr meinen Arm bewegen, sondern mehr aus den Beinen kommen. Gar nicht so einfach, wie man an der Streuung der Bälle sieht, die ich eigentlich zu Schmid zurückspielen soll.
Nur wenige Schläge dauert es, dann weiß ich, warum die Spielerinnen trotz der Bullen-Hitze mitten auf dem Fußballplatz lange Shirts tragen: Die Innenfläche meines linken Unterarms ist so rot wie mein T-Shirt.
Nach ein bisschen Hin und Her versuche ich wieder, Silke Eber zu sprechen, doch die ist ganz vertieft in ihr Training. Gerade beobachtet sie ihr Team bei einem Hindernislauf. Dann geht es zum Dehnen. Auf einmal entdeckt Eber einige Kinder, die das Training beobachten. "Spielt ihr auch Faustball?", fragt sie die Jungen und Mädchen. Ein Nicken. Kurze Zeit später trainiert sie die Kinder in der Übung, die eben noch die Großen absolvierten. "Faustballer sind alle eine große Familie", sagt sie mir später.
Zurück zum Training. Auf dem Feld wird inzwischen scharf geschossen. Sonja Pfrommer, die - wie Silke Eber sagt - weltbeste Faustball-Angreiferin, drischt einen Aufschlag nach dem anderen über die Leine in die gegnerische Hälfte, wo ihre Teamkolleginnen versuchen, den Ball zu erwischen. Sie erklärt mir kurz, wie ich mich beim Aufschlag verhalten soll, dann versuche ich es. An der Drei-Meter-Linie stehe ich, werfe den Ball vor mir hoch - und verfehle ihn ...
Meine Trainingspartnerin lacht, die Bundestrainerin grinst, ich sorge für Erheiterung. Den zweiten Ball treffe ich immerhin, allerdings eiert er gerade mal so ins gegnerische Feld - von Wucht oder Präzision bin ich weit entfernt. Sonja gibt mir noch einen Ball, und erklärt mir, dass man Faustball nicht von heute auf morgen lernt. "Ich spiele schon seit ich sechs Jahre alt bin", sagt die Nationalspielerin, die mir ihr derzeitiges Alter aber nicht verraten will.
Nach einem weiteren erfolglosen Aufschlag gehe ich auf die andere Seite. Hier kommen die Bälle an, denen Sonja "die Faust gibt". Sie fliegen flach über die Leine und springen schnell vom Rasen wieder hoch. Die Abwehrspielerinnen haben alle Mühe, jeden Ball zu erreichen. Sie nehmen beidhändig an und werfen sich auf den Boden. Kein Ball geht verloren. So geht das Training noch eine Stunde weiter. Silke Eber ist für den Anfang zufrieden. Die EM kann kommen.
Die Sportart: Fünf Spieler auf 500 Quadratmetern
Gerne wird Faustball mit Volleyball verglichen. "Doch die beiden Sportarten unterscheiden sich doch in wesentlichen Elementen", erklärt Damen-Nationaltrainerin Silke Eber. Auf den ersten Blick gibt es noch Ähnlichkeiten. Zwei Teams stehen sich gegenüber, nach einem Aufschlag versucht ein Team mit maximal drei Ballberührungen das Spielgerät über eine Leine (kein Netz) wieder zurück zum Gegner zu spielen. Doch hier ist auch schon der gravierendste Unterschied: Im Faustball darf der Ball pro Berührung einmal auf den Boden springen.
Das ist schon allein deswegen notwendig, um die Weite eines Faustball-Feldes zu überbrücken. Das ist im Freien 50 Meter lang und 20 Meter breit. Jedes Team hat damit 500 Quadratmeter zu verteidigen - und das mit nur fünf Spielern und nicht wie beim Volleyball sechs.
Ein weiterer Unterschied zum Volleyball ist die feste Aufstellung, die es im Faustball gibt. Die Mannschaften rotieren nicht, sondern haben ihre festen Positionen, was auch zur Spezialisierung der Spieler beiträgt. So gibt es Angreifer wie zum Beispiel Sonja Pfrommer, die sich vor allem auf die Schmetterschläge und Angaben konzentrieren. "Dafür bin ich in der Abwehr eine absolute Niete", sagt Pfrommer, die laut ihrer Trainerin die "weltbeste Angriffsspielerin" ist.
Ein solcher Schmetterball wird ganz getreu der Sportart mit der Faust geschlagen. Annahmen und Vorlagen kann man auch mit dem Unterarm spielen. Hier hat man mehr Kontrolle über den Ball. Allerdings muss auch bei diesen Schlägen die Faust immer geschlossen sein, sonst gibt es einen Fehler.
Ein weiterer Unterschied zum Volleyball sind auch die Körperteile, mit denen der Ball gespielt werden darf. Nach dem Unterarm ist beim Faustball nämlich schon Schluss. Dass trotz der Faust eine enorme Wucht hinter den Schlägen stecken kann, zeigen Geschwindigkeitsmessungen. Ein satter Angriffsschlag kann schon einmal 100 bis 120 km/h erreichen.
Deswegen wird man auch in der größten Hitze Faustballer meist mit langen Oberteilen spielen sehen. Sie dienen schlicht zum Schutz der Spieler, da der Arm andernfalls schnell rot werden kann.
Die Mannschaft: Jagd auf Österreich
Im Faustball führt kein Weg an Deutschland vorbei. Das bewies die Damen-Nationalmannschaft zuletzt bei der Weltmeisterschaft vor einem Jahr in Dresden. Da gewannen die Frauen, von denen auch jetzt noch sechs Spielerinnen im Kader sind, mit 3:1 im Finale gegen Österreich. Überhaupt sind die Damen sehr erfolgreich. Bei den bisher sechs ausgespielten Weltmeisterschaften seit 1994 gab es nur ein Finale ohne deutsche Beteiligung. Ansonsten gab es vier Weltmeister-Titel und eine Vize-Meisterschaft.
Die Männer stehen ihren Kolleginnen in nichts nach. Hier wird die WM seit 1968 ausgetragen. In den 13 Auflagen bisher gingen die deutschen Herren zehn Mal als Weltmeister aus dem Turnier. Nur einmal erreichten sie nicht das Finale und wurden "nur" Dritter. Im November steht im argentinischen Córdoba erneut eine Herren-WM an, zu der Deutschland - wie sollte es anders sein - als Titelverteidiger reist.
Die Wurzeln für den Erfolg sieht Damen-Bundestrainerin Silke Eber in der guten Nachwuchsförderung sowie dem guten Scouting. "Auch wenn ich mir die Ligaspiele nicht im Fernsehen anschauen kann, weiß ich doch immer, was auf den Feldern in Deutschland los ist. Wir sind für die Nationalmannschaft gut vernetzt und beobachten potenzielle Spielerinnen kontinuierlich", sagt die Nationaltrainerin.
Dennoch ist es beschwerlicher als in den großen Sportarten. So war der Lehrgang Mitte Juli die letzte Chance für Eber, noch etwas am Spiel und am Teamgeist ihrer Nationalmannschaft zu feilen. Das nächste Mal treffen sich die Spielerinnen bereits in Bozen (Italien), nur wenige Tage bevor die Europameisterschaft beginnt. Und da haben die Damen noch eine Rechnung offen. Die letzten drei EM-Titel holte allesamt Österreich.