Vor drei Jahren wurde Harald Schüler aus Königsberg ein neues Herz implantiert. Wer sein Retter war, wird der 52-Jährige wohl nie erfahren.

Für einen Augenblick ist Harald Schülers Leben wie ausgeschaltet. Der Moment zwischen zwei Herzen. Der Moment, vor dem der 52-Jährige lange Angst hatte. "Wenn das abgeklemmt ist, dann ist Feierabend." Als er wieder aufwacht, schlägt plötzlich das Herz eines anderen in seiner Brust. Doch wirklich fremd habe es sich für ihn nie angefühlt.

Mit einer harmlosen Grippe fängt 2008 alles an. Weil sich Schüler nicht richtig auskuriert, entzündet sich sein Herzmuskel. Er bekommt nur noch schlecht Luft, fühlt sich schlapp und müde. Dass die Ursache dafür in seiner Brust sitzt, erkennen die Ärzte erst Monate später, schieben Schülers Kraftlosigkeit zunächst auf Magenprobleme, falsche Ernährung und seine Diabetes-Erkrankung. Erst als Schüler ins Diabetes-Koma fällt und sechs Wochen lang im Schweinfurter Krankenhaus liegt, wird die Fehlfunktion deutlich. "Und dann war es fast zu spät. Ich wurde medikamentös und mit einem Defibrillator behandelt", erzählt der 52-Jährige. "Mein Herz hat sich aber nicht mehr erholt."

Einige Jahre habe er mit dem Defibrillator gut gelebt, bekam 2015 sogar ein aufgerüstetes Gerät eingesetzt - bis sich der Herzschrittmacher infiziert. Bei einer Nachuntersuchung stellen die Ärzte Wassereinlagerungen und eine Rhythmusstörung fest. "Dann ist die Herzleistung komplett zusammengebrochen."

Vom Schweinfurter Krankenhaus wird er am 1. Juni 2016 in die Würzburger Uni-Klinik umstationiert. Das Team der Herz-Thorax-Chirurgie versucht zunächst, seine undichte Herzklappe zu operieren - erfolglos. Seine behandelten Ärzte sehen nur einen Ausweg: Der 52-Jährige wird sofort auf die Hochdringlichkeitsliste für ein Spenderherz gesetzt - für Schüler ein Schock. "Wenn das neue nicht passt oder irgendwas bei der Operation schiefläuft, dann ist es vorbei."

Die Kriterien sind streng

Um überhaupt als hochdringlich gelistet zu werden, darf Schüler keine zusätzlichen Krankheiten haben. "Der Diabetes war das äußerste, was sie noch akzeptiert haben", sagt er. "Sonst wird anderweitig geschaut, dass man den Patienten am Leben erhält, beispielsweise mit einem Kunstherz."

Wochen vergehen. Schüler wird auf der Intensivstation überwacht, während er weiter abbaut. "Sie haben mir immer mehr Medikamente gegeben und mir alle zwei Stunden Blut abgenommen. Ich konnte nicht einmal mehr aus dem Bett raus." Noch immer ist kein passendes Organ gefunden. Als acht Wochen verstrichen sind, hebt sich die Hochdringlichkeit auf. "Dann ist die Prozedur wieder losgegangen." Schüler wird ein weiteres Mal komplett durchgecheckt, bevor er erneut gelistet werden kann.

Das Warten hat ein Ende

Dann, nach zwölf Wochen, ist es endlich soweit. Schülers behandelnder Arzt kommt morgens an sein Bett: "Es könnte sein, dass wir heute was Passendes für Sie haben." Wie es sich angefühlt hat, endlich die erlösende Nachricht zu hören, daran kann sich Schüler nicht mehr erinnern. "Da war ich nämlich schon ein bisschen durch den Wind." Erst eine Woche später wacht er wieder auf - mit einem neuen Herzen in der Brust.

Doch ein neues Herz bedeutet nicht gleich neue Vitalität. "Ich habe fast vier Wochen gebraucht, bis ich wieder auf den Beinen war und zur Reha konnte." Auch nach der Transplantation muss Schüler regelmäßig zu Nachuntersuchungen, denn es besteht immer die Gefahr einer Infektion. Schüler achtet penibel auf seine Medikamenteneinnahme und Hygiene, trägt sogar zuhause lange einen Mundschutz. "Und genau nach einem Jahr hat sich mein Körper gewehrt und gesagt, da ist was drin, das mir nicht gehört." Die Ärzte bekommen die Abstoßung mit Medikamenten unter Kontrolle. Wäre Schülers neues Herz abgestorben, hätten künstliche Geräte die Wartezeit auf ein zweites Spenderorgan überbrücken müssen. "Aber ich gehe mal davon aus, diese Chance hat man nur einmal im Leben."

Bei der Debatte um das neue Organspende-Gesetz hätte sich Schüler eine Widerspruchslösung gewünscht. Eine klare Angabe, ob und welche Organe gespendet werden können, beispielsweise auf der Krankenkassenkarte, könnte sich Schüler als Lösung vorstellen. "Damit man weiß, derjenige ist bereit, alles zu geben. Ich habe davon nur profitiert."

In wessen Brust sein Herz zuvor geschlagen hat, weiß Schüler nicht. Schon mehrmals wollte er die Ärzte danach fragen, tat es dann aber nie. "Gut möglich, dass die Info etwas ändern würde." Ein Arzt habe jedoch angedeutet, dass er ein junges Herz in sich trage. Schuldgefühle gegenüber dem Spender habe er keine, das hätten ihm die Ärzte ausgeredet. "Die Person ist ja nicht für mich gestorben, sondern hat sich bereit erklärt, die Organe zu spenden." Bei einer Lungenfunktionsprüfung habe er kürzlich fast die Werte eines gesunden Menschen erreicht. Seinem Spender möchte er vor allem eines sagen: Dass er eine gute Entscheidung getroffen habe.

300 Patienten warten in Würzburg auf ein Spenderorgan. Die Niere ist das am häufigsten transplantierte Organ, die Leber das zweithäufigste.

10 Jahre kann die Wartezeit für eine Niere betragen. Auch Herzkranke mit hoher Dringlichkeit stehen bis zu einem Jahr auf der Warteliste.

Organtransport und Infos zum Spender

Haßfurt Da die Haßberg-Kliniken ein Regionalversorgungskrankenhaus sind, werden dort keine Organe transplantiert. "Wir haben aber Transplantationsbeauftragte, die für Organentnahmen geeignete Patienten ausmachen und den Weg auf eine Explantation vorbereiten", erklärt Vorstand Stephan Kolck. 2019 sei dies einmal vorgekommen. In diesem Fall wurden die Organe über den Haßfurter Flugplatz an der Ort geflogen, an dem die sie wieder implantiert wurden.

Würzburg Die Spende nach dem Hirntod ist anonym. "Die Herausgabe von Daten zu Spender und Empfänger durch die Klinik ist nicht möglich", erklärt Anna Laura Herzog, geschäftsführende Ärztin des Würzburger Transplantationszentrums. Erlaubt sind nur die Weitergabe von Alter, Todesursache und Vorerkrankungen des Spenders. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation bietet den Empfängern jedoch an, einen anonymisierten Dankesbrief zu verfassen.