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Mörder aus Kaltenbrunn: Der Fall Wittmann


Autor: Matthias Einwag

Kaltenbrunn im Itzgrund, Freitag, 19. Juni 2020

1968 ermordete der Arbeiter Manfred Wittmann aus Kaltenbrunn eine 14-jährige und 1969 zwei 16-jährige Frauen.
Manfred Wittmann während des Prozesses 1971 vor dem Coburger Schwurgericht Foto: Archiv


Es war die grauenvollste Verbrechensserie der Nachkriegszeit zwischen Main und Itz: Der ledige Beton-Mischer Manfred Wittmann (damals Mitte 20) aus Kaltenbrunn brachte am 19. Dezember 1968 eine Schülerin und am 28. August sowie 15. November 1969 zwei weitere Mädchen auf grausame Weise um: Nora Wenzl (14) aus Welsberg (damals Landkreis Staffelstein), Helga Luther (16) aus Lichtenfels sowie Sieglinde Heubner (16) aus Kaltenbrunn.

Diese Verbrechen schockten die Menschen in der Region und riefen in ganz Deutschland ein großes Medienecho hervor. Nicht nur an Biertischen wurde damals die Todesstrafe für den Dreifachmörder gefordert, der am 12. Dezember 1969 in seinem Heimatort Kaltenbrunn festgenommen wurde.

Im November 1971 fand der Strafprozess vor dem Coburger Schwurgericht statt, wobei der Münchner Staranwalt Rolf Bossi die Verteidigung Wittmanns übernommen hatte. Der Serienmörder wurde zu dreimal lebenslanger Haftstrafe verurteilt, die er in der Justizvollzugsanstalt Straubing absaß. Nach einer Entscheidung des das Oberlandesgerichts Nürnberg wurde Wittmann 2013 nach 43 Jahren Haft in die Obhut eines Altenheims entlassen.

Der erste Mord an Nora Wenzl

Folgendes war vor über 50 Jahren geschehen: Am 19. Dezember 1968 war die 14-jährige Nora Wenzl aus Welsberg auf dem Heimweg von ihrem Arbeitsplatz, einem Kaltenbrunner Friseursalon, von einem Unbekannten verschleppt worden. Auf der Suche nach dem Mädchen wurden bei Bodelstadt Spuren gefunden, die in einen Acker führten. Mitten auf diesem Feld fanden Polizeibeamte das Fahrrad, die Handtasche und Kleidungsstücke der 14-Jährigen. Von dieser Stelle aus verliefen Spuren zu einem etwa 200 Meter entfernten Feldweg, wo sie sich verloren. Die Polizei vermutete, dass das Mädchen mit einem Auto weggebracht wurde.

In den folgenden Wochen wurde intensiv nach Nora Wenzl gesucht, wobei Hubschrauber und Bundeswehrsoldaten eingesetzt wurden. Die Suche brachte jedoch kein Ergebnis. Erst Mitte Februar 1969 wurde die Leiche des Mädchens am Rechen der Main-Staustufe Vie reth (Kreis Bamberg) angetrieben.

Im Prozess in Coburg gab Wittmann zu, Nora Wenzl nach Breitengüßbach gebracht, dort ermordet und in den Main geworfen zu haben. Sein stark mit Blut bespritztes Auto verbrannte er daraufhin auf einem Schuttplatz.

Als am 28. August 1969 die 16-jährige Helga Luther aus Lichtenfels ermordet aufgefunden wurde, schockierte das die Menschen in der Region erneut. Die Tote wurde von einer Bäuerin bei Beikheim (an der Landkreisgrenze Lichtenfels-Kronach) gefunden. Ein Unbekannter hatte die junge Frau offenbar teilweise entkleidet, ihr die Kehle durchstochen und sie in einem Wassergraben an einer Straßenböschung liegen lassen. Die Polizei war wegen der Parallelen zum Mordfall Wenzl wie elektrisiert: In beiden Fällen waren die Hände der Opfer mit einem Wäschestück auf dem Rücken

zusammengebunden.

Vor Gericht gab Wittmann später zu, das Mädchen am Mohrenkeller in Coburg im Auto mitgenommen zu haben. Dort habe die 16-Jährige winkend gestanden. Über Sonnefeld sei er zu der Stelle gefahren, an der die Tote später aufgefunden wurde. Er habe versucht, sich an dem Mädchen zu vergehen, sagte er vor Gericht aus. Die 16-Jährige habe sich selbst entkleidet, worauf ihn, Wittmann, ein Ekel erfasste und er sie aus dem Auto stieß. Als Helga Luther zu schimpfen begann und ihn anzuzeigen drohte, habe er sie erstochen.

Zum Mörder ins Auto gestiegen

Die dritte Tat, der Mord an der 16-jährigen Sieglinde Heubner aus Kaltenbrunn, geschah am 15. November 1969. Die junge Frau wollte an diesem Abend mit dem Bus zu einer Tanzveranstaltung nach Rossach im Kreis Coburg fahren. Dort kam sie aber nie an. Ihr Vater hatte jedoch beobachtet, dass sie in der Nähe der Bushaltestelle in ein Auto einstieg. Von diesem Zeitpunkt fehlte jede Spur von ihr.

Eine Lokalzeitung schrieb nach dem Mord an Helga Luther "Der Mörder lebt unter uns" und griff zu einem ungewöhnlich skurrilen Mittel: Man holte Erwin Grünig, den "Seher vom Bodensee", nach Coburg. Dieser Mann gab eine Beschreibung des Täters ab, die zur Aufklärung der Morde beitrug. Der Seher hatte den Täter als einen Mann mit dunklem, gewelltem Haar und angewachsenen Ohrläppchen beschrieben, der mit Maschinen arbeite.

Auch wenn der Seher nicht mit allen Angaben ins Schwarze traf, trug seine Anwesenheit offenbar doch dazu bei, Wittmann bei der Vernehmung zu einem Geständnis zu bringen. Der Polizei war der Kaltenbrunner kein Unbekannter, denn er war schon mehrmals überprüft worden - unter anderem, weil er 1959 eine 19-jährige Arbeitskollegin seiner Schwester überfallen hatte, der er zufällig auf dem Nachhauseweg von einem Kinobesuch begegnet war. Nach seinem Geständnis führte Wittmann die Beamten im Dezember 1969 zur Leiche Sieglinde Heubners, die er in der Waldabteilung Lindig unweit von Freudeneck versteckt hatte. Die Tote lag in einer durch die Vegetation und topographische Gegebenheiten schlecht einsehbaren Mulde, die von einem Bächlein durchflossen wird.

Wie sich im Lauf des Prozesses herausstellte, saß Wittmann am Abend, als Sieglinde Heubner verschwand, am Stammtisch einer Gastwirtschaft. Er sei dann verschwunden und nach etwa zwei Stunden zurückgekehrt, ohne eine Regung zu zeigen.

Der Mörder wird festgenommen

Der Staffelsteiner Polizist Karl Schardt (1918 - 2009) war 1969 einer der Beamten, die Wittmann in dessen Elternhaus in der Ortsmitte von Kaltenbrunn festnahmen. In einem Interview mit dieser Zeitung im Jahr 2006 erinnerte sich der damals 88-Jährige an diese Tage im Jahr 1969: "Das war mein größtes Ereignis." Und er fügte hinzu: "Gewehrt hat er sich nicht." Nach kurzem Schweigen erzählte Karl Schardt, dass er sich gut an jenen Ort erinnere, an dem die Leiche Sieglinde Heubners geborgen wurde: "Ich weiß bis heut' noch, wo des Mädla geleg'n war." Die Mutter des Mörders - da war sich der pensionierte Polizeibeamte sicher - habe über die Taten Bescheid wissen müssen. Das mit Blut besudelte Auto habe ihr nicht entgehen können. Sie habe geschwiegen, sagte Karl Schardt, obgleich sie nach der ersten Tat vielleicht weitere Morde hätte verhindern können.

Vor dem Mord das Opfer gequält

Während der Gerichtsverhandlung in Coburg kamen Details ans Licht: Nachdem Wittmann als Kind beim Schlachten eines Schweins zugesehen hatte, entwickelte er Gewalt- und Tötungsfantasien, die darin bestanden, eine Frau mit dem Messer möglichst lange zu Tode zu quälen und mit einem Stich in den Hals zu töten. Im Bitumenwerk Großheirath hatte er Sieglinde Heubner gefoltert, indem er sie gegen einen heißen Ofen drückte. Angesichts der Drohungen, denen der Angeklagte bei Ortsterminen ausgesetzt war (in Großheirath rief ein Mann: "Steckt ihn in den Ofen!") traf das Gericht Sicherheitsvorkehrungen, denn es gab Anzeichen für Lynchjustiz.

Wittmann wurde von Sachverständigen als zwar körperlich und geistig gesund bezeichnet, wenngleich geringe Missbildungen am Gehirn des Täters diagnostiziert wurden - Anzeichen von körperlicher und psychischer Abnormität, die aber keinen Krankheitswert besäßen. Wittmanns Anwalt Rolf Bossi versuchte während des Prozesses, eine Einweisung in die Psychiatrie zu erreichen.

Das Gericht folgte diesem Antrag jedoch nicht. Es hielt Wittmann trotz zweier psychiatrischer Gutachten für schuldfähig und verurteilte ihn am 15. Dezember 1971 zu dreimal lebenslanger Haft bei Feststellung besonderer Schwere der Schuld.

Die Gutachter hatten Wittmann unter anderem eine schwer abartige sexuelle Entwicklung echt sadistischer Prägung sowie eine suchtähnliche, krankhafte Triebentgleisung mit dranghaftem Verlangen attestiert.