Druckartikel: Wiltrud Weltzer gewährt Einblick in ihren neuen Roman

Wiltrud Weltzer gewährt Einblick in ihren neuen Roman


Autor: Ekkehard Roepert

Bammersdorf, Montag, 13. April 2020

Wiltrud Weltzer erzählt in ihrem Roman "Flieh oder spiel" über das Phänomen des Sündenbocks und über die Heilkraft der Musik.
In Zeiten von Corona ändern sich auch die Buch-Präsentationen: Wiltrud Weltzer mit ihrem Roman "Flieh oder spiel" am Fenster ihres Hauses in Bammersdorf.  Foto: Barbara Herbst


Bammersdorf Dominic heißt die Hauptfigur dieses Romans - und sein Name ist eine Art Programm, das im Hintergrund abläuft und an dem sich der jugendliche Held schmerzhaft abarbeitet. In einer seiner vielen Krisen hören wir ihn über sich selbst reflektieren: "Dominic bedeutet herrschaftlich und als Substantiv Herr. Damit wollte und konnte er sich nicht identifizieren."

Zu Beginn des Buches ist Dominic Schneider 13 Jahre alt. Er lebt bei seiner alleinerziehenden Mutter in Hamburg. Sein über alles geliebter Vater ist "Professor Götze, Doktor der Medizin". Er lebt mit seiner Frau und seiner jüngeren Tochter in Augsburg. So ergibt sich ein spannungsgeladenes Setting: Dominic ist das Produkt einer Liebschaft seines Vaters mit einer 30 Jahre jüngeren Kollegin. Der Vater bekennt sich letztlich nicht zu ihr, möchte aber seinem Sohn nah sein. Der wiederum möchte dazugehören und sucht verzweifelt den Kontakt zu seinen "Halbschwestern". Vor allem aber Meike verachtet ihren Halbbruder, weil sie ihn als Zerstörer des Familienidylls betrachtet und ihn brandmarkt.

Wiltrud Weltzer, die in den vergangenen Jahren mit einem Kinderbuch, einer Biografie über ihre Großmutter und dann mit zwei äußerst erfolgreichen Erzählbänden für Senioren im renommierten Reinhardt-Verlag in Erscheinung getreten ist, legt jetzt diesen Entwicklungsroman vor. Dabei bleibt sie ihrer Gewohnheit treu, schreibend an Tabus zu rühren. In diesem Fall ist es das Tabu des Sündenbocks, das seit Jahrhunderten als stabilisierende Grundlage unserer Kultur funktioniert. Und das ideal geeignet ist, auch in Patchwork-Familien zugleich zerstörerisch und sinnstiftend zu wirken.

Die Autorin aus Bammersdorf (Gemeinde Eggolsheim) schreibt leichtfüßig und unmissverständlich gegen den fatalen "Zwang, in jeder neuen Generation ein Familienmitglied zum Sündenbock zu machen".

Dominic scheint prädestiniert für die Rolle des Sündenbocks. Weil seinem eitlen und unentschlossenen Vater das Standing in der eigenen Familie fehlt, hat Dominic keinen Rückhalt bei den Halbgeschwistern. Seine Angst, nicht geliebt zu werden, macht ihn zum idealen Opfer; auch deshalb, weil er durch seine Intelligenz und seine außergewöhnliche musikalische Begabung den Neid seiner Mitmenschen weckt.

Heilkraft der Musik

Es ist eine Geschichte über Zugehörigkeit, die sich phasenweise spannend wie ein Krimi liest, weil das Motiv von Meikes Hass auf ihren Halbbruder lange im Dunkeln liegt. Bis zur letzten Seite des Buches bleibt offen, ob sich die Sehnsucht Dominics nach seiner Halbschwester nicht doch noch irgendwie erfüllt.

Offensichtlich verfolgt die Autorin einen psychologischen Ansatz: In der allwissenden Erzähl-Stimme klingt immer auch die Stimme der Gestalttherapeutin Wiltrud Weltzer durch; streckenweise liest sich dieser Entwicklungsroman wie eine Handlungsanweisung im Umgang mit rebellierenden und depressiven Jugendlichen. Es fehlt nicht an therapeutischen Einsichten; etwa um darauf hinzuweisen, wie die Heilkraft der Musik helfen kann, Lebenskrisen zu meistern. "Flieh oder spiel" - der Appell, der im Titel des Romans steckt, weist den Weg zur Heilung: Die Alternative, vor den Verletzungen der Kindheit zu entfliehen, liegt darin, das Leben als Spiel zu entdecken. Wobei Dominic Schneider dafür das Cello-Spiel als ausdrucksvolles Medium dient. "Sag´s mit Tönen", rät ihm sein Mentor und Cellolehrer. Am Ende der Geschichte erlebt der Leser Dominic Schneider als gereiften jungen Vater. Dem es, auch dank seines Cellos, gelingt, die selbstzerstörerische Rolle des schwarzen Schafes hinter sich zu lassen.

Interview: Die "Schande" einer Familie zu sein - "leider gibt es das auch heute noch"

Sind Familiengeschichten Leidgeschichten? Die Autorin Wiltrud Weltzer aus Bammersdorf hat mit dem FT über Motive ihres Romans "Flieh oder spiel" gesprochen.

Zuletzt schrieben Sie erfolgreich für Senioren. Hat Ihr neuer Roman ebenfalls eine Zielgruppe?

Wiltrud Weltzer: Das Buch ist für Menschen geschrieben, die sich für menschliche Entwicklungen interessieren. Ich bin selbst an der Entwicklung von Persönlichkeiten interessiert, ich denke, das kommt auch in dem Roman raus.

Sind Sie Anhängerin der These, dass ein leidvolles Leben eine ideale Grundlage für eine Künstlerkarriere ist?

Nicht unbedingt, es kann aber durchaus sein. Meine Arbeitsthese war: Dominik wird ausgegrenzt und er geht am Ende gestärkt daraus hervor.

Dominic, der Held Ihres Romans, empfindet sich als "Schande einer rechtschaffenen Familie". Glauben Sie, dass sich uneheliche Kinder in einer aufgeklärten Gesellschaft noch so fühlen müssen?

Es müsste grundsätzlich überhaupt nicht so sein, es sei denn, man gibt jemandem das Gefühl, dass es so ist. In der Familie, die in dem Roman beschrieben ist, wird etwas erzählt, was es aber auch heute leider noch gibt. Obwohl man bei anderen gerne ein Auge zudrückt. Sobald es die eigene Familie betrifft, kann es ein Drama sein.

Die Psychotherapie kommt in Ihren Roman nicht immer gut weg. Täuscht dieser Eindruck?

Eine Kritik an der Psychotherapie sollte es nicht sein. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass viele Menschen das Reden über die Psyche als Psycho-Gelaber empfinden. Tatsächlich gibt es ja auch Analytiker, die alles zu wissen glauben über sich und die anderen, bei sich aber nichts ändern. Diese Kritik kann man aus dem Buch herauslesen, dass Therapie nicht nur im Kopf stattfindet, sondern dass sie durchlebt werden muss. Dominik ist jedenfalls jemand, der die Konsequenzen zieht.

War Wut das Schlüsselwort? Das fragt sich der unter seinen Eltern leidende Dominic. Ist es unumgänglich, dass wir alle unter unseren Müttern und Vätern leiden?

Nein, unumgänglich ist es nicht. Unumgänglich ist nur, dass sich Jugendliche in der Pubertät viele Fragen stellen und dass sie sich abnabeln müssen. Aber man muss nicht zwangsweise einen schweren Leidensweg gehen. Interessant ist ja auch, dass in ein und derselben Familie Geschwister ihre Eltern sehr unterschiedlich erleben.

Ihr Roman ist sehr spannend und zugleich sehr lehrreich. Wovon ließen Sie sich inspirieren?

Der Roman und die Figuren sind frei erfunden. Aber natürlich spielen viele Lebenserfahrungen und Erfahrungen aus dem eigenen Familienumfeld mit hinein.

Die Fragen stellte Ekkehard Roepert.