Der künftige Chef im Rathaus der Gemeinde Redwitz ist ein Mann aus der Wirtschaft. Kommunalpolitik war bislang ein Hobby.

Normalerweise wäre die erste Amtshandlung für den neuen Bürgermeister am 1. Mai die Eröffnung des Freibads gewesen. Aber was ist schon normal in diesen Tagen! "Am Wahlabend war auch nichts zu feiern", sagt Jürgen Gäbelein und meint damit nicht etwa, dass da keine Freude über das Ergebnis der Stichwahl gewesen wäre. Vielmehr ließen die Infektionsschutzmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie da schon keine Begegnungen in fröhlicher Runde mehr zu. Gäbelein, der aus den Reihen der Unabhängigen Bürger Redwitz (UBR) ins Rennen gegangen war, konnte Glückwünsche zu den erzielten 55,7 Prozent der Wählerstimmen nur in der gebotenen Distanz empfangen. Seither bereitet er sich - häufig vom Home Office aus - auf den Ausstieg aus seiner Firma und den Wechsel ins Rathaus vor. Das Freibad, eines der Aushängeschilder der Gemeinde, es wird brachliegen, und noch weiß keiner, wie lange.

Das ist ein Umstand, der doppelt schmerzt. Zum einen, weil natürlich viele die Möglichkeit vermissen werden, dort zu schwimmen und ihre Freizeit zu verbringen. Zum anderen, weil es auch nicht möglich ist, die nötige Beckensanierung mit einer Ausfallzeit von neun Monaten jetzt vorzuziehen. Das Konzept liegt zwar in der Schublade, aber die Finanzierung ist noch nicht geklärt. "Ohne maßgebliche Fördermittel ist das kaum machbar", weiß der angehende Bürgermeister, der zwölf Jahre dem Gemeinderat angehört und in den wesentlichen Ausschüssen mitgearbeitet hat. Die Mitarbeiter in der Verwaltung sind ihm daher nicht fremd, Haushaltsberatungen auch nicht. Doch wie macht man es jetzt, wo keiner weiß, wie sich die Krise auf die Unternehmen und damit auch auf die Steuereinnahmen der Kommunen auswirken wird? "Wir werden den Haushalt wie geplant aufstellen", sagt Gäbelein. Vor allem die baulichen Maßnahmen, die "vor Corona" schon begonnen wurden, sollen weiterlaufen. Die Neugestaltung des Marktplatzes im Zuge der Ortskernsanierung zählt dazu, die Erweiterung des Kindergartens und auch die Fertigstellung der Straßen- und Kanalsanierung im "Gässla". Die schmale Straße, in der übrigens auch das Haus des neuen Bürgermeisters steht, hat es in sich: Was die Leitungen anbelangt, ist sie eine Hauptader.

Der Mann aus der Wirtschaft muss, zusammen mit dem Gemeinderat, folglich künftig noch mehr abwägen, was machbar ist, und Prioritäten setzen. Um sich seinem bisherigen, sehr zeitintensiven "Hobby" Kommunalpolitik nun hauptberuflich widmen zu können, wird er aus dem Unternehmen aussteigen, dessen Geschäftsführer er war. Bei Innocept Engineering in Kronach-Neuses war er schwerpunktmäßig für Vertrieb und strategische Ausrichtung tätig. Die Firma, die als Dienstleister der Automobilindustrie kunststofftechnische Bauteile entwickelt, geht auf eine Geschäftsgründung im Jahre 2000 in Redwitz zurück. Quasi aus dem heimischen Wohnzimmer heraus wagte der Diplom-Ingenieur damals gemeinsam mit einem Kollegen den Schritt in die Selbstständigkeit. Nach sieben Jahren kam es zur Trennung, bald darauf aber ließen drei ehemalige Mitarbeiter die Unternehmensidee unter neuem Namen aufleben und Gäbelein stieg wieder ein, zunächst freiberuflich, vor acht Jahren dann als Geschäftsführer. Einer von dreien. "Es wird auch mit zwei Geschäftsführern funktionieren", betont er. Das Unternehmen hat seit einigen Jahren auch eine Niederlassung in Würzburg, ist innovativ ausgerichtet. Und doch werden die Herausforderungen für die Mannschaft, die er zurücklässt, nicht klein sein. Denn die Autohersteller gerieten schon vor Corona in die Krise. "Das hat auch uns massiv getroffen", sagt Gäbelein. Von früher 30 auf zuletzt 15 Mitarbeiter schrumpfte Innocept bereits.

Dort, wo er künftig Chef sein wird, geht die Personalverantwortung wieder auf rund 30 zurück. Vor dieser Rolle ist Jürgen Gäbelein nicht bange. "Ich denke, das habe ich über die Jahre gelernt." Kommunikation und ein respektvoller Umgang im Team sei ihm wichtig, sagt er. Und dass er sich als Netzwerker versteht. In der Verwaltungsgemeinschaft Redwitz-Marktgraitz dürfe das Nachdenken über interkommunale Zusammenarbeit auch nicht an den Landkreisgrenzen zu Kronach oder Coburg Halt machen, findet er. Die Gemeinden könnten in vielerlei Hinsicht voneinander profitieren. Die Zeiten, in denen jede Kommune "ihr eigenes Ding" gemacht hätte, seien vorbei. Die Konstellation des Redwitzer Gemeinderates mit sechs Sitzen seiner Fraktion (UBR) sowie weiteren sechs von der CSU und vier von der SPD gebietet ebenfalls ein Miteinander.

Nach Jahren in der Opposition will Jürgen Gäbelein nun selbst Akzente setzen. Ideen für seinen Heimatort, dem er immer treu geblieben ist, hat er schon als stellvertretender Vorsitzender des Bürgervereins "Lebendiges Redwitz" einbringen können. Nun will er das Image des Ortes weiter verbessern. "Redwitz hat viel Schönes, ist nicht nur Industriestandort", sagt der sportliche Familienvater. Dass ihm dieser Job viel Spaß machen wird, dessen ist er sich sicher: "Da hängt Herzblut drin."

Zur Person

Jürgen Gäbelein, 50 Jahre, Diplom-Ingenieur (FH), ab 1. Mai 2020 Bürgermeister von Redwitz; Bisheriges Engagement: Gemeinderat in Redwitz und Fraktionssprecher der Unabhängigen Bürger Redwitz (UBR, vormals "Freie Wähler"), Gründungsmitglied und Zweiter Vorsitzender des Bürgervereins Lebendiges Redwitz, "Botschafter der Stadt Kronach"; Privat: geboren in Kronach, aufgewachsen in Redwitz, Abitur in Kronach; verheiratet mit Karin Gäbelein, drei Kinder (13 / 16 / 18 Jahre); zum Haushalt gehört auch die Beagledame Emma