Druckartikel: Allein mit der Angst

Allein mit der Angst


Autor: Katja Müller

LKR Haßberge, Donnerstag, 12. März 2020

Eine Familie aus dem Landkreis Haßberge hat Schlimmes mitgemacht: Nach ihrem Urlaub im italienischen Venetien begaben sich die drei freiwillig in Quarantäne. Den Corona-Test mussten sie sich regelrecht erkämpfen und auf das Ergebnis lange warten.
Leere Straßen am Urlaubsort. Mit diesem Anblick hatte die Familie - so ganz außerhalb der Hochsaison - gerechnet. Nicht aber mit dem danach.


Es sollte ein schöner Urlaub werden, wie schon viele andere davor: Torsten, seine Lebensgefährtin Karolin und Tochter Marie (Namen von der Redaktion geändert) verbringen mehrere Male pro Jahr ihren Urlaub in Italien - nicht nur in, sondern auch gerne außerhalb der Hochsaison. So auch im Februar diesen Jahres.

"Vor dem Urlaub war Corona noch kein großes Thema, aber als wir nach Hause kamen, hat der Arbeitgeber meiner Frau um einen Corona-Test gebeten", erzählt Torsten. Schon während ihrer Zeit in Italien wurde in der Region der Notstand ausgerufen. Für die drei, die während des Urlaubs vor allem Ruhe und Erholung suchten und kaum Kontakt zu Einheimischen hatten, waren kaum Einschränkungen spürbar. "Wir sind rechtzeitig abgereist, bevor die Hamsterkäufe begonnen haben", erzählt Karolin.

Sie und ihre erwachsene Tochter haben an ihren Arbeitsplätzen viele Kundenkontakte. Außerdem wurden beide, zurück in Deutschland, krank: Fieber, Halsschmerzen, Schwächegefühl. Corona war plötzlich doch Thema, den Test wollten sie so schnell wie möglich machen.

Der Telefonmarathon begann. "Ich habe bei der 116117 angerufen, dem Gesundheitsamt und dem Hausarzt. Aber keiner wusste was, jeder hat auf den anderen verwiesen", erzählt Torsten, der als einziger in der Familie gesund geblieben ist.

Telefonchaos in der Quarantäne

Vier Tage ging das so. Dann wurde auch Torstens Arbeitgeber nervös. Er wollte zur Sicherheit einen Corona-Test und stellte Torsten bis dahin frei. Der Familienvater legte den Hörer nicht mehr aus der Hand, bekam aber niemanden ans Telefon.

Dann endlich, am 2. März, erklärte sich Torstens Hausarzt bereit, ihn zu testen. Doch noch auf dem Weg zur Praxis bekam er einen Anruf: "Er hat gesagt, ich darf nicht mehr kommen, weil es ihm das Amt verboten hat zu testen", erzählt er.

Am 3. März telefonierte der Familienvater einen Vormittag lang den Haßberge Kliniken hinterher. "Am Ende hieß es dann, dass die Kliniken keine Tests mehr machen."

Parallel dazu erreichte Torsten jemanden unter der Nummer der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB). Die Mitarbeiterin verwies die Familie an den Hausarzt, der konnte aber nichts machen. Also wählte Torsten erneut die 116117.

Mittlerweile war die Stimmung unter den Familienmitgliedern in der Quarantäne angespannt. Torsten: "Dann wurde mir gesagt, Karolin sollte auf den Rückruf des KVB-Arztes warten. Wir waren dauernd angespannt und standen Gewehr bei Fuß, falls ein Team kommt oder wir los müssen. Es hat sich niemand gemeldet."

Der Familienvater lässt nicht locker und wählt wieder die 116117. Dann endlich meldet sich ein Arzt zurück. Karolin schildert die Situation: "Abends um 20.15 Uhr kam der Arzt. Er wirkte völlig hilflos. Mein Mann zeigte ihm, wie er den Test machen muss. Der Arzt maulte, er habe keinen Bock den Test zu machen oder die Schutzkleidung zu tragen. Das sei ‘alles Irrsinn'." Bis das Testergebnis feststeht, solle die Familie jeden Kontakt zur Außenwelt meiden - nicht einmal den Müll raus bringen.

Tagelanges Warten auf Testergebnisse und verlässliche Informationen

Nun hieß es wieder warten. Laut KVB sollten die Testergebnisse nach zwei, drei Tagen vorliegen. Am 6. März, einem Freitag, bekommt Karolin auf telefonische Nachfrage bei der KVB die Antwort, sie möge sich weiter gedulden. Das Gesundheitsamt (im Falle einer Infektion) oder die KVB (falls der Test negativ ausfällt) würden sich melden.

Am 7. März ergibt die Nachfrage bei der KVB, dass sich in jedem Fall das Gesundheitsamt melde. Spätestens da war der angeschlagenen Familie klar, dass sie die Ergebnisse erst am Montag - also eine Woche nach dem Test - erhalten würden . "Uns fiel die Decke auf den Kopf, wir fühlten uns (...) ausgeliefert. Wir hatten zu keiner Minute das Gefühl, einen vermeintlichen zusätzlichen Urlaub zu verbringen. Man hält die Telefone frei, es könnte ja sein dass jemand mit dem Ergebnis anruft", erzählt Torsten.

Laborprobe bestätigt: Corona-Test ist negativ

Er ist glücklich, wieder arbeiten zu können. Denn am 9. März kam die erlösende Nachricht: Alle drei sind gesund. Diese Gewissheit verdankt die Familie einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes, die sich für sie einsetzte und direkt beim Labor anrief.

Allerdings bleibt ein fader Beigeschmack: Auf den Laborproben taucht nur der Name der Tochter auf - das dafür viermal. Laut Labor werden Negativ-Getestete weder von der KVB noch vom Gesundheitsamt informiert. Die Logik sage doch, dass sie automatisch negativ seien, wenn nach drei Tagen keine Info komme. "Diese Aussage war für uns ein Schlag ins Gesicht", schließt Torsten.

Kommentar: So geht`s nicht!

Die Familie aus dem Landkreis wollte anonym bleiben und nach ihrer Schilderung ist auch allzu verständlich, warum: Die Menschheit ist derzeit außer Rand und Band.

Jeder reagiert auf und in dieser Ausnahmesituation anders. Beschimpfungen sind ebenso denkbar wie tränenreiches Mitgefühl. Im meinen Fall überwiegt die Empathie: Mir tut es schrecklich leid, was die drei erdulden mussten und ich glaube ihnen ihre Erfahrungen.

Und ich finde: Auch wenn und gerade weil alles neu und beängstigend ist, müssen Behörden und Ämter verlässliche Strategien entwickeln, auf die sich die Bürger verlassen können!

Denn gerade in so einer Ausnahmesituation, physisch und psychisch angeschlagen, hat nicht jeder die Kraft, einem Test und dann auch noch dem Ergebnis hinterherzurennen, von dem doch einiges abhängt. Katja Müller