Zehntausende bei Demos gegen rechts erwartet
Autor: dpa
, Freitag, 19. Januar 2024
In mehreren Städten sind in den nächsten Tagen Großdemos zur Verteidigung der Demokratie angekündigt. Die Veranstalter wollen ein Zeichen des Widerstands gegen rechtsextreme Umtriebe setzen.
1958 blickte der Schriftsteller Erich Kästner auf die Nazizeit zurück. Der Verfasser von «Emil und die Detektive» kam zu dem Schluss: «Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.» Das dürfte auch die Überzeugung sein, mit der zurzeit jeden Abend Tausende gegen rechts auf die Straße gehen.
Essen, Rostock, Leipzig, Bremen - die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus reißen nicht ab und gehen auch am Wochenende vielerorts weiter. Die Beteiligung übertrifft durchweg die Erwartungen. In Köln etwa waren am Dienstagabend ursprünglich 1000 Demonstranten angemeldet - es kamen trotz schneidender Kälte geschätzte 30.000. Einer von ihnen war Hans Weiching, ein Mann mit weißem Schnäuzer und Fellkappe. Ob er schon häufiger demonstriert habe, wurde er von einem Fernsehteam gefragt. «Nee, zum ersten Mal.» Warum gerade jetzt? Antwort: «Ist doch klar. Wir sind hier in der Nazizeit angelandet.»
Auch in Hamburg demonstrierten am Freitag nach Polizei-Angaben rund 50.000 Menschen. Wegen des großen Andrangs musste die Demo abgebrochen werden. Nicht nur Prominente wie Panikrocker Udo Lindenberg, BAP-Sänger Wolfgang Niedecken und Schauspieler Matthias Brandt rufen zur Teilnahme auf, auch viele Bundesliga-Clubs zeigen klar Flagge. «Nie wieder ist jetzt! Kommt alle rum», schreibt der FSV Mainz 05. Es sei fünf vor zwölf, warnt Christian Streich, Trainer des SC Freiburg, und von seinem Leipziger Kollegen Marco Rose kommt die Mahnung: «Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man gegen Dummheit und Rechtsextremismus in jeder Form aufsteht.»
Umschwung kam durch Correctiv-Enthüllungen
Verfassungsschützer stufen Teile der AfD schon länger als rechtsextrem ein. Dennoch blieb es lange still. «Ich denke, dass sich die Leute in den letzten Jahren fast daran gewöhnt hatten, dass die AfD Teil des politischen Spektrums geworden ist», sagt Katja Hoyer, Historikerin am King's College in London und Autorin des viel diskutierten Buches «Diesseits der Mauer - Eine neue Geschichte der DDR».
Der Umschwung kam durch die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen hatten.
«Wenn man jetzt eben die Details dieses Treffens nachliest, dann hat das eine Schockwirkung», sagt Hoyer der Deutschen Presse-Agentur. «Da denkt man unwillkürlich an den eigenen Freund, Kollegen, Nachbarn, der nach diesen Plänen auf irgendwelchen Deportationslisten landen würde.»
Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen nach eigenen Angaben über «Remigration» gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. Konkret soll die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte nach Afrika besprochen worden sein. Das erinnert auf beklemmende Weise an den Plan der Nazis, die europäischen Juden nach Madagaskar zu verschleppen. «Das setzt in der deutschen Seele Urängste frei», sagt Hoyer. «Das rüttelt auf. Und so erkläre ich mir den großen Zulauf zu den Demonstrationen.»