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Zauberhafte Kopfgeburt


Autor: Monika Beer

Salzburg, Donnerstag, 15. August 2013

Stefan Herheim gelingt eine grundmusikalische Inszenierung von Richard Wagners durchaus auch komischer Oper "Die Meistersinger von Nürnberg".
"Meistersinger"-Verwandlungsszene mit den männlichen und weiblichen Lehrbuben auf der staunenswerten Bühne von Heike Scheele. Foto: Barbara Gindl/dpa


Eines muss man den Bayreuther und den Salzburger Festspielen lassen: Was die Ausstattung ihrer Wagner-Neuinszenierungen im Jubiläumsjahr 2013 betrifft, wird nicht gekleckert, sondern richtig geklotzt. Ansonsten unterscheiden sich die Produktionen gewaltig, nicht nur der verschiedenen Werke und Dirigenten wegen. Während am Grünen Hügel Frank Castorf mit seiner Sicht der "Ring"-Tetralogie die Rezeptionsgeschichte in puncto musikalische Ignoranz fortschreibt, pflegt Stefan Herheim an der Salzach mit den "Meistersingern" die Gegenposition.

In einem Interview vor der Premiere hat der international gefragte, aus Norwegen stammende Opernregisseur, dessen Bayreuther "Parsifal" von 2008 immer noch nachwirkt, seine Arbeitsweise wie folgt beschrieben: "Natürlich lese ich zunächst den Text sehr gründlich. Dann aber beginnt die richtige Aneignung der musikalischen Textur, bei der man allein feststellt, was die Figuren wirklich denken, fühlen und sagen und was das Werk wirklich thematisiert. Musik kann nicht lügen, auch wenn sie lügt!"


Zugang über die Musik

Genau das spürt man in seiner Inszenierung auf Schritt und Tritt, in jedem ernst gemeinten oder parodistischen Augenaufschlag, jeder Geste und jedem Detail aus dem Füllhorn seiner kongenialen Ausstatterinnen Heike Scheele (Bühne) und Gesine Völlm (Kostüme). Eben weil Herheims Zugang über die Musik, über eine genaue Analyse der Partitur erfolgt, kann er die üblichen Regietheaterverrenkungen, die bei den "Meistersingern" gerne auch auf die unrühmliche braune Vereinnahmung abheben, beiseite lassen und sich auf das konzentrieren, was der Komponist dazu im Kopf hatte.

Was wörtlich zu nehmen ist. Denn der Sachs, der schon im Vorspiel in Schlafhemd und mit Zipfelmütze in sein biedermeierliches Wohn- und Arbeitszimmer stürzt, um an seinem Sekretär, zum Teil heftig mitdirigierend, seine musikalischen Gedanken zu fixieren, ist nicht nur Schuster und Poet, sondern Komponist, Forscher, Maler und Philosoph dazu - ein frühromantischer Gesamtkunstwerker, wie es unter anderem auch Richard Wagner war.


Komponisten statt Handwerker

Der Vollblutsängerdarsteller Michael Volle trägt sichtlich auch Bach und Beethoven in sich und braucht nicht direkt auf Wagner getrimmt zu werden, um zu spiegeln, dass es hier um die grenzüberschreitende Rolle der Musikkunst geht - zumal das bei den entsprechend ausstaffierten Meistern nicht zu übersehen ist: Man denkt unwillkürlich an Wagners Zeitgenossen und Kollegen - an Bellini, Spontini, Rossini, Lortzing, Marschner, Weber, Auber, Meyerbeer und und und. Derlei Assoziationen sind nicht aufdringlich, sondern gekonnt unterschwellig.

Direkter wird die Regie, wenn es um die Probleme der Personen der Handlung geht, Kunst, Leib und Leben unter einen Hut zu bringen. Da gibt es von vornherein nicht nur männliche, sondern auch weibliche Lehrbuben, dazu Märchen- und Spielzeugfiguren zuhauf, die sich in der Wohnung, deren Mobiliar wie von Zauberhand mal riesengroß, mal wieder im Normalformat zu sehen ist (Video: Martin Kern, Licht: Olaf Freese), nicht gerade jugendfrei benehmen.


Eine handfeste Pognertochter

Selbst die über die Bühne schwebende Eva ist gar nicht so bieder(-meierlich) wie ihr blaues Kleid und ihre sorgfältig geflochtene Frisur. Diese Pognertochter ist kein naives Dummchen und nimmt auch im Wortsinn das Heft bzw. den Degen des Burschenschaftlers Stolzings in die Hand. Wenn es sie später in der Schusterstube, nachdem sie dort ihr Porträt entdeckt hat, in einem Weinkrampf schüttelt, versteht man erst vollauf Sachsens Drama: Er sitzt einsam fest zwischen Begehren, Sehnsucht und dem Älterwerden.

Es gibt unendlich viel zu sehen, der klugen, einfühlsamen, bitteren und witzigen Einfälle will es wie in guten Märchen gar kein Ende nehmen. Leider entspricht die musikalische Interpretation dem szenischen Wunderhorn und Wunderland bei weitem nicht. Was die berühmten Wiener Philharmoniker unter Daniele Gatti von sich hören lassen, klingt immer wieder so laut, so grob, so ungenau, unabsichtlich schräg und spannungslos, dass man sich gewissermaßen im falschen Film wähnt. Worunter auch die Sänger zu leiden haben.


Grobheiten im Orchester

Bei der besuchten zweiten Vorstellung konnten sich dennoch der auch stimmlich prägnante Sachs Michael Volles, Markus Werba als ihm ebenbürtiger Beckmesser (was am Ende von einer regielichen Volte beglaubigt wird) und Georg Zeppenfeld als Pogner souverän durchsetzen. Anna Gablers Eva war trotz kleiner Stimme überzeugend, Roberto Saccà als Stolzing enttäuschte. Dass die von Ernst Raffelsberger einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor zuweilen mit der Melodei sehr frei umzugehen schien, lag in erster Linie am um Koordination rudernden Dirigenten. Er hat, so steht zu fürchten, versungen und vertan.