Wolf Biermann zieht in Bamberg Bilanz
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Freitag, 10. Februar 2017
Der Sänger und Dichter stellte in Bamberg seine Autobiografie vor - und sich selbst mit allen Eitelkeiten.
Seine größte Zeit hatte er zweifellos in den sechziger Jahren, als er, kujoniert von der DDR-Nomenklatura und ihrem Ministerium für Staatssicherheit, gleichzeitig als Stardissident im Westen gehandelt wurde. Man muss Wolf Biermann hoch anrechnen, dass er es bis zu seiner Zwangsausbürgerung im Osten aushielt, auch nicht abfiel vom Glauben an die reine Lehre, den Kommunismus - bis im Westen die Zweifel überwogen.
Inzwischen ist der Sänger und Dichter 80 und hat eine Autobiografie verfasst. 80 Jahre, gut 500 Seiten, da konnten im Hegelsaal am Donnerstag nur Blitzlichter ein ver-rücktes Leben beleuchten. Klugerweise war der Bamberger Schauspieler Volker Ringe engagiert worden, um Passagen aus "Warte nicht auf bessre Zeiten" vorzulesen. Der tat das ganz vorzüglich, prononciert trotz der kurzen Vorbereitungszeit - eine Wohltat im Vergleich zu Friedrich Glauser am Vortag, der vielleicht ein guter Autor, aber gewiss kein guter Vorleser ist. Als Gesprächspartner Biermanns saß der Christ-und-Welt-Redakteur Andreas Öhlers mit auf dem Podium.
Der hatte einen leichten Job, denn der körperlich kleine Biermann ließ ihn kaum zu Wort kommen. Man sagt kleinen Männern ja ein ausgeprägtes Ego nach, und im Falle des Barden stimmt es ganz bestimmt. Natürlich spielt auch die jahrzehntelange Bühnenroutine eine Rolle, die Fähigkeit und Lust, ein Publikum in den Bann zu ziehen. Biermann tut das mit seinem suggestiven Vortrag, erhöhter Lautstärke, ausgeprägter Gestik, langen Pausen, die auch eher beiläufigen Sätzen tiefe Bedeutung verleihen sollen.
Was ist das auch für ein Leben! Das "kleine Kommunistenkind", dessen Vater, KPD-Kämpfer und auch noch Jude, zunächst inhaftiert und dann nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht worden ist, wuchs naturgemäß ins rote Milieu Hamburgs hinein. Ein Besuch beim inhaftierten Vater und dann das Erlebnis des Hamburger Feuersturms nach einem Bombenangriff im Juli 1943 waren Inhalte des ersten Lese-Abschnitts.
Die Martin Walser'sche Auschwitzkeule erlebte der junge Biermann ganz anders: Der Vater starb für seine Utopie, der Sohn durfte diese Utopie nicht verraten - das wäre ein Vatermord gewesen. Andererseits schützte ihn seine Herkunft eine Zeitlang vor allzu offensichtlicher Verfolgung durch die DDR-Oberen, denn 1953 war er quasi naturgegeben in den anderen deutschen Staat übergesiedelt und gleich angeeckt. Sein Gedicht "An die alten Genossen" war als Original-Tonbandaufnahme zu hören, ebenso wie später die "Ballade im 30. Jahr".
Da wurde deutlich, wie sehr der Dichter und Sänger von Bert Brecht beeinflusst war und ist. Nach seinem Studium fand er schnell Kontakt zum Berliner Ensemble, gründete selber ein "Berliner Arbeiter- und Studententheater" - zweiter Lese-Abschnitt - und erhielt in der Folge Auftritts- und Publikationsverbot in der DDR. Was das Renommee des Dissidenten, der dennoch am Marxismus festhielt, bei der undogmatischen West-Linken der Endsechziger nur festigte. Endlos der Besucherstrom in der Ostberliner Chausseestraße 131, endlos auch die Frauengeschichten, die der alt gewordene Dichter teils mit Reue, teils mit Koketterie andeutete. Neben Brecht hat ihn wohl auch François Villon stark beeinflusst, worauf Derbheiten wie "Weiberarsch" schließen ließen. Bedrückend war die Schilderung der Stasi-Schikanen bis hin zum Mordanschlag oder der indiskutablen Behandlung seiner alten Mutter durch DDR-Grenzorgane.
Man hätte sich mehr gewünscht von der Zeit nach 1976, der Friedensbewegung, der Entfremdung von der Linken, dem Anwurf Alfred Hrdlickas, der Biermann nach seiner Apostasie "die Nürnberger Rassegesetze an den Hals" wünschte. Immerhin deutete Biermann als entscheidenden Schritt seiner politischen Wandlung die Begegnung mit dem großen Manès Sperber an, der sich schon in den dreißiger Jahren vom Kommunismus abgewandt hatte. In seinem Konvertiten-Furor vergisst Biermann, dass es auch noch andere Strömungen in der Linken gibt als dogmatischen Parteikommunismus.
Es war dennoch ein beeindruckender Abend mit einem immerhin ehrlichen Autor, der seine Eitelkeiten, seine Ruhmsucht nicht verbarg, sondern teils offen verbalisierte. Von der Bühne mochte er sich gar nicht verabschieden, auch nicht nach "Biermanns Bilanz-Ballade im 80. Jahr" (wieder mit dicken Villon-Anklängen) "Heimweh", die auch am Schluss seiner Autobiografie steht. Darin heißt es: "Hab oft nach Angstschweiß wie nach Heldentum gerochen."