Wiglaf Drostes Waffen sind Worte
Autor: Christoph Hägele
Bamberg, Sonntag, 25. Februar 2018
Wer am Samstag in Hallstadt einen schlecht gelaunten Zyniker erwartet hatte, sah sich bei der Lesung des großen Polemikers getäuscht.
Wer wie Wiglaf Droste mit einem hoch verfeinerten Wahrnehmungsapparat durch die Welt geht, muss sich auf seine geistigen Widerstandskräfte verlassen können. Ansonsten macht einen das an allen Ecken und Ende lauernde Gemeine, Niederträchtige und Dumme zu einem schlecht gelaunten Zyniker, im schlimmsten Fall zu einem kreuzunglücklichen Menschen.
Wiglaf Droste ist weder das eine noch das andere. Auf dem Podium des Bamberger Literaturfestivals (BamLit) im Hallstadter Ertl-Zentrum saß am Samstagabend ein vom Irrsinn der Welt ungebrochener Mensch.
Kuriose Erscheinung
Ein scharfzüngiger Gegenwartskritiker aber, der sich mit der hochtourigen Spitzengastronomie und dem Profi-Fußball zwei idealtypischen Erscheinungen der durchkapitalisierten Moderne freudig ausliefert, ist eine kuriose Gestalt. "Wiglaf Droste ist kein eindimensionaler Mensch", warnte Rudolf Görtler das Publikum deshalb auch. Der Kulturredakteur der Mediengruppe Oberfranken (MGO) folgt den publizistischen Spuren Drostes seit Jahrzehnten. Am Samstag stellte sich Görtler der nicht zu unterschätzenden Herausforderung, die Besucher mit dem zerklüfteten, in über 30 Büchern und unterschiedlichen Presseerzeugnissen gedruckten Werk Drostes bekannt zu machen: "Droste ist ein polemischer Satiriker. Er ist Meister der kurzen und kürzesten Form."
Sein publizistisches Basislager hat der 57-jährige Westfale inzwischen in der von Klaus Bittermann verantworteten Edition Tiamat aufgeschlagen. Weil Bittermann aus Kulmbach stammt, sah sich Droste am Samstag auch zu landeskundlicher Expertise befähigt: "Die Franken plappern ja nicht gerade viel daher."
Wenn Görtler Droste eine "Dampfguillotine" nennt, muss dieses Wort als unbedingtes Lob verstanden werden. Mit diesem Sprachbild hatte einst Heinrich Heine den Großkritiker Ludwig Börne respektvoll bedacht.
Auf die Welt schaut Droste mit einem unbestechlichen, immer aber auch amüsierten Blick. So besang er in Hallstadt gleich zu Beginn den kleinen Bauchansatz rund um den Nabel, der besonders aparte Frauenkörper schmücke.
Ode an das Gemüse
Droste hindert auch keine intellektuelle Selbstüberhebung daran, seine Assoziations- und Formulierungskunst auf Gemüse zu verwenden: "Das einzige Gemüse, auf das man sich verlassen kann, ist das Radieschen von unten." Nur sollte Drostes liebevolles Interesse am Alltäglichen bloß nicht mit Betulichkeit verwechselt werden. "Man kann mit schlechter Laune nicht kämpfen", entlockte Görtler Wiglaf Droste dazu einen wunderbaren Satz. Adressiert war er an diejenigen seiner Anhänger, die von Droste ausnahmslos und immer wieder nur das hören und lesen wollen, was sie selbst denken und über die Welt zu glauben wissen. Für dieses weltanschauliche Selbstbestätigungskabarett aber steht Droste nicht zur Verfügung.
Es würde wohl auch schnurstracks in seinen künstlerischen Bankrott führen.
Wer der Feind ist und wo er steht, das weiß Droste dennoch genau. Der Feind, das war in den Jahrzehnten von Drostes Schaffen regelmäßig auch eine hermetisch um sich selbst und ihre Welterklärungsmodelle kreisende Linke. Hochkant hat ihn die Tageszeitung "taz" einst wegen Abweichlertums aus dem Kreis der politisch Korrekten exkommuniziert.
Der Feind aber, das war, das ist und das wird vor allem die Rechte sein. So beschäftigte sich am Samstag Drostes längster, in Ton und Inhalt ernstester Text mit der Brutalisierung des öffentlichen Sprechens über Flüchtlinge. Der Sprachkritiker Droste ist vom Gesellschaftskritiker Droste nicht zu unterscheiden. Sprache enttarnt Droste als Herrschaftsinstrument, das die Welt nicht nur unschuldig beschreibt, sondern in Wahrheit erst formt. "Sprache ist eine Waffe", hatte schon Kurt Tucholsky gewusst.
Aus den Gräbern der Geschichte
Eine solche Waffe identifiziert Droste im Wortungetüm "Flüchtlingsproblem". Alles Lüge, pures Ressentiment: "Es gibt in Deutschland kein ,Flüchtlingsproblem', sondern ein Problem mit Deutschen, die sich zum handgreiflichen Abschieben bis hin zum Lynchmord organisieren", schreibt Droste in "Sachsen, Nazis und Mentoren". Das dreieinhalb Buchseiten lange Stück ist weniger eine Satire als eine politische Brandrede wider eine radikale Rechte, die aus den Gräbern der Geschichte kriecht. Dagegen bringt Droste in Stellung, was jedem aufgeklärten, zum Mitgefühl befähigten Menschen zu Gebote stehen sollte: "Freigeistigkeit, humanistische Verwurzelung und Herzensbildung sind Bedingungen für eine Welt, in der Menschen in Würde leben können", sagte er in Hallstadt.
Ein Satz, den man auf Wände sprühen, in Poesiealben schreiben und sich unter die Haut tätowieren lassen sollte.
Ein Satz, nach dem man vor allen Dingen sein Leben leben sollte.