Druckartikel: Weltmusikfestival Rudolstadt hat Grenzen erreicht und überschritten

Weltmusikfestival Rudolstadt hat Grenzen erreicht und überschritten


Autor: Rudolf Görtler

Rudolstadt, Montag, 08. Juli 2013

23 Jahre ist das deutschlandweit größte Festival für Folk, Roots, World Music geworden. Am vergangenen Wochenende war in dem thüringischen Städtchen wieder einmal der Teufel los.
Foto: Rudolf Görtler


87 Bands, 22 Bühnen, Künstler aus 38 Ländern, 25 000 Besucher an jedem Tag, weit über 200 Konzerte: Das TFF Rudolstadt ist im 23. Jahr seines Bestehens quicklebendig wie eh und je. Was als Folk- und Tanzfest begann, nach der Wende von einigen cleveren Protagonisten des DDR-Folkrevivals der 70er Jahre aufgefrischt und erweitert, ist mittlerweile zum gigantischen Roots-Folk-Weltmusik-Festival mutiert.

Das ist einerseits erfreulich, dokumentiert es doch das ungebrochene Interesse gerade auch junger Leute an dieser Musik, die in den Medien kaum vorkommt. Andererseits dokumentieren zeitweise zusammengebrochener Straßenverkehr, überfüllte Camping- und Caravanplätze und bei vielen Konzerten drangvolle Enge im Publikum, dass dieses zumindest in Deutschland größte Weltmusik-Festival in dem schön im Saaletal gelegenen thüringischen Städtchen (23 000 Einwohner) an seine Grenzen gestoßen ist, sie in mancher Hinsicht überschritten hat. Aber wenn der Etat dieses quasi öffentlich-rechtlichen mittlerweile viertägigen Festivals (Veranstalter ist die Stadt) zu 75 Prozent aus eigenen Einnahmen bestritten werden muss ... Immerhin weisen Leiter Ulrich Doberenz und Programmdirektor Bernhard Hanneke darauf hin, dass die friedliche Atmosphäre unter all dem Stress nicht gelitten habe. Was laut eigener Beobachtung stimmt.

Eigene Beobachtungen: Bei der Fülle der Auftritte und des Rahmenprogramms an mittlerweile vier Festivaltagen von Donnerstag bis Sonntag ist es auch dem professionellen Besucher unmöglich, alle Facetten gesehen, gehört zu haben. Also muss das Urteil fragmentarisch ausfallen, so wie jeder Rudolstadt-Veteran, und von denen gibt es viele, immer wieder schwankt, welches der oft zur selben Zeit stattfindenden Konzerte er besuchen soll. Außerdem heißt es die Kräfte taktisch einzuteilen, denn bei dem kilometerweit auseinandergezogenen Gelände gilt es schon zu überlegen, ob man bei Gluthitze mehrmals täglich den steilen Fußweg zur 500 Meter über dem Saaletal thronenden riesigen Heidecksburg meistern will und kann.

Das wie jedes Jahr ausgelobte "magische" Instrument war dieses Mal die Flöte in Varianten von Block- und Traversflöten bis zur Ney und der westafrikanischen Serendou, die von dem Nigrer Yacouba Minoumi gespielt wird. Ein Fusion-Projekt vereinte neun Flötisten verschiedener Länder und naturgemäß völlig differenten musikalischen Hintergrunds. Jedes Jahr zumindest ein interessantes Experiment. Ebenso Tradition ist der Länderschwerpunkt, der diesmal in Italien gesetzt wurde.

Sehr jazzig spielten die eingeladenen Gruppen und Künstler wie der Saxophonist Daniele Sepe mit seiner Brigada Internazionale. Überraschend anspruchsvolle Musik, die gerade bei diesem Festival häufig zu hören war. Die spröden Minimal-Music-Meditationen des Alexander Balanescu Quartetts, das rasante Oszillieren zwischen Jazz, vietnamesischer Folklore und zeitgenössischer Musik wie beim Lao Xao Trio (Förderpreis "Ruth"), das tiefe Eintauchen in die Tradition osmanischer Musik, verbunden mit hoch virtuoser westlicher Improvisationskunst wie beim Taksim Trio - das ist andernorts in dieser Ballung selten zu hören und spricht für den Mut der Festival-Macher.

Allerdings kann es dann schon einmal passieren, dass ein Gianmaria Testa mit seinen kammermusikalischen Liedern vor enttäuschend wenigen Zuschauern spielen muss. Das passierte den sardischen Sonadores nicht, auch nicht Enzo Avitabile und Bottari di Portico, eine Verbindung archaischer Rhythmen auf umgebauten Fässern mit Jazz-Harmonik, die der neapolitanische Weltmusiker nachts im Park schloss. Italien ist eben mehr als seichter Pop und Arienseligkeit, hatte man nach diesem Wochenende gelernt.

Ansonsten ging dieses Festival seinen gewohnten Gang. Den "Ruth"-Hauptpreis erhielt die ukrainische Sängerin und Komponistin Mariana Sadovska, auch nicht unbedingt leicht konsumierbare Musik, den Ehrenpreis die DDR-Tanzmeisterin Eva Sollich, den neu geschaffenen TFF-Preis die Jazzkantine für ihre originelle Bearbeitung von Volksliedern, die jeder kennt. Die Entertainment-Profis, seit 20 Jahren im Geschäft, lieferten auf der Burg dann gleich ein tolles Konzert ab. Was man von Fat Freddy's Drop aus Neuseeland nicht sagen kann.

Auf Professionalität getrimmte Anmach-Sprüche und ein High-Tech-Spektakel produzierten doch nur abgedroschene Reggae- und Techno-Standards, Langeweile auf dem Stand der Produktivkräfte. Viel sympathischer und mitreißend dagegen war Söndörgö mit Balkan-Rasanz, originell war die Chansonette Annamateur mit zwei fantastischen Musikern, lateinamerikanische Musik jenseits der Klischees lieferte das Mauricio Velasierra Quintett samt einer hinreißenden Tänzerin mit dem originellen Namen Vanessa Guevara, der Niederbayerische Musikantenstammtisch bewies, dass Zwiefache und Landler sich auch mit Rastalocken und Nasenpiercing vertragen, Bauchklang aus Österreich rappte A-cappella-Techno - es hatte sich, trotz der Strapazen, wieder einmal gelohnt. Auch wenn manches, siehe oben, versäumt wurde, so das Konzert der Fado-Sängerin Carminho mit den Thüringischen Symphonikern und nicht zu vergessen die unzähligen Bands und Musiker, die auf der Straße und Kleinbühnen oder in Hinterhöfen spielten. Wenn die Macher die logistischen Probleme in den Griff kriegen, kann das TFF Rudolstadt alt werden. Das Publikum ist da.