Wehrbeauftragte: Truppe altert und schrumpft immer weiter
Autor: Carsten Hoffmann, dpa
, Dienstag, 12. März 2024
Die Fortschritte bei der Bundeswehr sind nach Einschätzung der Wehrbeauftragten «eher punktuell» und «an der Oberfläche, statt an der Substanz». Für den Verteidigungsminister gibt es noch viel zu tun.
Die Wehrbeauftragte Eva Högl hat im zweiten Jahr der militärischen Zeitwende kaum substanzielle Verbesserungen bei Personal, Material und Infrastruktur in der Bundeswehr festgestellt. Zudem steuern die deutschen Streitkräfte nach ihrer Einschätzung auf erhebliche Personalprobleme zu. Der Jahresbericht 2023 der SPD-Politikerin benennt die wichtigsten Baustellen für den Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD):
Personal
«Die Truppe altert und schrumpft immer weiter», warnt Högl. Etliche Verbände hätten große «Personalvakanzen». Zum Stichtag 31. Dezember dienten 181.514 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr, 1537 weniger als im Vorjahr. Es seien mehr als 20.000 Stellen unbesetzt, mehr als 17 Prozent. Zu gering sei die Frauenquote mit etwa 15 Prozent. Keine Verbesserungen gebe es bei der Zahl von Frauen in Führungspositionen. «Das muss besser werden», sagte Högl bei der Vorstellung des Berichts.
Sorge mache ein Anstieg bei sexuellen Übergriffen. «Es muss eine klare rote Linie geben», forderte sie. Insgesamt führe der Personalmangel und die Vielzahl von Auftragen zu einer enormen Arbeitsbelastung der Truppe. In dem Bericht heißt es: «Wenn es zu wenig Personal gibt, müssen immer dieselben ran.» Högl hofft, dass noch die jetzige Regierung ein «grobes Konzept» für eine Dienstpflicht hinbekommt, das dann in der nächsten Legislatur umgesetzt werden könne.
Ausrüstung
«Es mangelt an Material vom Großgerät bis hin zu Ersatzteilen. Durch die Abgabe an die Ukraine ist der Mangel noch größer geworden», schreibt Högl. Unter den Soldaten gebe es Zustimmung für die Ukraine-Hilfe. Lücken bei Munition und Ersatzteilen ließen sich trotz schnellerer Beschaffung aber nur mittelfristig schließen.
Die Bundeswehr könne nach Einschätzung des Verteidigungsministeriums ihre Bündnisverpflichtungen in der Nato erfüllen, müsse aber «weiterhin schwerwiegende Einschränkungen hinnehmen». Lichtblick: Die persönliche Ausrüstung für die einzelnen Soldaten sei inzwischen vorhanden und so umfangreich, dass in den Spinden kein ausreichender Platz sei.
Bürokratie und Beschaffung
Högl beklagt überbürokratisierte Prozesse und Strukturen in der Bundeswehr. Sie schreibt, es seien aber im vergangenen Jahr «in vielen Bereichen wichtige Weichen» gestellt worden, ohne dass die Bundeswehr am Ziel sei. Sie verwies dabei auf eine «beispiellose Zahl» sogenannter 25-Millionen-Vorlagen, mit denen das Verteidigungsministerium im Bundestag grünes Licht für größere Beschaffungsprojekte einholte. Der Bundestag genehmigte 55 dieser Vorlagen mit einem finanziellen Gesamtvolumen von 47 Milliarden Euro für Rüstungsprojekte.
Infrastruktur
Die Lage in Kasernen und Dienststellen sei vielerorts desaströs. «Mich erreichen Schreiben von Eltern, deren Kinder soeben den Dienst angetreten haben - in Kasernen mit maroden Stuben, verschimmelten Duschen und verstopften Toiletten.» Der schlechte Zustand der Kasernen sei teils beschämend und dem Dienst der Soldatinnen und Soldaten unangemessen. Schon jetzt gebe es eine Verantwortung von Landesbehörden bei Bauprojekten, die entgegen den Interessen der Bundeswehr eigene Bauvorhaben priorisieren. Högl mahnt: «Wünschenswert wären unter anderem eine zügige Prüfung und Billigung von Vorhaben durch das Bundesministerium der Finanzen.»