Eine AfD in Regierungsverantwortung könnte Gerichte neu besetzen oder Einfluss auf den Verfassungsschutz nehmen, der in Brandenburg und Thüringen eine Abteilung des Innenministeriums ist. «Wir werden den Verfassungsschutz zurückpfeifen», sagte kürzlich der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Brandenburger Landtag, Dennis Hohloch.
In sieben Monaten Wahlkampf kann sich aber noch vieles ändern. In Thüringen und Sachsen wird am 1. September gewählt, in Brandenburg drei Wochen später. Umfragewerte sind noch keine Wahlergebnisse und mit Unsicherheiten behaftet. In allen drei Ländern könnte die AfD wohl nur mit einer absoluten Mehrheit in Regierungsverantwortung kommen, weil alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit ablehnen.
Doch auch ohne Regierungsbeteiligung könnten sich für die AfD bei guten Wahlergebnissen neue Möglichkeiten eröffnen.
Beispiele aus Thüringen:
Stärkste Kraft
Wird die AfD in Thüringen stärkste Kraft, kann sie nach den Gepflogenheiten des Parlaments einen Kandidaten als Präsidenten des Landtags vorschlagen. Fällt er bei der Wahl durch, wäre das Parlament zumindest vorerst nicht arbeitsfähig - eine womöglich einmalige Situation in Deutschland. Würde der AfD-Kandidat dagegen gewählt, wäre dieser Leiter des Verfahrens der Ministerpräsidentenwahl.
In Thüringen gibt es hier eine hitzig diskutierte rechtliche Frage: Ist ein Ministerpräsidentenkandidat im dritten Wahlgang auch mit mehr Nein- als Ja-Stimmen gewählt, wenn er allein antritt? «Der Landtagspräsident oder die -präsidentin würde in diesem Moment darüber entscheiden, ob die Wahl erfolgreich war oder nicht», erklärt Brodocz. Später könnte sich der Verfassungsgerichtshof damit beschäftigen. «Aber erst einmal just in diesem Moment, wäre das zu entscheiden.»
Nach außen repräsentiere der Präsident den Thüringer Landtag «und damit alle Abgeordneten, die vom Volk gewählt sind, er könnte für sich in Anspruch nehmen, das Volk als Ganzes zu repräsentieren». Ein Landtagspräsident sei auch sehr autonom in seinen Entscheidungen - etwa beim Einladen von Staatsgästen. «Da könnten Leute im Thüringer Landtag auftauchen, mit denen man vielleicht vorher nicht gerechnet hat», sagt Brodocz.
Sperrminorität
In den drei ostdeutschen Bundesländern könnte die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im jeweiligen Landtag erhalten. Für alle Abstimmungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist, wären die Parteien dann auf das Wohlwollen der AfD angewiesen. Die AfD in Thüringen weiß das genau: Höcke hatte bereits im Mai 2023 das Ziel ausgegeben, in Thüringen «33 plus X Prozent» bei der Landtagswahl zu erreichen.
Schafft die AfD das, hätte sie in Thüringen eine machtvolle Stellung im Parlament, wie aus einer Übersicht der Landtagsverwaltung hervorgeht. Der Landtag könnte sich dann ohne AfD-Zustimmung nicht mehr auflösen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Die AfD könnte die Besetzung und damit die Arbeitsfähigkeit von Gremien blockieren, Richter und Staatsanwälte ernennen. Auch die Wahl eines Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Brodocz hält mit Blick auf aktuelle Umfragen die Wahrscheinlichkeit, dass die AfD in Thüringen eine Sperrminorität erhält, für hoch. Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller hatte im November angekündigt, diese Blockademöglichkeit auch nutzen zu wollen - etwa um Antifaschismus als Staatsziel in der Verfassung zu verhindern, was die Linke anstrebt. Man wolle keine «DDR-Verfassung», sagte Möller.
Auch die Besetzung eines Gremiums zur Kontrolle des Verfassungsschutzes - die parlamentarische Kontrollkommission - könnte die AfD in Thüringen mit einer Sperrminorität verhindern. Ein Einfluss der AfD gilt hier als besonders heikel, weil die Partei in Thüringen selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Mehrheitsbeschaffer
Aktiv mit der AfD zusammenarbeiten will in Thüringen keine der anderen in den Landtag gewählten Parteien. Inzwischen akzeptieren aber CDU und FDP die AfD als Mehrheitsbeschafferin für eigene Anträge oder Gesetzentwürfe. Beide Parteien betonen, dass es keinerlei Absprachen gibt. Weil die Situation in Thüringen so kompliziert ist, halten es viele Beobachter für wahrscheinlich, dass erneut eine Minderheitsregierung gebildet werden muss. Würde diese von der CDU angeführt, ist nach diesem Modell eine unausgesprochene Tolerierung durch die AfD denkbar.
Möller etwa sieht gemeinsame Gesetzesänderungen mit CDU und FDP schon jetzt als «Gestaltungsmacht» für die AfD. Als Beispiel nennt er die Senkung der Grunderwerbssteuer, eine CDU-Initiative, für die die AfD die nötigen Stimmen lieferte. Auf die Frage, ob es für die AfD eine gute Option ist, Mehrheiten zu beschaffen - etwa für eine Minderheitsregierung von CDU, SPD und FDP, sagt Möller: «Na klar!» Zugleich aber hält er eine solche Koalition mit Blick auf die Umfragen für «abwegig». «Dann träume ich doch lieber von einer absoluten Mehrheit als von sowas!», sagt er und lacht.