Was passiert, wenn Kanzler Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellt?
Autor: Agentur dpa, Alexander Kroh
Deutschland, Freitag, 08. November 2024
Es ist wohl einer der schwierigsten Moment in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Ampel-Koalition ist gescheitert, Kanzler Scholz will die Vertrauensfrage stellen. Was das bedeutet - und wie es danach weitergehen könnte.
Die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen ist am Ende. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwochabend (6. November 2024) seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen, am 15. Januar 2025 will der Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Erwartet wird, dass er diese verliert.
Die eigentlich für den 28. September 2025 angesetzte Bundestagswahl könnte dann vorgezogen werden. Der Weg dorthin ist im Grundgesetz genau festgeschrieben. Was genau passiert wann?
Was passiert, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellt?
Nach Artikel 68 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kann der Bundeskanzler im Bundestag beantragen, ihm das Vertrauen auszusprechen. Er kann dies – muss es aber nicht – mit einem konkreten Gesetzgebungsvorhaben verknüpfen. Erhält der Kanzler keine Mehrheit, kann er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Zuletzt verfuhr Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005 so. Sie führte letzten Endes zu Neuwahlen und zum Ende seiner Zeit als Kanzler - bei der vorgezogenen Bundestagswahl unterlag er Angela Merkel.
Die Vertrauensfrage wurde in der Geschichte der Bundesrepublik bereits fünfmal gestellt. Das Vorgehen ist umstritten, weil es nicht – wie im Grundgesetz intendiert – darauf abzielt, das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen, sondern gerade im Gegenteil, die dafür nötige Mehrheit zu verfehlen. Man spricht daher auch von einer "unechten Vertrauensfrage". Scholz gab in seinem Statement zur Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) bereits den Tenor vor, als er sagte: "Es gibt keine Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit."
Wenn der Kanzler die Vertrauensfrage im Parlament stellt und keine Mehrheit bekommt, dann wird er im nächsten Schritt den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat dieser nach Artikel 68 maximal 21 Tage Zeit. Er ist nach dem Grundgesetz allerdings nicht verpflichtet, dies zu tun. Macht er es, dann muss gemäß Artikel 39 innerhalb von 60 Tagen ein neuer Bundestag gewählt werden. 2005 verlor Schröder am 1. Juli wie gewünscht die Vertrauensfrage im Bundestag. Am 13. Juli schlug er Bundespräsident Horst Köhler die Auflösung des Bundestages vor, was dieser am 21. Juli tat. Zugleich setzte Köhler eine Neuwahl für den 18. September an. Im aktuellen Fall müssten Neuwahlen bis spätestens Ende März stattfinden.
Bei Auflösung des Bundestags: Wer regiert Deutschland?
Auch nach der Auflösung des Bundestages ist Deutschland nicht politisch führungslos. Der Kanzler und sein Kabinett - mit Ausnahme der FDP-Vertreter - bleiben ja im Amt. Das gilt auch für den Fall, dass nach der vorgezogenen Neuwahl die Koalitionsbildung schwierig wird. Denn Artikel 69 Grundgesetz sieht vor, dass der Kanzler auf Ersuchen des Bundespräsidenten verpflichtet ist, die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen. Gleiches gilt für Bundesministerinnen oder -minister, wenn sie der Bundespräsident oder der Bundeskanzler darum ersuchen.
Die Aufgaben der vier ausgeschiedenen FDP-Kabinettsmitglieder (Finanzen, Justiz, Verkehr, Bildung) können von anderen Ressortchefs mit übernommen werden. Der Kanzler kann aber auch Nachfolger vorschlagen und vom Bundespräsidenten ernennen lassen.