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Verteidigungsminister Pistorius äußert sich zu Abhör-Affäre - so konnte Russland mithören


Autor: Agentur dpa

Berlin, Dienstag, 05. März 2024

Vier Tage nach Bekanntwerden ist die Bundeswehr-Abhöraffäre im Kern aufgeklärt. Die Ursache für das Datenleck: Unachtsamkeit eines Teilnehmers.
Verteidigungsminister Pistorius äußert sich zu Abhör-Affäre - so konnte Russland mithören.


Update vom 04.04.2024, 14.45 Uhr: Russland sieht "Kriegsbeteiligung" Deutschlands

Nach den ersten Untersuchungen ist ein "individueller Anwendungsfehler" verantwortlich dafür, dass das Gespräch hochrangiger Bundeswehr-Offiziere über das Waffensystem Taurus von Russland abgehört werden konnte. Das sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag in Berlin. Der Fehler gehe auf einen Teilnehmer zurück, der von Singapur aus an dem Gespräch teilgenommen habe. Er habe sich über eine "nicht sichere Datenleitung" eingewählt, also Mobilfunk oder WLAN.  Dass ein russischer Spion an dem Gespräch teilgenommen hat, ohne bemerkt worden zu sein, schloss Pistorius aus. 

In dem südostasiatischen Stadtstaat fand zur Zeit des Gesprächs die Singapur Air Show statt, an der viele hochrangige europäische Militärs teilnahmen. "Für russische Geheimdienste nachvollziehbar ein gefundenes Fressen so eine Veranstaltung in diesem Umfeld", sagte Pistorius. In den genutzten Hotels hätten flächendeckend Abhöraktionen stattgefunden.  Der Zugriff auf die Webex-Konferenz der Bundeswehr-Offiziere sei ein "Zufallstreffer, im Rahmen einer breit angelegten, gestreuten Vorgehensweise" gewesen. 

Der Verteidigungsminister sagte, dass disziplinarische Vorermittlungen gegen alle vier Teilnehmer des Gesprächs eingeleitet worden seien. Er betonte aber auch: "Persönliche Konsequenzen stehen derzeit nicht auf der Agenda." Er werde "niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern", betonte Pistorius. 

Am Freitag hatte Russland eine mitgeschnittene Schaltkonferenz von vier hohen Offizieren, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, veröffentlicht. Darin erörterten diese Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert werden sollte. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat das zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen und sein Nein damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte. Am Montag bekräftigte er seine Position und sagte: "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das." Taurus hat eine Reichweite von 500 Kilometern und kann damit von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen.

Update vom 04.04.2024, 14.45 Uhr: Russland sieht "Kriegsbeteiligung" Deutschlands

Nach dem Skandal um ein mutmaßlich durch Russland abgehörtes Gespräch deutscher Luftwaffen-Offiziere stehen die Aufklärung der Umstände und die möglichen Konsequenzen im Mittelpunkt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte, er rechne in den ersten Tagen der neuen Woche mit Ergebnissen der Prüfung des Militärischen Abschirmdienstes. Unklar ist bislang, wie Russland Zugang zu der internen Schalte bekommen konnte. Sicherheitspolitiker der Ampel und der Union forderten bereits bessere Sicherheitsvorkehrungen bei sensibler Kommunikation.

Problematisch ist das abgehörte Gespräch vor allem auch deswegen, weil Einsatzszenarien des "Taurus" diskutiert wurden. In der Schaltkonferenz erörtern  vier Offiziere, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, zur Vorbereitung eines Gesprächs mit Pistorius solche Szwanrien.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre - und dass eine Taurus-Ausbildung ukrainischer Soldaten für einen Einsatz in alleiniger Regie möglich wäre, aber Monate dauern würde. Diskutiert wird auch über die mögliche Zerstörung der von Russland gebauten Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim.

Kremlsprecher mit heftigen Vorwürfen gegenüber Bundesregierung 

Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt. Kanzler Scholz hatte sein Nein zu einer Taurus-Lieferung damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte.

Trotzdem sieht Kremlsprecher Dmitri Peskow in dem abgehörten Gespräch einen Beweis für die Kriegsbeteiligung Deutschlands: Der Mitschnitt zeige, dass die Bundeswehr konkrete Schläge gegen russisches Gebiet plane. Nun sei wichtig, herauszufinden, ob die Bundeswehr auf eigene Initiative solche Planspiele veranstalte, oder ob dies Teil der staatlichen deutschen Politik sei.

"Sowohl das eine als auch das andere ist schlecht", sagte Peskow. Man habe daher bereits den deutschen Botschafter einberufen, behauptete er mit Blick auf ein Gespräch von Alexander Graf Lambsdorff am Montagvormittag im Außenministerium in Moskau. Der deutsche Botschafter hat allerdings bereits klargestellt, dass es sich nicht um eine Einbestellung handelte, sondern einen bereits seit längerem geplanten Termin über "bilaterale Themen". 

Medwedew spricht von Deutschland als "ewigem Feind Russlands"

Die Deutschen seien der ewige Feind Russlands, schrieb derweil der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew. Der Aufruf aus dem Zweiten Weltkrieg "Tod den deutsch-faschistischen Besatzern" sei wieder aktuell, schrieb er auf seinem Telegram-Kanal. Medwedew, der einst als liberaler Hoffnungsträger im Kreml saß, versucht sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor zwei Jahren als Hardliner gegen den Westen in Moskau zu profilieren.

Zur Wort meldete sich auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder: "Das Ganze war jetzt unter uns gesagt auch 'ne fürchterliche Woche für Deutschland", sagte der bayerische Ministerpräsident am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Caren Miosga". Er verwies neben dem Abhörskandal auf den "Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich, auf offener Bühne ausgetragen - ich glaube zum Gelächter im Kreml". Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn (CSU), sagte der "Augsburger Allgemeinen" indes, es stelle sich "unmittelbar die Frage nach den Standards, der Ausrüstung und der Weisungslage im Ministerium".

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte der "Rheinischen Post" (Montag): "Auf bittere Weise zeigt sich, dass unsere Spionageabwehr Lücken hat." Der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags  fügte hinzu: "Es muss schnell aufgeklärt werden, welchen Umfang die Abhöraktionen der russischen Geheimdienste haben. Gleichzeitig müssen wir die eigenen Fähigkeiten ausbauen, um Spionage und Desinformation abzuwehren." Der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle sagte dem "Spiegel": Sollte sich bewahrheiten, dass die interne Kommunikation der Bundeswehr kompromittiert wurde, "bedarf es einer Generalrevision der gesamten internen Infrastruktur zur internen Kommunikation sicherheitsrelevanter Stellen in Deutschland". 

"Teil eines Informationskriegs"

Am Freitag hatte Russland ein mitgeschnittenes Gespräch hoher Offiziere veröffentlicht, in der sie Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus erörterten, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert würde. Das deutsche Verteidigungsministerium teilte mit: "Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen."

Groß ist die Sorge, dass weitere sicherheitsrelevante Kommunikation deutscher Stellen abgehört worden sein könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am Wochenende von einer "sehr ernsten Angelegenheit". Pistorius (SPD) wertete die Veröffentlichung des internen Gesprächs durch Russland als "hybriden Angriff zur Desinformation".

"Es ist Teil eines Informationskriegs, den Putin führt", sagte der SPD-Politiker am Sonntag in Berlin mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Pistorius sicherte zu, nach der Prüfung des Vorfalls zügig die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. 

Update vom 03.03.2024, 17.25 Uhr: Pistorius will vor Abschluss der Untersuchungen nicht über personelle Konsequenzen spekulieren

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die Veröffentlichung eines internen Gesprächs deutscher Luftwaffen-Offiziere durch Russland als "hybriden Angriff zur Desinformation" gewertet. "Es ist Teil eines Informationskriegs, den Putin führt", sagte der SPD-Politiker am Sonntag (3. März 2024) in Berlin. "Es geht um Spaltung. Es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben. Und dementsprechend sollten wir besonders besonnen darauf reagieren, aber nicht weniger entschlossen." Es gehe jetzt auch darum, "Putin nicht auf den Leim zu gehen", betonte Pistorius. "Es geht darum, unsere Innenpolitik auseinanderzutreiben." Er hoffe sehr, dass Putin dies nicht gelinge.

Der Minister sagte, ihm lägen bislang keine Erkenntnisse über weitere Leaks oder das Mithören von weiteren Telefonaten vor. Er erwartet in den ersten Tagen der neuen Woche Ergebnisse der internen Prüfung des Vorgangs - dabei geht es seinen Angaben zufolge unter anderem darum, ob die richtige Plattform für die in dem veröffentlichten Gespräch besprochenen Inhalte gewählt wurde. Die Offiziere hatten sich über die Plattform Webex zusammengeschaltet. Pistorius sicherte zu, nach der Prüfung zügig die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

Auf die Frage nach möglichen personellen Konsequenzen sagte er: "Ich spekuliere grundsätzlich nicht vor Abschluss solcher Untersuchungen über personelle Konsequenzen. Das wäre definitiv viel zu hoch gegriffen." Es gehe vor allem um die inhaltlichen, die regulatorischen Konsequenzen - "und darum, ob man in irgendeiner Form disziplinarrechtlich vorgehen muss" gegen diejenigen, die "im Zweifel, wenn es sich herausstellt, falsch gehandelt haben sollten".

Luftwaffen-Offiziere diskutierten über einen möglichen Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern

Die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, hatte am Freitag den Audiomitschnitt eines gut 30-minütigen Gesprächs hoher Luftwaffen-Offiziere veröffentlicht. Darin diskutieren sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine. Das deutsche Verteidigungsministerium geht nach Angaben einer Sprecherin davon aus, dass das interne Gespräch abgehört wurde.

Update vom 03.03.2024, 13.32 Uhr: Union stellt nach Abhörskandal Scholz' Glaubwürdigkeit infrage

Im Abhörskandal der deutschen Luftwaffe richtet die Union den Fokus auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Zuvor hatte Russland ein mitgeschnittenes Gespräch hoher Offiziere veröffentlicht, in der sie Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus erörterten, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert werden würde. Die Union liest dort heraus, dass bei einer Lieferung eine Beteiligung deutscher Soldaten technisch nicht zwingend erforderlich ist. 

"Die Berichte sind in doppelter Hinsicht befremdlich", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem Spiegel, "zum einen, dass sicherheitsrelevante Gespräche offensichtlich von den Russen mitgehört werden, zum anderen, dass der Bundeskanzler seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen möglicherweise mit einer Falschdarstellung begründet". Er verlangte: "Der Bundeskanzler muss sich dafür vor dem Bundestag erklären." Und drohte: "Bei dieser Sachlage kann ein Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen werden."

Ähnlich argumentierte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter im ZDF: Es "muss geklärt werden, warum der Bundeskanzler mit Falschbehauptungen in die Öffentlichkeit geht, wo er sagt, dass deutsche Bundeswehr-Beteiligung vor Ort nötig sei". Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sieht das genauso. Im Berliner Tagesspiegel konstatierte er einen schweren Schaden für Scholz persönlich: Es stelle sich die Frage, "warum der russische Geheimdienst und vielleicht sogar eine höhere Stelle durch die Veröffentlichung des Gesprächs den Bundeskanzler gerade jetzt so massiv beschädigt".

Abhöraffäre bei der Bundeswehr - das sagt Olaf Scholz zur Taurus-Lieferung

Vier Offiziere, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, hatten in einer Telefonkonferenz zur Vorbereitung eines Gesprächs mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus erörtert, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert werden sollte. Ihr Gespräch war auf der russischen Plattform Russia Today veröffentlicht worden. Darin hatten sie festgehalten, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre - und dass eine Taurus-Ausbildung ukrainischer Soldaten für einen Einsatz in alleiniger Regie möglich wäre, aber Monate dauern würde.

Scholz hatte sein Nein zu einer Taurus-Lieferung damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte. "Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein", hatte er auf einer Veranstaltung der Deutschen Presse-Agentur Anfang letzter Woche gesagt. Bei einem Bürgergespräch in Dresden erklärte er später, die Waffe könne bei einem falschen Einsatz Moskau erreichen. Andere hätten dann Sorge zu tragen, wo was genau lande. !In unserem Fall würde das bedeuten, dass wir uns beteiligen müssten, um das zu können. Das wiederum halte ich für ausgeschlossen."

Wie Russland an den Mitschnitt gelangte, wird nun vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) untersucht. Nach dpa-Informationen haben die Offiziere über die Kommunikationsanwendung Webex miteinander gesprochen. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagte der Bild am Sonntag: "Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde. Dies ist unter anderem Gegenstand der weiteren Untersuchungen." Der Zeitung schrieb unter Berufung auf Sicherheitskreise, dass keine geschützte Leitung genutzt worden sei. Die Webex-Sitzung sei über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden, hieß es.

Diese Konsequenzen werden nun diskutiert 

Geprüft werde, welcher Sicherheitsstufe die in der Besprechung genannten Details unterlegen hätten. Zu klären sei auch, ob die verwendete Webex-Variante zumindest für den Austausch von Informationen der niedrigsten Geheimhaltungsstufe "Verschlusssachen – nur für den Dienstgebrauch" zugelassen sei.

Parteiübergreifend fordern Politiker nun bessere Sicherheitsvorkehrungen - nicht nur für die Bundeswehr. Die auf Sicherheitsthemen spezialisierte Vizevorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, warnte vor weiteren russischen Sabotageaktionen in den kommenden Monaten. "Die Ereignisse der letzten Tage zeigen einmal mehr, wie (Präsident) Wladimir Putin versucht, gerade in Deutschland durch Desinformation, Destabilisierung und Spionage massiv negativen Einfluss auf unsere offene Gesellschaft zu nehmen", sagte sie dem Spiegel. "Das wird in diesem Jahr voller wichtiger Wahlen noch zunehmen, da müssen wir uns deutlich besser darauf vorbereiten, in Politik, Medien und Gesellschaft." 

Ihr Parteikollege Konstantin von Notz, der dem Parlamentsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste vorsteht, hat darüber hinaus von der Regierung Aufklärung in den zuständigen Bundestagsgremien gefordert.  

Ehemaliger Wehrbeauftragter hält Entlassung von Luftwaffen-Inspekteur für unwahrscheinlich 

Eine Entlassung von Luftwaffen-Inspekteur Gerhartz hält der frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, für ausgeschlossen. "Die Bundesregierung wird Putin nicht den Gefallen tun, jetzt einzelne Luftwaffen-Generale zu entlassen", sagte er dem Tagesspiegel.

Ursprungsmeldung vom 02.03.2024: Abhörskandal bei der Bundeswehr bestätigt - Scholz verspricht Aufklärung

Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach der russischen Veröffentlichung eines Mitschnitts von Beratungen deutscher Luftwaffen-Offiziere zum Ukraine-Krieg schnelle Aufklärung versprochen. Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach der SPD-Politiker am Samstag (2. März 2024) von einer "sehr ernsten Angelegenheit". Auf eine Frage der Deutschen Presse-Agentur nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte er: "Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig."

Die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, hatte am Freitag einen Audiomitschnitt des rund 30-minütigen, abgehörten Gesprächs veröffentlicht. Darin sind ranghohe Offiziere der Luftwaffe zu hören, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutieren. Nach dpa-Informationen ist das Gespräch authentisch. Die Offiziere schalteten sich demnach über die Plattform Webex zusammen. 

Das deutsche Verteidigungsministerium teilte mit: "Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen."

Mitschnitt von Beratung deutscher Offiziere veröffentlicht - Sicherheitspolitiker fordern Konsequenzen

Die Vorsitzende des Bundestagsverteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): "Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel." Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul forderte die Bundesregierung auf, die Vorschriften für den Schutz von Kommunikation nachzuschärfen. Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte dem ARD-Hauptstadtstudio, der Abhör-Vorgang "wird sicherlich nur die Spitze des Eisbergs sein". 

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz erwartet eine umgehende und umfassende Aufklärung durch die Bundesregierung. Dazu würden für die kommende Sitzungswoche des Bundestags - diese beginnt am 11. März - entsprechende Berichte in den zuständigen Ausschüssen und anderen Gremien beantragt. Theoretisch kommen dafür unter anderem der Innenausschuss, der Verteidigungsausschuss, der Auswärtige Ausschuss oder auch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) infrage. Von Notz selbst ist Vorsitzender des PKGr, das für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig ist. 

Von Notz teilte weiter mit: "Schnellstmöglich muss geklärt werden, ob es sich bei diesem Abhörskandal um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Problem handelt." Es werde deutlich, dass es eine "wirkliche Zeitenwende" bei allen Verfassungsorganen und Sicherheitsbehörden brauche - auch und gerade mit Blick auf den Eigenschutz aller sicherheitsrelevanten Kommunikationen. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle sagte dem Handelsblatt: "Sollte sich bewahrheiten, dass die interne Kommunikation der Bundeswehr kompromittiert wurde, bedarf es einer Generalrevision der gesamten internen Infrastruktur zur internen Kommunikation sicherheitsrelevanter Stellen in Deutschland."

Details zu Taurus und brisante Äußerung über Verbündete

An dem Gespräch nahm unter anderen Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz teil. Es soll der Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gedient haben. In dem in der Audiodatei dokumentierten Austausch geht es unter anderem um die Frage, ob Taurus-Marschflugkörper technisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt. 

Brisant ist, dass die Rede davon ist, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper "ein paar Leute vor Ort" hätten. Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung gegeben über eine Äußerung von Kanzler Olaf Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde. "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", sagte der SPD-Politiker. Was er genau damit meint, ließ er offen. Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: "Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte."

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte dem Nachrichtenportal ZDFHeute mit Blick auf die Veröffentlichung: "Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden."

Verteidigungsexperte geht von weiteren abgehörten Gesprächen aus

Auch Strack-Zimmermann sieht als Grund für die Veröffentlichung, dass Russland Bundeskanzler Scholz davon abschrecken will, doch noch grünes Licht für die Lieferung von Taurus zu geben. Sie sagte dem RND, Spionage gehöre "zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung". Es sei weder überraschend noch verwunderlich, dass Gespräche abgehört würden. "Es war nur eine Frage der Zeit, wann es öffentlich wird." 

Kiesewetter rechnet damit, dass noch etliche andere Gespräche abgehört wurden und gegebenenfalls später im Sinne Russlands geleakt werden. Er vermutet zudem: "Dieses Bundeswehr-Leak kann ein russischer Versuch sein, die öffentliche Debatte wegzulenken von den Wirecard-Enthüllungen und der Beerdigung von Alexej Nawalny." 

Scholz hat mehrfach betont, dass er gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist, weil er die Gefahr sieht, dass Deutschland in den von Russland begonnenen Angriffskrieg hineingezogen werden könnte. Nach Bekanntwerden des Abhörskandals bekräftigte er am Samstag bei einem Besuch in Rom: "Wir werden keine europäischen Soldaten in die Ukraine schicken. Wir wollen den Krieg zwischen Russland und der Nato nicht, und wir werden alles tun, um ihn zu verhindern." Innerhalb seiner eigenen Ampel-Koalition ist sein Nein zu einer Taurus-Lieferung aber umstritten.

Verteidigungspolitischer Sprecher fordert: Scholz soll sich im Verteidigungsausschuss erklären

Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn, forderte nun, dass der Kanzler sich im Verteidigungsausschuss des Bundestags erklärt. Aus seiner Sicht untermauert das angebliche Luftwaffen-Gespräch, dass ein Einsatz von Taurus durch die Ukrainer auch ohne Bundeswehr-Personal vor Ort möglich wäre. "Wenn der Mitschnitt echt ist, sind die Aussagen des Kanzlers aus dieser Woche nicht nur unangemessen, sondern falsch", sagte der CSU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Minister Pistorius habe sich explizit zum Taurus einschließlich Einsatzmöglichkeiten unterrichten lassen. "Daher ist es kaum vorstellbar, dass Scholz von dieser militärischen Einschätzung nichts wusste." Obwohl er militärisch vorausschauende Planung für durchaus normal halte, sei hier Aufklärung gefordert. "Ich erwarte Bundeskanzler Scholz hierzu im Verteidigungsausschuss."