In mehreren Bundesländern - unter anderem in Bayern - sorgt die massive Ausbreitung eines Schädlings für Existenzängste bei Kartoffelbauern und Lebensmittelkonzernen. Verbände warnen gar davor, die deutsche Knolle könne komplett aus den Läden verschwinden.
Ein Schädling sorgt aktuell für Aufregung bei Landwirten, Lebensmittelkonzernen und Supermarktketten: Die Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) stellt eine erhebliche Bedrohung für den Kartoffelanbau in Deutschland dar. Das Insekt überträgt bakterielle Erreger wie das Stolbur-Phytoplasma (Candidatus Phytoplasma solani), das die sogenannte Stolbur-Krankheit verursacht, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erklärt.
Diese Krankheit verringert die Qualität der Kartoffeln laut erheblich, indem sie den Stärkegehalt senkt und den Zuckergehalt in den Knollen erhöht. Diese Veränderungen führen dazu, dass Kartoffeln beim Frittieren braun werden, was sie für die industrielle Verarbeitung unbrauchbar macht, so das Wissenschaftsmagazin Spektrum. Besonders betroffen sind auch Zuckerrüben, Erdbeeren und zunehmend Wurzelgemüse wie Karotten und Rote Bete. Der genaue Grund für die Ausbreitung ist noch unklar - erstmals soll die Zikade Ende der 2000er-Jahre von Schilfrohr auf Ackerrüben "umgezogen" sein.
Glasflügelzikade: Auch in Bayern sind die Kartoffelernten massiv bedroht
In Deutschland breitet sich die Zikade zunehmend aus. Besonders betroffen sind Regionen in Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg, wo Ernteverluste von bis zu 50 % berichtet wurden. In Niedersachsen, dem größten Kartoffelproduzenten des Landes, wurden bereits Maßnahmen wie Monitoring und Schutznetze vorgeschlagen, berichtet die NWZ. Allerdings fehlen bisher wirksame Pflanzenschutzmittel, da die Zikade offiziell noch als bedrohte Art eingestuft ist, was die Zulassung von geeigneten Insektiziden erschwert.
Die steigenden Temperaturen und milderen Winter durch den Klimawandel begünstigen zudem die Ausbreitung des Schädlings. Besonders kritisch ist die Situation laut Bauernzeitung für die kartoffelverarbeitende Industrie, die auf qualitativ hochwertige Rohstoffe angewiesen ist.
Unternehmen warnen, dass die Ausbreitung der Zikade existenzbedrohend sein könnte, da ein Import von Kartoffeln aufgrund hoher Transportkosten keine wirtschaftliche Alternative darstelle. "Die regionale Verarbeitung, Versorgung und Züchtung sowie Vermehrung der Kartoffeln wird existenziell gefährdet", erläutert Helen Pfitzner, Koordinatorin der Zikadenforschung von der Union der Deutschen Kartoffelwirtschaft e. V. (UNIKA) gegenüber dem BR.
Bundesamt erlässt Notfallmaßnahme - "Versorgung mit heimischen Lebensmitteln gefährdet"
Langfristig könnten neue Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas oder biologische Bekämpfungsmethoden wie entomopathogene Pilze zur Kontrolle der Zikade beitragen. Kurzfristig setzen Experten jedoch auf Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln und eine optimierte Fruchtfolge. Aktuell gibt es im Bereich des Zuckerrübenanbaus keine zugelassenen Pflanzenschutzmittel gegen Glasflügelzikaden, die als Überträger bakterieller Krankheitserreger gelten.
Nach einer gründlichen Prüfung habe das BVL deshalb die Verwendung einiger bereits zugelassener Pflanzenschutzmittel auf weitere Anwendungsgebiete ausgeweitet, heißt es. Diese Ausweitung ist zunächst für 120 Tage gültig und betrifft jetzt nicht nur Zuckerrüben, sondern auch Kartoffeln. "Wir prüfen aktuell weitere Notfallzulassungen für die Anwendung in Wurzelgemüse", erläutert Dr. Thomas Schneider, der die Abteilung Pflanzenschutzmittel im BVL leitet. Zusätzlich wurden zum Schutz des Naturhaushalts und der Gesundheit von Mensch und Tier weitere Risikominderungsauflagen festgelegt.