Druckartikel: "Veränderung" mit Kunst im Knast

"Veränderung" mit Kunst im Knast


Autor: Rudolf Görtler

Ebrach, Dienstag, 15. Januar 2013

Eine Installation aus Teilen, die wie aus einem Baukasten zusammengesetzt werden können, ist in der JVA Ebrach entstanden. Gefangene, Geistliche und Künstlerinnen setzen mit dem Thema "Veränderung" das Werk der Minimal-Art-Künstlerin Charlotte Posenenske fort.
Anstaltsgeistlicher Hans Lyer am Altar vor der Installation mit Modulen Charlotte Posenenskes Fotos: Barbara Herbst


Mit der engagierten Kunst ist es ein eigen Ding. Klassiker von Goya und Gericault über die Naturalisten und Expressionisten bis hin zu Aktionskünstlern: Sie alle sind längst in dickleibige Lexika gewandert, museal archiviert und Kanon geworden - dabei hatten sich viele derartige Künstler einst als Revolutionäre verstanden zumindest im kulturellen Überbau.

Naturgemäß war die 68er-Zeit eine Hoch-Zeit der Politisierung auch in der bildenden Kunst. Was waren wir für eine Rasselbande damals, sagen nicht nur Gerhard Schröder, Joschka Fischer und unzählige andere, das sagen auch viele mittlerweile etablierte Künstler, die bei einem Glas edlen Rotweins milde lächelnd auf ihre wilde Boheme-Jugend zurückblicken.

Wenige waren so konsequent wie Charlotte Posenenske. Die 1930 geborene Bühnenbildnerin, Bildhauerin und Malerin wollte mit ihrer Kunst in die Gesellschaft wirken. Sie erkannte jedoch, dass sie ihre Ziele mit Kunst nicht erreichen konnte - und verlegte sich auf die Soziologie. Bis zu ihrem Tod 1985 beschäftigte sie sich mit sozialen Projekten .

Was nicht heißt, dass ihr Werk vergessen ist. Es wird gemeinhin der Minimal Art zugerechnet, einer vornehmlich in den USA blühenden Kunstrichtung der 1960er Jahre, die sich mit seriellen Elementen beschäftigte, mit industriell gefertigten Materialien. Das Kunstwerk wurde für Posenenske erst durch den Be-Nutzer zur Kunst, denn ihre baukastenartig gestalteten Elemente können neu gestellt, verschraubt, kombiniert werden.

Raumforscherinnen in Ebrach

Was Gefangene der JVA in Ebrach in den vergangenen Wochen getan haben. Eingefädelt hat das kreative Schaffen ein Künstlerinnenduo: Anja Schoeller aus Fürth und ihre Berliner Kollegin Kerstin Polzin figurieren seit 2005 als Kollektiv "zwischenbericht". Sie haben sich an der Nürnberger Kunstakademie kennen gelernt und nennen sich "Raumforscherinnen". Vor einigen Jahren errichtete das Duo auf dem alten Nürnberger AEG-Gelände ein "imaginäres Museum" mit Zitaten zeitgenössischer Kunst. Das fiel Protagonisten des Bamberger Kunstvereins auf, und so streckte "zwischenbericht" seine Fühler nach Oberfranken aus. Genauer gesagt, vornehmlich in die JVA Ebrach, wo jugendliche Straftäter im Alter etwa von 17 bis 24 mit den Anstaltsgeistlichen Hans Lyer (katholisch) und Alexander Tietz (evangelisch) das Projekt WERKsHANDLUNGen unter der Generallinie "Veränderung" zusammen mit Insassen betrieben und betreiben.

Aus Berlin kamen von Posenenskes Nachlassverwalter 36 Module, getreu dem Credo der einstigen Minimal-Art-Aktivistin Blechelemente, die wie Bauteile einer Lüftungsanlage aussehen, in sechs verschiedenen Formen: Quader, Winkel usw. Sie können in beliebigen Kombinationen miteinander verschraubt werden. Was die von den Pfarrern betreuten jungen Männer im Kapitelsaal der Anstalt auch getan haben. Dreidimensionale Gebilde entstanden so, Installationen, die zur Interpretation einladen. Was Wunder, dass die mit der Situation der Entstehung und den am Kunstwerk Arbeitenden zu tun haben: "Veränderung" als Lebenslauf-Veränderung, als Resozialisierung. Was Pfarrer Lyer in Gottesdiensten auch thematisiert hat. "Gott verändert", brachte er vor, bzw. hat sich in der Menschwerdung verändert. Eine Theo-Dramatik.

Was für den nicht Involvierten etwas hermetisch klingt. Tatsache ist, dass die Gefangenen mit Feuereifer am Kunst-Baukastensystem werkelten. Feuer ist wörtlich zu nehmen: Sie illuminierten ihr Gebilde mit Dutzenden von Lichtern.

Im Frühjahr sollen die Posenenkse'schen Module in der JVA-Metallwerkstatt nachgebaut werden. Studenten der Sozialwissenschaft unter Professor Olaf Struck interessierten sich für das Projekt unter dem Aspekt Standardisierung versus Kreativität. Im Sommer dann, schwebt dem Künstlerduo vor, wandern die Gebilde nach Bamberg: ins alte Hallenbad, ins alte Kesselhaus am Leinritt, auf den Maxplatz vielleicht. Das wird "zwischenbericht" zusammen mit Kunstverein und der kunstpolitisch stets interessierten Stadträtin Ursula Sowa noch dirigieren. Auf dass die Avantgarde von vor 50 Jahren wiederbelebt werde.