Treibhausgas-Ausstoß auf niedrigstem Wert seit 1950ern
Autor: Martina Herzog, dpa
, Donnerstag, 04. Januar 2024
Deutschland stößt so wenig Treibhausgase aus wie seit langem nicht mehr. Davon gehen Experten der Denkfabrik Agora Energiewende aus. Doch das klingt besser als es ist.
Deutschland hat im vergangenen Jahr nach vorläufigen Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende so wenig Treibhausgase produziert wie seit sieben Jahrzehnten nicht mehr.
Demnach ist der CO2-Ausstoß gegenüber 2022 um 73 Millionen Tonnen auf insgesamt 673 Millionen Tonnen gesunken - was einem Rückgang von 46 Prozent im Vergleich zu 1990 entspreche. Das geht aus einer Studie mit dem Titel «Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023» hervor, die an diesem Donnerstag in Berlin vorgestellt wird und der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt.
«Die Emissionen haben 2023 den tiefsten Stand seit den 1950er Jahren erreicht. Gleichzeitig handelt es sich um den größten Rückgang von Jahr zu Jahr in diesem Zeitraum», sagte der Deutschland-Direktor von Agora, Simon Müller, der dpa. Für die Zeit vor der Wiedervereinigung haben die Autoren Daten zum Ausstoß an Treibhausgasen aus der Bundesrepublik und der DDR zusammengerechnet. Allerdings: Einen dauerhaften Erfolg für den Klimaschutz stellt das Rekordjahr nach Analyse der Fachleute nicht dar.
Warum die Emissionen gesunken sind
Nur rund 15 Prozent des Rückgangs führen die Studienautoren auf dauerhafte Einsparungen zum Beispiel durch den Ausbau erneuerbarer Energien, eine effizientere Nutzung von Energie und den Umstieg auf klimafreundlichere Brennstoffe zurück. Etwa die Hälfte geht demnach auf kurzfristige Effekte wie den geringeren Stromverbrauch zurück. Die niedrigeren Emissionen liegen auch am Schwächeln der deutschen Industrie, insbesondere die Produktion der energieintensiven Industrie brach ein. «Der krisenbedingte Produktionseinbruch schwächt den Industriestandort Deutschland. Wenn in der Folge Emissionen lediglich ins Ausland verlagert werden, ist auch für das Klima nichts gewonnen», betonte Müller.
Hauptgrund für die bessere Klimabilanz ist laut Agora aber, dass im vergangenen Jahr weniger Strom aus dem klimaschädlichen Verbrennen von Kohle gewonnen wurde. Die Emissionen aus der Stromerzeugung sanken demnach um 46 Millionen auf 177 Millionen Tonnen CO2 und haben sich damit im Vergleich zu 1990 mehr als halbiert. CO2 oder Kohlendioxid umfasst hier wie üblich andere Treibhausgase, die zur besseren Vergleichbarkeit in CO2 umgerechnet wurden. Dass wiederum weniger Kohle verstromt wurde, habe am preisbedingten Rückgang beim Stromverbrauch um 3,9 Prozent gegenüber 2022 gelegen. Infolge der Ukraine-Krise waren die Energiepreise gestiegen. Europaweit habe es außerdem ein starkes Jahr für Strom aus erneuerbaren Energien gegeben, so die Studienautoren. Zudem legten die erneuerbaren Energien auch in Deutschland zu.
Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich erfreut über den Zuwachs der Erneuerbaren und die sinkende Kohleverstromung, äußerte sich zum Emissions-Rückgang in der Industrie aber differenziert. «Gut ist, dass in Klimaschutz und Energieeffizienz investiert wird. Nicht gut ist, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die von Putin gewollte Preiskrise zu Produktionsrückgängen führen. Mein Ziel als Wirtschaftsminister ist, dass Deutschland ein starker Industriestandort bleibt und klimaneutral wird.»
Sorgenkinder Gebäude und Verkehr
Agora geht davon aus, dass der Gebäudesektor zum vierten Mal in Folge sein Klimaziel nicht geschafft hat. Die Emissionen hier sanken den Berechnungen zufolge nur um 3 Millionen auf 109 Millionen Tonnen CO2, was am geringeren Heizbedarf wegen milder Witterung gelegen habe. Der Sektor liegt damit 8 Millionen Tonnen über dem nötigen Pfad zur Erreichung des Ziels für 2030.