Traumberuf Schauspieler - so sieht die Realität aus
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Samstag, 06. Dezember 2014
Der Austausch fast eines kompletten Ensembles wie am Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater wirft die Frage nach der sozialen Realität des "Traumberufs" Schauspieler auf. Denn die heißt: viel Arbeit, wenig Geld.
Der Vorhang fällt, tosender Applaus hebt an, das Publikum will die sich verbeugenden Schauspieler gar nicht mehr von der Bühne lassen. Oder: Auf dem roten Teppich schreitet eine Filmdiva durchs Blitzlichtgewitter. Das sind Tagträume, die vermutlich manchem jungem Mädchen, das im Schultheater die Julia gibt, manchem Jungen, der beobachtet, wie seine Klassenkameradinnen Matthias Schweighöfer anschmachten, im Kopf herumspuken. Träume, die staatliche und private Schauspielschulen mit einem nie versiegenden Strom an Bewerbern versorgen und eine künstlerische Reservearmee produzieren, die auf dem Markt die Preise drückt.
Natürlich ist alles anders.
Dass mit dem Intendantenwechsel zur nächsten Spielzeit am Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater nicht nur nahezu das gesamte Ensemble seinen Arbeitsplatz verliert, sondern auch das restliche sogenannte "künstlerische Personal" wie Dramaturgen und Theaterpädagogin, hat einer breiteren Öffentlichkeit die sozialen Risiken des Berufs vor Augen geführt und einigen Rumor erregt. Denn die darstellende ist mitnichten nur eine hehre Kunst, sie hat eine materielle Basis wie alles in dieser Gesellschaft.
Sonderregelungen
Im künstlerischen Bereich gilt eine ganze Reihe von arbeitsrechtlichen Sonderregelungen, von denen die Kollegen der Technik (Beleuchter, Schneider usw.) befreit sind. Für die gilt an kommunalen und Landestheatern (etwa 150 in Deutschland) ein von Verdi ausgehandelter Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) mit vergleichsweise rigiden Arbeitszeit- und Überstundenregelungen, Kündigungsschutz und Einkommensstruktur. Davon kann das künstlerische Personal nur träumen. Etwa 20 000 "darstellende Künstler" (Schauspieler, Tänzer, Sänger usw.) sind in Deutschland registriert; die genaue Zahl kennt keiner. Nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins waren in der Spielzeit 2012/13 an den 150 Theatern etwa 2000 Schauspieler engagiert; Gerald Leiß, der zu den nicht weiterbeschäftigten Mitgliedern des Bamberger Ensembles gehören wird, schätzt ihre Zahl (mit Film- und Fernsehschauspielern und Arbeitslosen) auf etwa 7500.
Seit dem 1. Januar 2003 unterliegen Schauspieler, Dramaturgen usw. dem "Normalvertrag (NV) Bühne". Abgeschlossen worden war er zwischen der Künstler-Gewerkschaft "Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger" (GDBA) und der Arbeitgebervertretung Deutscher Bühnenverein. Das komplizierte Regelwerk umfasst rund 160 Seiten. Allein, am interessantesten für den Außenstehenden - ca. vier Millionen Besucher sitzen jedes Jahr in deutschen Theatern, mehr als in Bundesligastadien - ist die Bestimmung, wonach ein ausgebildeter Schauspieler eine Gage von mindestens 1650 Euro im Monat erhalten muss.
Alles andere ist Verhandlungssache. Das heißt, theoretisch ist die Höhe der Gage unbegrenzt. Theoretisch. Nach einer allerdings nicht repräsentativen Umfrage des Deutschen Kulturrats von 2013 verdient ein angestellter Darsteller im Schnitt 2101 Euro, ein Viertel der Befragten mehr als 2942 Euro. Am Hamburger Thalia-Theater, einem der renommiertesten Häuser der Republik, liegen Spitzengagen bei 6000 Euro (alle Angaben brutto und pro Monat), ein Regisseur erhält dort für eine Produktion maximal 35 000 Euro. Doch das sind Traumzahlen für die kleinen Häuser in der Provinz. Gerald Leiß, 43 Jahre alt, seit 15 Jahren am E.T.A.-Hoffmann-Theater engagiert, verdient etwas über 2600 Euro. Offen gesprochen wird im Ensemble darüber nicht, man darf jedoch annehmen, dass die Gagen sich bei den meisten um diesen Wert bewegen, mit leichten Ausschlägen bei einigen Älteren nach oben, mit stärkeren Ausschlägen nach unten bei den Neulingen.
Film- und Fernsehschauspieler werden nach Drehtagen bezahlt, Gage knapp 1000 Euro je Tag, Tendenz nach unten. Auch hier gilt: Alles ist verhandelbar, Stars haben naturgemäß einen anderen Status. Für Film und Fernsehen hat sich ein "Berufsverband Schauspiel" gegründet, der mit der "Allianz Deutscher Produzenten" verhandelt.
Doch bleiben wir beim Theater. Der entscheidende Unterschied zum Normalarbeitsverhältnis ist der Wegfall einiger klassischer Schutzbestimmungen. Schauspieler erhalten Verträge für eine Spielzeit, die sich entweder stillschweigend verlängern - oder eben nicht. Was das künstlerische Personal in Bamberg gespürt hat. Bis zum 31. Oktober haben die meisten Schauspieler/innen eine sogenannte "Nichtverlängerungsmitteilung" erhalten. Alles rechtens, auch für Schwangere wie die Dramaturgin Ulrike Kitta oder Eva Steines. Es bleibt ein Gebot der Fairness zu erwähnen, dass derlei beim Intendantenwechsel nicht unüblich ist, ob in dieser Rigorosität, sei dahingestellt. Wenn die neue Intendantin Sibylle Broll-Pape glaubt, mit der alten Mannschaft ihre künstlerischen Vorstellungen nicht verwirklichen zu können, dann ist das ihr gutes Recht, vom Arbeitgeber Stadt Bamberg abgesegnet.
Natürliche Fluktuation
Doch Verletzungen bleiben. "Enttäuscht und beleidigt" fühlt sich Steines, "wie einen Tritt in den Hintern" empfindet Leiß das Vorgehen der neuen Intendantin. Er weist auf die natürliche personelle Fluktuation eines Ensembles und schildert die Arbeitsbedingungen in seinem Beruf: täglich außer Samstag Proben von 10 bis 14 und 18 bis 22 Uhr, Vorstellungen am Wochenende, Textlernen kommt dazu. Kein Wunder, dass Partnerschaften schwierig sind und regelmäßige Kontakte außerhalb des Milieus so gut wie unmöglich, wenig überraschend, dass Berufswechsel keine Seltenheit ist. Andreas Ulich etwa hat diesen Weg gewählt und ist jetzt als Rezitator unterwegs oder Olivia Sue Dornemann, die in Leipzig ein Hostel eröffnet hat. In Bamberg kursierende Gerüchte über ein von den arbeitslosen Schauspielern geplantes Privattheater sind eben nur - Gerüchte.
Aufgeben ist für Gerald Leiß und Eva Steines keine Option. Sie lieben den Beruf, der eine Berufung sein muss. Bewerben, vorsprechen - Intendant Rainer Lewandowski hilft "seinen" Schauspielern, wo immer er kann, wie er als Chef überhaupt einhellig gelobt wird. Denn es geht auch anders, wie man jetzt weiß.