"Tannhäuser" in Bayreuth: Slapstick und Tragik am Grünen Hügel
Autor: Monika Beer
Bayreuth, Donnerstag, 25. Juli 2019
"Tannhäuser" in der Neuinszenierung von Tobias Kratzer ist ein Theatercoup. Bei der Premiere am Donnerstag wurden die überragenden Solisten, Chor und Szeniker gefeiert und Dirigent Valery Gergiev ausgebuht.
Die Festspiele haben eine neue Kultinszenierung, der eigentlich nur noch eines fehlt: ein Dirigent, der mit so viel Einfallsreichtum, Genauigkeit, Kenntnis und Liebe ans Werk geht wie das Inszenierungsteam. Tobias Kratzer ist mit Richard Wagners "Tannhäuser" ein Theatercoup gelungen, den die wunderbare Sängerriege bravourös umsetzt. Nur Stardirigent Valery Gergiev outete sich bei der Premiere eher als Besetzungsfehler.
Schon im Vorfeld war klar, dass diese Neuinszenierung Außergewöhnliches bieten würde. Schließlich hat es bei den Festspielen zwar mit Grace Bumbry schon eine schwarze Venus gegeben, aber keine Drag-Queen. Der Regisseur bezieht sich witzig, frech, unterhaltsam, intelligent und mit sehr viel Hintergrundwissen nicht nur auf die Festspiel- und Rezeptionsgeschichte.
Sondern auch auf Richard Wagners Ausspruch "Kinder, macht Neues! Neues! und abermals Neues!" von 1852.
Anarchistische Zirkustruppe
Seine Interpretation erzählt ein Künstlerdrama, setzt aber die gegebenen Gegenwelten anders um. Der zumeist mit peinlichen Sexszenen belastete Venusberg entpuppt sich als eine anarchistische Zirkustruppe, die wie in einem Roadmovie mit einem Citroen-Camion beim Burger King und einem putzigen Märchenland Station macht und im ersten Akt vor dem ebenso putzigen Festspielhaus endet, mit heutigen Festspielbesuchern als Pilgerchor.
Clown Tannhäuser, stets eine Partitur im Gepäck, kehrt zurück in sein früheres Sängerleben und steigt ein in eine museale Festspielinszenierung. Seine Weggefährten Venus, Le Gateau chocolat und der Blechtrommler Oskar entern das Festspielhaus doppelt und dreifach: ganz real (was man erst draußen in der Pause sieht), in der konservativ langweiligen Bayreuth-Vorstellung des zweiten Akts, die in gedeckten Farben in der unteren Bühnenhälfte abläuft, während oben ein Echtzeitvideo in Schwarz-Weiß zeigt, was Backstage passiert.
In diesen zwei abnehmend parodistischen Akten darf ungewöhnlich oft gelacht werden, was manchem im Publikum gegen den Strich gehen mag. Aber im dritten Akt ist's endgültig vorbei mit lustig: Der Spannungsbogen, den Regisseur Kratzer, Rainer Sellmaier (Bühne und Kostüm) und Manuel Braun (Video) kunstvoll und mit ein paar Einschränkungen schlüssig aufgebaut haben, mündet im tragischen Scheitern der Protagonisten, die nun keine Kunstfiguren mehr sind, sondern - und zwar hochpolitisch - Menschen aus Fleisch und Blut.
Bayreuth als Kunstreligion
Natürlich dürften nicht nur Premierengast Erzbischof Ludwig Schick die gegebenen religiösen Aspekte gefehlt haben. Stattdessen rekurriert die Inszenierung auf den revolutionären Wagner ebenso wie auf Bayreuth als Kunstreligion.