Geplatzte Richterwahl erschüttert Koalition
Autor: Michael Fischer, Martina Herzog, Jörg Blank und Carsten Hoffmann, dpa
, Freitag, 11. Juli 2025
Kanzler Merz wollte eine Koalition ohne öffentlichen Streit - anders als die Ampel. Mit diesem Anspruch ist er gut zwei Monate nach seinem Amtsantritt gescheitert.
Das vorläufige Scheitern der Richterwahl im Bundestag hat die schwarz-rote Koalition unmittelbar vor der Sommerpause in ihre erste handfeste Krise gestürzt. Wegen massiven Widerstands in der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf wurden die Abstimmungen über die insgesamt drei Vorschläge für das Bundesverfassungsgericht kurzfristig von der Tagesordnung genommen.
Unter Druck steht jetzt vor allem Unionsfraktionschef Jens Spahn, der die Reihen der Union nicht rechtzeitig schließen konnte. Aber auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) wird von der SPD attackiert.
«Fehlende Durchsetzungskraft»: SPD-Kritik an Spahn und Merz
«Was wir hier heute erlebt haben und in den letzten Tagen, ist ein Hinweis auf fehlende Durchsetzungskraft in der eigenen Fraktion von Jens Spahn, aber auch von Friedrich Merz», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese. Ähnlich deutlich äußerte sich die stellvertretende SPD-Vorsitzende und saarländische Ministerpräsident Anke Rehlinger in der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten»: «Ich bin entsetzt. Es scheint ein Führungsproblem in der Union zu geben.»
Auch Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil ermahnte den Koalitionspartner: «Wenn hier strittige Abstimmungen sind, dann muss es Führung und Verantwortung auch geben.» Das bedeute auch, dass man manche schwierige Entscheidungen mittragen müsse.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Die SPD will an ihrer Kandidatin festhalten. Von der Potsdamer Staatsrechtlerin Brosius-Gersdorf selbst gab es zunächst keine Stellungnahme. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) warb dafür, die Wahlen in der nächsten regulären Sitzungswoche nachzuholen - also im September. Den Grünen geht das nicht schnell genug. Sie dringen auf eine Sondersitzung des Bundestags in der kommenden Woche.
Mehrere Dutzend Unions-Abgeordnete meldeten Bedenken an
Die Koalition hatte wochenlang Zeit, die Richterwahl vorzubereiten. Außer Brosius-Gersdorf hatte die SPD noch die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold nominiert und die Union den vom Verfassungsgericht empfohlenen Arbeitsrichter Günter Spinner.
In der vergangenen Woche wurden dann aus der Union Zweifel an Brosius-Gersdorf wegen ihrer liberalen Haltung zu Abtreibungen, aber auch wegen ihrer Forderung nach einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie öffentlich. Mehrere Dutzend Abgeordnete meldeten bei einer Abfrage durch die Fraktionsspitze Bedenken an.