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Sind wir nicht alle ein bisschen Wüstling?


Autor: Monika Beer

Nürnberg, Sonntag, 27. Januar 2013

Georg Schmiedleitner, der designierte Nürnberger "Ring"-Regisseur, scheitert aktuell an Mozarts "Don Giovanni".
Randall Jakobsh als Don Giovanni in der Nachtmahlszene mit einer Statistin Foto: Ludwig Olah


Man soll als Kritiker tunlichst ohne vorgefasste Meinung ins Theater gehen. Hab ich auch brav befolgt. Aber ich muss gestehen, dass dieNürnberger Neuinszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts "Don Giovanni"bei mir schon nach wenigen Minuten die Alarmglocken losschrillen ließ. Donna Anna befummelte den Titelhelden nämlich derart, dass man sich zwangsläufig die Frage stellen musste, wer denn da sexsüchtiger sei: die junge Frau oder ihr Verführer?

Nun muss man wissen, dass das erste Zusammentreffen von Donna Anna und Don Giovanni eindeutig eine Vergewaltigung ist, die mehrfach blutig endet, weil der zu Hilfe geeilte Vater Donna Annas am Ende tot da liegt. Was für den weiteren Verlauf der Geschichte natürlich nicht folgenlos bleibt. Dies zu erzählen, wäre die Aufgabe des Regisseurs.

Leider hat sich Georg Schmiedleitner, der am Nürnberger Opernhaus bisher mit "Elektra" von Richard Strauss und "Macbeth" von Giuseppe Verdi zwei ausgesprochen packende, den Kern der Werke und ins Herz der Zuschauer treffende Inszenierungen realisiert hat, diesmal darauf beschränkt, ein paar magere düstere Gedanken mit dem heute gängigen Regietheaterquatsch und dem altbekannten Sex-sells-Motto aufzubrezeln.

Nicht dass Mozarts Don Giovanni sich für Letzteres nicht anböte. Aber wenn bis auf den Komtur und Don Ottavio alle Figuren scheinbar nichts anderes im Kopf haben, als die nächste schnelle heiße Nummer, stimmt nichts mehr im dramatischen Gefüge. Erst recht nicht, wenn das den Zuschauerraum spiegelnde Bühnenbild von Florian Parbs und die heutigen Kostüme von Nicole von Graevenitz signalisieren wollen, dass wir alle Wüstlinge sind.

Die sehr einseitige und schon damit denunziatorische Sicht des Regisseurs lässt sich gut an den Frauenfiguren ablesen. "Ich behaupte", so Schmiedleitner im Programmheft, "dass die Frauen nicht nur erotische Opfer von Don Giovanni sind, sondern dass sie sich mit einer modernen Leidenschaftlichkeit dieser Lust hingeben. Sie lassen da auch nicht los, sondern projizieren in Don Giovanni ihre eigenen verdrängten Sehnsüchte. Gerade Donna Anna tut das, denn das Abenteuer mit diesem Mann reizt sie, obwohl sie eigentlich in Trauer ist."

Eine kühne Behauptung, denn sie nimmt weder Donna Annas Trauer ernst noch die Vergewaltigung und verkleinert die gerade erst um all ihre bisherigen Lebenssicherheiten beraubte junge Frau auf ihre sexuelle Verwirrung. Und Zerlina? Die kurz vor ihrer Hochzeit stehende Braut wird weniger verführt, sondern bespringt den ihr bis dato wildfremden Don Giovanni so schnell, dass man sich unwillkürlich fragt, ob der Regisseur nicht Opfer der eigenen Männerfantasien geworden ist.

Greifbar wird das vor allem in der Nachtmahlszene, in der Don Giovanni für sich und den gespenstischen Gast eine schöne Nackte auftischt. Dass die Statistin mehrfach mit Rotwein begossen wird, den der Titelheld dann aus ihrem Bauchnabel schlürft, ist eins zu eins nur noch ein Klischee aus der Werbung. Und was will uns diese Werbung sagen? Dass es in unserer sexualisierten Genussgesellschaft gar keine Werte mehr gibt? Ach herrje!

Dabei kann dieser Regisseur handwerklich viel und genug, um das Spiel mit wenigen Requisiten im leeren Bühnenraum wagen zu können. Er holt aus den auch in ihrer Körpersprache stark geforderten Sänger eine darstellerische Präzision heraus, die ich bejubeln würde, wenn sie denn in einem sinnvollen Konzept geschähe. Aber leider wird das Stück verfehlt - auch im Spiegelbühnenbild, dem jegliche Theatersinnlichkeit abgeht und in dem sich trotz choreografischer Einfälle letztlich nur Rampenoper abspielt.

Schlimmer noch wird die Handlung zusätzlich durch Umstellungen von Arien und Szenen verunklart, hat kein Dramaturg bei den Rezitativen mutig gekürzt, so dass im Zusammenspiel mit dem Hammerklavier und der Musik aus dem Orchestergraben Längen entstehen, die den Abend nicht kurzweiliger machen. Generalmusikdirektor Marcus Bosch nimmt zwar manche Passagen angemessen rasch, aber zu oft entsteht der Eindruck, er wolle die Noten der Wiener Fassung nicht dirigieren, sondern buchstabieren.

Die Ehre des Staatstheaters retten die sängerisch überzeugenden Solisten. Da fast alle Partien alternierend besetzt sind, seien aus der Premierenbesetzung zwei hervorgehoben, die auch in den weiteren Vorstellungen zu erleben sind: Hrachuhí Bassénz als Donna Elvira und Opernstudiomitglied Christiane Marie Riedl als Zerlina. Und damit um Himmels willen die Männer nicht außen vor bleiben, empfehle ich Tilman Lichdis herrlich normalen Don Ottavio und Sébastien Parottes schrecklich miesen und fiesen Leporello.

Termine und Karten
Weitere Vorstellungen am 3., 12. 16. und 24. Februar sowie am 5., 7. und 22. März. Karten-Telefon 0180-5231699