Sentas Ende in einem Meer von Sprudelwasser
Autor: Monika Beer
Nürnberg, Sonntag, 03. Februar 2013
In der Nürnberger "Holländer"-Inszenierung überzeugt einmal mehr die außergewöhnliche Sängerdarstellerin Ekaterina Godovanets.
Wenn heutzutage ein Kritiker die Wiederaufnahme einer Inszenierung besucht, deren Premiere sieben Jahre zurückliegt, muss schon etwas Besonderes dran sein. Bei der Produktion des Nürnberger Opernhauses war das für mich schon deshalb der Fall, weil erstmals Ekaterina Godovanets die Senta in Richard Wagners "Fliegendem Holländer" singen sollte - eine Sängerin, deren Debüt als "Troubadour"-Leonore zu Beginn der Spielzeit mich schon zu seltenen Superlativen verführt hatte. Und Wagner-Jahr ist sowieso.
Um es vorwegzunehmen: Auch diesmal hat die in Moskau ausgebildete Sopranistin meine Erwartungen erfüllt. Sowohl musikalisch wie szenisch. Ihre Stimme hat einen warmen, eher dunklen Kern und erreicht scheinbar mühelos und je nach Anforderung, innig lyrische und zerbrechlich zarte oder expressiv auflodernde leuchtende Höhepunkte. Man braucht nur die Grundlagen der Gesangskunst, wie sie Franziska Martienßen-Lohmann in ihrem Standardwerk "Der wissende Sänger" beschrieben hat, einmal auf sie anzuwenden, als da sind:
Legato und Linie als Herz des Singens
Souveräne Atem- und Körperbeherrschung; Sauberkeit der Intonation und Sicherheit des Einsatzes; Klarheit und Ausgeglichenheit der Vokale und ihres Ansatzes; ausgeglichenes Timbre in allen Lagen; Schallkraft, Tragfähigkeit und Resonanz; Beherrschung aller Stärkegrade; Ruhe des schwebenden Klanges; Natürlichkeit der Artikulation und Plastik der Aussprache; Tempogriff, Akzentfähigkeit, rhythmische Federung; Legato und Linie - das Herz des Singens.
Ekaterina Godovanets erfüllt diese zehn Gebote des guten Gesangs in ungewöhnlich hohem Maße. Und sie ist darüber hinaus eine Sängerdarstellerin, die sich mit einer dramatisch wahrhaftigen Körperlichkeit ins Geschehen wirft, die unmittelbar wirkt. Ihre Präsenz wird gerade in dieser eher abstrahierenden Inszenierung spürbar: Wenn diese groß gewachsene Frau auf der Bühne ist, zieht sie das Publikum selbst dann in ihren Bann, wenn sie stumm und bewegungslos dasteht.
Stupende Wortverständlichkeit
Der kanadische Bassist Randall Jacobsh als Holländer kann dieser Senta zwar darstellerisch nicht das Wasser reichen, ist aber sängerisch fast auf Augenhöhe. Die Partie liegt ihm besser als der Don Giovanni, mit dem er gerade erst in Nürnberg Premiere feierte: Er singt den verfluchten Seebären mit der nötigen Stimmgewalt und schmerzlicher Melancholie - und mit einer stupenden Wortverständlichkeit, von der sich sein deutscher Kollege Guido Jentjens als sehr nasaler Daland ruhig ein paar Scheiben abschneiden könnte.
Letzterer ist übrigens der einzige Solist, der schon bei der Premiere der Inszenierung von Helen Malkowsky am 3. Dezember 2005 dabei war. Es spricht für die Repertoirepflege am Staatstheater Nürnberg, dass das nicht weiter ins Auge fällt. Auch David Yim als Erik, Leila Pfister als Mary, Martin Nyvalls Steuermann und die prächtigen Chöre unter Tarmo Vaask stehen keineswegs um Regielöcher herum, sondern tun überzeugend das, was zu tun ist, selbst wenn das ambitionierte Konzept nicht jedem Zuschauer auf Anhieb einleuchtet.
Museums- statt Meereslandschaft
Der "Holländer" spielt hier zunächst in einem imaginären Theaterraum (Bühne: Harald Thor, Kostüme: Tanja Hofmann) in dem sechs Personen gewissermaßen ihre Identität suchen, geht dann fast nahtlos über in ein Kunstmuseum mit dem Bildnis eines ansehnlichen Seemanns und Seestücken von Malern wie William Turner und Mark Rothko, das schließlich zu einer räumlichen Installation wird, die sich selber de- und rekonstruiert.
Klingt kompliziert, ist es zuweilen auch. Aber immerhin wird klar, warum diese seltsame Liebesgeschichte zwischen Senta und dem Holländer nicht gut gehen kann: Nur mit Projektionen und Wunschbildern, und nichts anderes sind Sentas Obsession und das Erlösungsverlangen des Verfluchten, kann keine Beziehung entstehen. Da kämpfen zwei selbsterklärte Märtyrer für und gegen sich. Am Ende zieht Senta die Konsequenz - ein starkes Bild, mit dem nur in Sprudelflaschen allgegenwärtigen Meereswasser.
Ouvertüre und das Finale des 3. Aufzugs werden in der pausenlosen Aufführung in der Urfassung von 1843 gespielt. Generalmusikdirektor Marcus Bosch setzt auf ein angerautes Kolorit, auf zügige Tempi und erreicht mit der Staatsphilharmonie Nürnberg, den Solisten und Chören trotz all der Gewitter und Stürme eine Klangbalance, bei der die Gesangsstimmen nur ganz selten Gefahr laufen unterzugehen. Da möchte man glatt achtungsvoll und einem schmissigen Hussahe die Seemannsmütze ziehen.
Link zum Staatstheater Nürnberg