Die Ukraine-Doppelstrategie des Kanzlers
Autor: Michael Fischer, dpa
, Freitag, 01. März 2024
Mit seiner Taurus-Erklärung wollte Kanzler Scholz eine seit Monaten laufende Debatte abbinden. Das Gegenteil ist passiert. Jetzt gibt es auch Verärgerung bei den Verbündeten.
Es sollte eigentlich ein Befreiungsschlag werden in einer Debatte, in der Kanzler Olaf Scholz monatelang geschwiegen hatte. Nach seiner Taurus-Erklärung am Montag wissen zwar alle, warum er die Marschflugkörper nicht an die Ukraine liefern möchte. Die Debatte hat sich im Laufe der Woche aber eher verschärft als beruhigt. Seine Koalitionspartner zeigen nur wenig Verständnis für seine Argumente und drängeln weiter. Die Opposition wirft ihm vor, sich als «Friedenskanzler» profilieren zu wollen. Und jetzt sind auch noch die Bündnispartner verärgert.
Die Erklärung: Keine deutsche Kriegsbeteiligung
Der Kern der Kanzler-Erklärung zu Taurus ist eine rote Linie, die Scholz bereits unmittelbar nach der russischen Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren gezogen hat: Deutschland darf nicht in diesen Krieg hineingezogen werden. Mit den bisherigen Waffenlieferungen für den Abwehrkampf gegen Russland - Kampfpanzer, weitreichende Artillerie, Flugabwehrgeschütze - ist das aus seiner Sicht nicht der Fall. Wenn deutsche Waffen Ziele auf russischem Boden treffen können, ist die rote Linie für ihn allerdings überschritten. Der Taurus kann 500 Kilometer entfernte Ziele mit höchster Präzision treffen und damit von der Ukraine aus selbst den Kreml in Moskau.
Deswegen will Scholz die Zielsteuerung nicht den ukrainischen Soldaten überlassen, was nach entsprechender Ausbildung in Deutschland möglich wäre. Deutsche Soldaten will Scholz aber auch nicht dafür einsetzen - weder in Deutschland, noch in der Ukraine. Denn das wäre aus seiner Sicht ein Kriegseinsatz. «Ich werde keine Entscheidung unterstützen, bei der es darauf hinausläuft, dass deutsche Soldaten irgendwie in einem militärischen Einsatz im Zusammenhang mit dem furchtbaren Krieg Russlands gegen die Ukraine verwickelt werden», stellte Scholz am Freitag nochmal klar.
Doppelstrategie von Anfang an
Einen Kurswechsel bedeutet die Erklärung des Kanzlers aber nicht. Von Anfang der russischen Invasion an hat er einerseits auf eine entschlossene Unterstützung der Ukraine mit Waffen gesetzt, anderseits aber auch die Grenzen aufgezeigt. Deutschland hat der Ukraine inzwischen Rüstungsgütern im Wert von 28 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt oder fest zugesagt und ist damit der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine. Zuletzt war Scholz vor allem dadurch aufgefallen, dass er die Verbündeten - allen voran die wirtschaftsstarken Partner wie Frankreich, Italien und Spanien - zu mehr Engagement drängte.
Jetzt drückt er allerdings an einer nicht ganz unwichtigen Stelle auf die Bremse. Anders als vor einem Jahr bei den Leopard-Kampfpanzern entscheidet er sich nicht nach langem Zögern für eine Lieferung, sondern bleibt seinem Nein.
Verärgerte Briten: «Schlag ins Gesicht der Verbündeten»
Bei den Bündnispartnern sorgt nicht nur das für Irritationen, sondern auch eine Aussage, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wird. «Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden», sagte der Kanzler. Was er genau damit meint, ließ er offen. Der Satz wird aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen.