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Opernhappening mit Meyerbeers "Hugenotten"


Autor: Monika Beer

Nürnberg, Montag, 16. Juni 2014

Das Staatstheater Nürnberg ehrt den vor 150 Jahren in Paris gestorbenen, aus Berlin stammenden Komponisten Giacomo Meyerbeer mit einer Neuinszenierung seiner selten aufgeführten "Hugenotten". Die Sänger brillieren, die Regie verzettelt sich leider zu sehr.
Die lebenden historischen Bilder im Atelier des Grafen von Nevers (Martin Berner, Mitte) verselbständigen sich mit jedem Akt der fünfaktigen "Hugenotten"-Oper mehr. Foto: Jutta Missbach


Schinken: Das klang einen Hauch respektlos, als der Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier am Sonntag im BR-Live-Interview vor der Premiere mit diesem Wort das Werk charakterisierte, das er mit dem Regisseur Tobias Kratzer, dem Dirigenten Guido Johannes Rumstadt sowie einer vielköpfigen Solisten-, Choristen- und Statistenschar auf die Bühne des Nürnberger Opernhauses gestemmt hat. Irgendwie hatte er Recht. Giacomo Meyerbeers "Hugenotten" sind ein großer französischer Opernhappen.

Um nicht zu sagen ein fünfaktiges Opernhappening.

Denn das, was die Besucher der Uraufführungsproduktion anno 1836 an der Pariser Oper erhitzte, war ja nicht nur das Sujet, das die Liebesgeschichte zwischen dem evangelischen Raoul und der katholischen Valentine in der blutigen Bartholomäusnacht enden lässt. Sondern die konkrete musiktheatralische Umsetzung der historischen und kontrastreichen Tableaus mit herausragenden Sängern, deren Möglichkeiten der Komponist voll auszureizen wusste.

Koloraturen, Triller und Glissandi
Hier kann auch das Staatstheater punkten. Denn es bietet Solisten auf, die die enormen Anforderungen nicht nur bewältigen, sondern über sich hinauswachsen. Leah Gordon als Marguerite von Valois glänzt mit Koloraturen, Trillern, Glissandi und einer ironisierenden Darstellung der Königin, die stilikonenhaft wie Cathérine Deneuve selbst dann eine gute Figur macht, wenn das leibhaftige Pferd unter ihr eher schwer ist.

Judita Nagyová ist ein sängerdarstellerisch erstklassiger und quicklebendiger Page Urbain, Hrachuhí Bassénz als Valentine erinnert an Isabelle Adjani in Patrice Chéreaus Bartholomäusnacht-Verfimung und findet berauschend zarte Belcanto-Töne. Gasttenor Uwe Stickert als Raoul überzeugt stimmlich noch mehr als mit seinem spektakulären Arnold im Nürnberger "Guillaume Tell" im März 2012, denn selbst die extrem hohen Töne klangen bei der Premiere stets ersungen und nicht erkämpft.

Luther-Choral und Rollkoffer
Der stimmmächtige Randall Jacobsh als Raouls Diener Marcel weiß sich immer wieder ins rechte Licht zu setzen. Das ist durchaus im Sinne des Komponisten, der ihm häufig den Luther-Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" mit auf den Weg gibt, selbst wenn er ihn mit den heutzutage scheint's unvermeidlichen Rollkoffern antreten muss. Apropos: Der Versuch des Regieteams, die Handlung, die im August 1572 in der Touraine, bei und in Paris spielt, in das Einheitsbühnenbild eines Malerateliers des späten 20. Jahrhunderts zu versetzen, geht trotz einfallsreicher und unterhaltsamer Details und wirkungsvoller Massenszenen nicht auf.

Was zum einen damit zu tun hat, dass das Atelierbild mit Ofenrohr durch eine andere Oper längst zum ungenießbaren Schinken geworden ist. Zum anderen verstärkt das hier vorgeführte Spiel mit den Zeitebenen, selbst wenn Martin Berner als malender Graf von Nevers und die Choristen sich an diversen lebenden Bildern quasi aufarbeiten, die Distanz zum Zuschauer und verhindert das Mitfühlen mit all diesen Individuen, die vom Rad der Geschichte überrollt werden. Anders gesagt: Regisseur Tobias Kratzer hat zu viel um die Ecke gedacht!

Eine Rarität auf heutigen Opernbühnen
Trotzdem dürfen die Nürnberger "Hugenotten" als Ereignis gelten. Schon deshalb, weil die Werke des aus Berlin stammenden und vor 150 Jahren in Paris gestorbenen jüdischen Komponisten Giacomo Meyerbeer an deutschen Bühnen schon lange eine Rarität sind und es für jeden Opernfreund nützlich ist, anhand einer Aufführung zu erfahren, dass und in welchem Maße Meyerbeer andere Komponisten beflügelt hat - auch und gerade Richard Wagner, der in seinen Pariser Jahren Meyerbeer dankbar sein musste, ihn später aber in unerträglichem Maße verunglimpfte.

Ohne die das Premierenfieber noch steigernde Live-Übertragung im Rundfunk dürfte es Dirigent Guido Johannes Rumstadt besser gelingen, die farben- und kontrastreichen, rhythmisch zuweilen vertrackten Klänge aus dem Orchestergraben (Staatsphilharmonie Nürnberg und Gunther Hillienhoff an der Viola d'amore) mit den von Tarmo Vaask einstudierten Chören in Übereinstimmung zu bringen. Die französischsprachige Aufführung dauert mit zwei Pausen drei Stunden und 40 Minuten, obwohl sie um eine Stunde gekürzt wurde. Grand opéra eben!

Termine und Karten
Weitere Vorstellungen am 10., 15., 17., 22. und 26. Juni sowie am 2., 14. und 20. Juli (mit einer Meyerbeer-Podiumsdiskussion am Vormittag). Karten-Hotline unter Telefon 0180-5231600.