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Occupy: Warum der Aufruhr gescheitert ist


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Mittwoch, 31. Oktober 2012

In der Bamberger Buchhandlung Collibri diskutierte der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar über sein Buch "Aufruhr der Ausgebildeten". Es ging über Ursachen, Aufstieg und Niedergang der Occupy-Bewegung.
Occupy-Demonstranten in der New Yorker Wall Street im Herbst 2011.   Foto: dpa


Wie schnell publizistische Schnellschüsse verpuffen können, zeigt Wolfgang Kraushaars

Buch "Der Aufruhr der Ausgebildeten. Vom Arabischen Frühling zur Occupy-Bewegung". Der Politikwissenschaftler forscht an Jan Philipp Reemtsmas Hamburger Institut für Sozialforschung vornehmlich über Protestbewegungen in der BRD und DDR, über die Geschichte der Neuen Linken, über Totalitarismus.

Die Occupy-Bewegung passte daher genau in sein wissenschaftliches Raster. Allein: Nach dem furiosen Auftakt in Herbst und Winter 2011 ist sie nur noch "ein Schatten ihrer selbst", diagnostizierte der 64-jährige Wissenschaftler am Dienstagabend in der Buchhandlung Collibri (Mitveranstalter war die Fachstelle Sozialkunde der Bamberger Uni), wo er aus seinem Buch las und dessen Kernthesen diskutierte. Des Defätismus wollte er sich von einigen murrenden Zuhörern jedoch nicht zeihen lassen, analysierte stattdessen Entstehungsbedingungen und Grenzen dieses rasch aufgeflammten und ebenso rasch wieder verschwundenen multinationalen Phänomens.

Dessen Chronologie skizzierte Kraushaar, der den weitaus größeren Teil der Veranstaltung mit Antworten auf Publikumsfragen bestritt und weniger vorlas, genau. Ausgehend vom Arabischen Frühling wollten Aktivisten in Vancouver, interessanterweise ehemalige Vietnamkriegsgegner, eine "Brücke von Kairo nach Manhattan" schlagen, weil sie diagnostiziert hatten, dass "wir in Amerika auch unter einer Art Regime" leben - dem von Banken, Finanzkapital, Politik unter dem Primat neoliberaler Ideologie. Die Bewegung mit Camps vor Banken und auf öffentlichen Plätzen breitete sich von den USA aus wie ein Lauffeuer: Spanien, Portugal und auch eher bescheiden Deutschland folgten. Direkte staatliche Repression wie in den USA und Spanien und interne Spannungen wie in Deutschland ließen die Occupy-Bewegung rasch versanden.

Der Politikwissenschaftler analysierte Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Protagonisten je nach Land. Es handelt(e) sich um junge Erwachsene, gut ausgebildet, ohne berufliche Perspektive. Die mitnichten antikapitalistisch gestimmt waren, sondern auf der Suche nach "Teilhabe an der Normalität". Ihr Scheitern - außer im Sonderfall Ägypten - führte Kraushaar darauf zurück, dass sie Leitfiguren verhindert und keine Forderungen formuliert hätten: "Der Ansatz war richtig, die Umsetzung fehlerhaft", fasste der Protest-Forscher zusammen. Zwiespältig war seine Einschätzung einer oft kolportierten "Facebook-Revolution". Soziale Medien hätten die Mobilisierung befeuert, den weiteren Verlauf aber wenig beeinflusst.

Entstanden seien die Krisenprozesse durch die neoliberale Politik seit den 80er Jahren in den Ländern der EU und der USA. Das "tendenzielle Versagen der politischen Instrumente gegenüber dem Marktgeschehen" sei in der Finanzkrise seit 2008 kulminiert. Kraushaar warnte jedoch vor einem altlinken Mythos: "Materielle Depravierung muss nicht zu politischer Mobilisierung führen."