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Nürnberger Theater: Finanzkrise als Thema


Autor: Rudolf Görtler

Nürnberg, Sonntag, 27. Oktober 2013

Mit Andreas Veiels "Das Himbeerreich" wird am Nürnberger Staatstheater die Finanzkrise aufgearbeitet. Der Regisseurin und einem überragenden Ensemble gelingt es, den trockenen Stoff mit Saft und Kraft auf die Bühne zu bringen.
Bertram Ansberger (Pius Maria Cüppers, li.) und Hans Helmut Hinz (Frank Damerius) alle Fotos: Marion Bührle


Dass es in den Vorstandsetagen der Banken nicht zugeht wie beim Evangelischen Kirchentag, ist keine große Überraschung. Dass "unser" Wirtschaftssystem seine hässlichen Seiten nicht der "Gier" seiner Akteure verdankt, sollte Gemeinplatz sein - ansonsten ist man sehr schnell beim Pöbel-Antikapitalismus samt "jüdischem Finanzkapital" angelangt. Wie also die Finanzkrise 2008 ff. an den Top Dogs festmachen und trotzdem nicht in Klischees regredieren?

Petra Luisa Meyer hat das in einer tollen Inszenierung von Andreas Veiels "Himbeerreich" am Nürnberger Staatstheater geschafft. Der Dokumentarfilmer hatte 25 Spitzenleute der Finanzbranche interviewt und daraus 40 Seiten Text destilliert. Sechs Figuren stehen dann auf der Bühne, fünf Männer - als proletarisches Gegengewicht ein Chauffeur darunter - und, als allerhärteste, eine Frau.

Klugerweise hat die Regisseurin die oft schwer zu fassende Fachsprache der Banker konterkariert mit einer "Das Geld" benamsten jungen Frau, die Erkenntnisse aus John Lanchesters "Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt", einer Geschichte der Finanzkrise, mit Verve teils gesungen vorträgt.

Ihr Bausparer habt keine Ahnung!

Wir lernen unsere Top Dogs während einer Bonusparty kennen, die gleichzeitig Weihnachtsfeier ist. Mählich schälen sich Charaktere heraus: der junge, auch sexuell Aggressive, der Bedächtige, der Beschränkte, der gottgleiche Senior, die einzige Frau, die doppelt so hart wie die Männer und trotzdem "fuckable" sein muss. Stefan Brandtmayr hat ein Doppel-Szenario auf die Drehbühne gestellt, einmal das Luxus-Domizil einer Bankiers-Wohnung, dann die kahle Vorstandsetage.

Naturgemäß ist es zumal im ersten Teil anstrengend, dem Sermon der Figuren zu folgen. Allzuoft stehen sie frontal zum Publikum und monologisieren über das "Glaubenssystem" des modernen unregulierten Finanzsystems, dessen Genese uns die Allegorie "Das Geld" mit Dollar- und Eurozeichen auf der Haut im Lauf des Stücks noch plausibel auseinandersetzt. "Ihr Bausparer!", schnaubt sie einmal verächtlich heraus. "Gier kann sinnstiftend sein" - solche Amoral der Wallstreet-Philosophie traut man den Charaktermasken des Systems auch in der Realität zu.

Im zweiten Teil wird anhand des Kaufs einer Bank "Paula" die Finanzkrise durchexerziert inklusive der erbärmlichen Rolle des Staats: "Da sind Dinge gelaufen, die kann man eigentlich niemandem erklären." Wunderbare Sätze fallen wie der über die "Lakaien in der Wirtschaftspresse" oder die Zombie-Banken, die der Laie schlicht nicht erkennt. Der Laie, dessen Altersversorgung schließlich auch von diesem maroden System abhängt.

Bankiers in der Sterbekammer

Die schönsten Momente dieser Inszenierung gelingen Regisseurin und Ensemble, wenn die schließlich entmachteten Spitzenleute in der "Sterbekammer" darüber lamentieren, dass ihr Bürostuhl jetzt nur noch dreifach verstellbar ist und der Chauffeur sie auf den Mitarbeiterparkplatz fährt - ein Wort wie gespuckt. Sie hängen wie Gefangene auf halber Höhe in Gittern und Höhlen des Bühnenbilds oder verkleiden sich, um dem kommenden Aufstand zu entgehen, wenn sie nicht gleich als Heino oder Rex Gildo Alternativbeschäftigungen suchen.

Das artet niemals in Agitprop aus, vor allem weil das an sich hervorragende Nürnberger Ensemble sich noch einmal selbst übertroffen hat. Zumal Nicola Lembachs Dr. Brigitte Manzinger wird zur geifernden Furie - und schafft es auf einen Vorstandsposten, bei dreifacher Bezahlung. Man verzeiht auch die durchgängige elektronische Übertragung, vielleicht nötig zur Abgleichung mit Bettina Ostermeiers klug ausgesuchter Musik - sie mischt als Pianistin selber mit. Ein Satz fällt zum Ende hin, der, horribile dictu, von Gudrun Ensslin stammt: "Wer Himbeerreiche anzündet, darf nicht erwarten, die Früchte zu ernten." Starker Applaus belohnte eine starke Inszenierung mit überragenden Schauspielern. Bleibt die auch im Stück gestellte Frage: "Warum wird da niemand wütend?" Ja, warum.

Weitere Vorstellungen bis Juli 2014 (!). Spielplan unter www.staatstheater-nuernberg.de Karten unter info@staatstheater.nuernberg.de, Tel. 0180/5231600 Dauer etwa zwei Stunden ohne Pause