«Der Kernauftrag ist die Koordination der Ukraine-Unterstützung. Wir wären aber bescheuert, wenn wir die ganzen Informationen nicht für unsere Weiterentwicklung nutzen würden», sagt Keller. «Wenn wir nicht in der Lage sind, unseren Soldatinnen und Soldaten bestimmte Erfahrungen zu ersparen, die die Ukrainer gemacht haben, haben wir als militärische Führer unseren Auftrag nicht erfüllt.»
Die Bundeswehr selbst beschafft sich gerade Kamikazedrohnen – sogenannte Loitering Munition – für den Angriff und will auch möglichst schnell neue Waffensysteme zur Abwehr von Drohnen einführen.
Ukrainischer Drohnen-Befehlshaber verdeutlicht Warnungen
«Was militärisch Sinn macht, ist, für den Kampf, auf der jeweiligen militärischen Ebene, eine Drohnenfähigkeit zu etablieren, die diesen Kampf reflektiert», sagt Keller. «Zug, Kompanie, Bataillon, Brigade und oberhalb haben unterschiedliche Reichweiten in der Tiefe und für diese Reichweite muss es auch eine Fähigkeit mit Drohnen geben.»
Im Juli hatte die Nato Robert «Magyar» Brovdi zu Gast bei einer Konferenz. Der frühere Geschäftsmann ist Chef der Drohnenkräfte und kann als Vater des Drohnenkrieges in der Ukraine gelten.
«Ohne auch nur bis auf zehn Kilometer hier ranzukommen, können vier Teams ukrainischer Drohnenpiloten diese Liegenschaft in 15 Minuten zu einem weiteren Pearl Harbor machen», warnte er. «Ich will niemanden Angst machen. Aber diese Technologien sind nun leicht zugänglich und billig.» Gemeinsame Anstrengungen seien jedenfalls im gegenseitigen Interesse.
Es kommt auf Menge und Durchhaltevermögen an
Die Wirkung der Militärhilfe für die Ukraine komme durch die Summe der Unterstützung und das konsequente Weiterführen, sagt Keller. Die Erwartung: «Dann kann man die Russen in eine Position drängen, irgendwann mal zu überlegen: Okay, das hier führt zu nichts. Wir müssen verhandeln.»
Dagegen sieht Keller Eigenarten der Debatte in Deutschland skeptisch. «Wir hatten in Deutschland die Diskussion, dass Kampfpanzer Leopard geliefert werden müssen. Dann hatten wir die Taurus-Diskussion. Man glaubt, dass die Waffe, die gerade diskutiert wird, der Gamechanger ist. Das ist aus militärischer Sicht Quatsch», sagt er.
Es gebe nicht das eine System, das den Verlauf signifikant verändern könne. Immer sei es die Summe der unterschiedlichen Dinge. «Und weitreichendes Feuer ist ein Aspekt, der den Russen – auf Deutsch gesagt – das Leben schwerer machen kann. Denn man kann entweder den Pfeil abschießen – mit Patriot und Iris-T – oder man kann den Bogenschützen ausschalten.»
Keine Anzeichen für ein Zusammenbrechen der Front
Seit mehr als drei Jahren hält die Ukraine mit westlicher Unterstützung dagegen. Die Russen versuchen mit großen Verlusten sich vorwärtszukämpfen, was aber nur langsam und teilweise gar nicht gelingt.
«Wir haben dort jetzt einen statischen Verlauf. Die 20 Kilometer vor und hinter der Front werden im Prinzip durch die Drohnen beherrscht. Das hat dazu geführt, dass der Kampfpanzer in dieser aktuellen Gefechtsphase nicht mehr die Bedeutung hat, die er vorher hatte», sagte Keller. Beide Seiten gehen demnach hin zu kleineren Gefechtsformationen – auf Motorrädern und Quads – und versuchen so durchzusickern. Das Bild kann sich aber auch wieder ändern.
Alles, was der Ukraine zur Unterstützung geben werde, helfe der Nato letztlich auch selbst. Keller sagt: «Es kann aber nicht alles nach vorne gehen, da wir leider auch damit rechnen müssen, dass Russland uns austesten wird. Das sieht man ja aktuell bereits in Polen und Estland. Da gilt es, abschreckungsfähig zu sein und das gelingt nur über eigene zusätzliche Fähigkeiten. Wir haben über die Jahre gesehen: Wenn es zum Schwur kommt, versteht Putin nur Stärke.»