Nationaltheater München: Jubel zum Jubliäum
Autor: Monika Beer
München, Freitag, 22. November 2013
Mit der ungekürzten dreiaktigen Oper "Die Frau ohne Schatten" von Richard Strauss feiert die Bayerische Staatsoper die Wiedereröffnung des Nationaltheaters vor fünfzig Jahren - und ein bisschen auch sich selbst.
Wenn ein Werk nicht nur in Fachkreisen zur "Gynäkologenoper" verkleinert wird, unter Musikern "Frosch" heißt und vom Komponisten selbst als Schmerzenskind bezeichnet wurde, hat es eigentlich keine guten Karten. "Die Frau ohne Schatten" von Richard Strauss ist in jeder Hinsicht schwierig und anspruchsvoll. Dass sie uns auch fast hundert Jahre nach ihrer Uraufführung etwas zu sagen hat, ist ab sofort im Münchner Nationaltheater zu erleben.
Die Neuinszenierung von Krzysztof Warlikowski unter der musikalischen Leitung des neuen Generalmusikdirektors Kirill Petrenko hatte am Donnerstag die umjubelte Premiere - auf den Tag genau fünfzig Jahre, nachdem das 1943 zerbombte Opernhaus am 21. November 1963 mit eben diesem im Ersten Weltkrieg komponierten Stück unter Dirigent Joseph Keilberth wiedereröffnet wurde. Die Bayerische Staatsoper feiert mit der rundherum gelungenen Produktion nicht nur dieses Jubiläum, sondern auch sich selbst und die eigene Weltgeltung.
Märchenhaftes und Mystisches
Der Stoff, den Librettist Hugo von Hofmannsthal in Worte fasste, fußt in diversen Märchen, greift unter anderem Elemente von Mozarts "Zauberflöte", Goethes "Faust" und Wagners "Feen" auf, ist aber symbolistisch überfrachtet. Es geht letztlich um zwei Paare aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die aus unterschiedlichen Gründen kinderlos sind. Nach vielen Verwicklungen und von Naturgewalten begleiteten Prüfungen gibt es ein von den Stimmen der Ungeborenen bejubeltes Happyend.
Ein selbstsüchtiger Mann, der zu versteinern droht, eine aus dem Geisterreich stammende Frau, die einer normalen Frau deren Schatten und damit die Fähigkeit zur Mutterschaft abkaufen will, dazu eine zauberstark-dämonische Amme, ein scheinbar gehörnter Mann und ein im Hintergrund bedrohlich wirkender Vater: Man versteht sehr schnell, dass diese Figuren allesamt auf Sigmund Freuds Sofa gehören.
Ein surreales Seelenlabyrinth
Der polnische Regisseur und sein kongeniales Team (Bühne und Kostüme: Malgorzata Szczesniak, Licht: Felice Ross, Choreographie: Claude Bardouil, Video: Denis Guéguin, Videoanimation: Kamil Polak) haben genau das getan, ohne deshalb ins nur Belehrende abzugleiten. Sie belassen der Handlung so manches Geheimnis, geben den mystischen Tierfiguren gewissermaßen ein menschliches Antlitz (und umgekehrt) und dank großartiger Projektionen der Natur viel Raum, obwohl das wandelbare Einheitsbühnenbild nichts anderes ist als eine Mischung aus Hotel und Sanatorium.
Ein filmischer Prolog mit Ausschnitten aus "Letztes Jahr in Marienbad" von Alain Resnais und Alain Robbe-Grillet stimmt das Publikum ein auf das, was auf der in karger Subtilität ausgestatteten, surreal und farbstark beleuchteten Bühne folgt: Mit Ausnahme des leider spielunfähigen, quasi schon vorab versteinerten Kaisers von Johan Botha agieren die zahlreichen Sängerdarsteller und Statisten unspektakulär-sparsam, aber intensiv aus sich heraus bei ihrem therapeutischen Erfahrungstrip.
Es ist, wie es im Programmheft steht, ein vielsagendes und anspielungsreiches, poetisch-surreales Labyrinth aus Träumen und Erinnerungen, in dem sich die Figuren bewegen - zusammen mit einer Vielzahl von Kindern, teils mit überzeugenden Falkenköpfen bestückt, teils als kindliche Spiegelbilder der Hauptpersonen, für die in diesen Gedankenräumen Inneres und Äußeres, Zeiten und Orte ineinander- und auseinanderfallen.
Ungekürzt und extrem besetzungsaufwändig
Die Besetzungsliste zählt zwölf Hauptsolisten, darüber hinaus sechs Stimmen der Ungeborenen und die Stimmen der Wächter, kaiserliche Diener, fremde Kinder, dienende Geister und Geisterstimmen. Was die Bayerische Staatsoper dafür aufbietet, kann sich sehen und hören lassen: Großer Jubel vor allem für die zwei extrem geforderten Paare mit Adrianne Pieczonka (Kaiserin) und Johan Botha (Kaiser), Wolfgang Koch (Barak) und Elena Pankratova (Färberin) sowie Deborah Polaskis Amme und Sebastian Holocek als Geisterbote.
Dazu eine Musik, die süchtig machen kann - vor allem, wenn Kirill Petrenko dirigiert, der mit großer Detailgenauigkeit, Sensibilität und viel Sinn für die Struktur einerseits die Solisten auf Händen trägt und andererseits das Staatsorchester nicht nur in den überwältigenden Verwandlungsmusiken zu Höchstleistungen anspornt, wie man sie auch im Nationaltheater nicht an jedem Abend erlebt. Eine ungekürzte "Frau ohne Schatten", die trotz der reinen Spieldauer von dreieinhalb Stunden und manch schwer erträglicher Verstiegenheiten in Handlung und Text fasziniert.
Weitere Vorstellungen am 24. und 28. November, am 1., 4 und 7. Dezember sowie zu den Münchner Opernfestspielen 2014; Karten gibt es unter Telefon 089/21851920 sowie online auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper. Die Aufführung am 1. Dezember wird in voller Länge als Livestream in HD-Qualität übertragen: www.bayerische.staatsoper.de/tv