Der Festgenommene schweigt weiter zu den Vorwürfen. Der Mann habe sich seit seiner Festnahme am Hauptbahnhof in Münster am Freitag nicht geäußert, sagte Oberstaatsanwalt Dirk Ollech am Samstag. Ermittelt werde auch gegen einen unbekannten Begleiter des 20-Jährigen, der nach der Tat mit ihm geflohen sein soll und möglicherweise an den Beleidigungen beteiligt war. Hier gebe es bislang keine neuen Erkenntnisse, berichtete Ollech.
Sprüche und Ideologien führen zu "queerfeindlicher Gewalttat": Experte äußert heftige Kritik an sozialen Medien
Eine CSD-Veranstaltung am Samstag (3. September 2022) in Dortmund mit rund 3000 angemeldeten Teilnehmern blieb ungestört. Der dortige Verein Slado hatte zu der Demo für Vielfalt und mehr Toleranz gegenüber jeglicher sexueller Orientierung aufgerufen. Zu dem Umzug in Hauptbahnhofnähe und einer Kundgebung kamen laut Polizei-Schätzung etwas mehr Personen als angemeldet. Es laufe "ruhig und problemlos", sagte ein Polizeisprecher.
Queerfeindliche Einstellungen werden nach Einschätzung des Lesben- und Schwulenverbands durch soziale Medien verstärkt. Schon seit vielen Jahren gebe es in der Gesellschaft solche menschenfeindlichen Einstellungen, die durch die "Echokammern" im Internet noch angeheizt würden, kritisierte René Mertens vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) am Samstag auf WDR 5 im "Morgenecho". Soziale Medien tragen dazu bei, dass "homophobe Sprüche und queerfeindliche Ideologien" in Hass und Gewalt umschlagen, sagte Mertens.
Zum Fall Münster betonte der LSVD-Referent: "Das war wirklich eine queerfeindliche Gewalttat." Auch bei CSD-Veranstaltungen in Berlin, Jena oder Bielefeld sei es zu Anfeindungen gekommen - Menschen seien attackiert, Regenbogenfahnen zerrissen worden. Der Verein Trans*Inter*-Münster hatte ebenfalls betont, es handele sich um einen queerfeindlichen Angriff, beim Getöteten um einen Transmann.
Claudia Roth, NRW-Linke und Münsteraner Polizeipräsidentin äußern sich
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) schrieb auf Instagram: "Der Täter dieses grausamen Hassverbrechens muss zügig zur Verantwortung gezogen werden." Es handele sich nicht um einen Einzelfall. "Das ist die traurige Folge von zunehmender Queerfeindlichkeit in unserer Gesellschaft, die viel zu oft tödlich endet."
LSVD-Referent Mertens appellierte: "Wir brauchen die Solidarität der gesamten Gesellschaft." Im rechtlichen und politischen Bereich habe es in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gegeben. Aber bei den gesellschaftlichen Einstellungen und im Bildungsbereich sei noch viel zu tun. Dem WDR5-Bericht zufolge werden den Behörden in Durchschnitt täglich bundesweit etwa drei queerfeindliche Gewalttaten bekannt. Eine hohe Dunkelziffer komme hinzu - vieles werde nicht angezeigt.
Den Nährboden für die Tat biete eine in den vergangenen Monaten stark angestiegene Feindlichkeit gegenüber Transpersonen, vor allem in den sozialen Medien, warnte die Linke in NRW. Plattformen sozialer Medien sollten in die Pflicht genommen werden, konsequent gegen Hass im Netz vorzugehen. Und: "Justiz und Behörden müssen diese endlich konsequent verfolgen." Die Polizeipräsidentin von Münster, Alexandra Dorndorf, sagte: "Ich bin froh, dass die Festnahme des Tatverdächtigen nach dem brutalen Angriff am Rande des CSD noch am Freitag gelungen ist." Münster stehe für Weltoffenheit, Vielfalt und Zivilcourage, heißt es in der Mitteilung der Polizei, die auch auf Facebook veröffentlicht wurde. "Der schreckliche Vorfall zeigt, wie wichtig es ist, dass wir diese Werte schützen und als Gesellschaft zusammenstehen."
Update vom Freitag, 02.09.2022, 18.10 Uhr: Polizei meldet Festnahme nach tödlicher Attacke
Im Fall der tödlichen Attacke gegen einen 25-Jährigen am Rande einer CSD-Versammlung in Münster hat die Polizei einen Verdächtigen festgenommen. Es handele sich um einen 20 Jahre alten Mann, teilte die Polizei Münster am Freitag mit.
Video:
Tagelang wertete eine Mordkommission Zeugenhinweise sowie Bild- und Videomaterial aus. Die Beamten fanden dabei Bilder vom mutmaßlichen Täter. Eine Ermittlerin der Mordkommission erkannte den Gesuchten schließlich am Freitagnachmittag am Hauptbahnhof und nahm ihn fest. Es handelt sich um einen 20-Jährigen.
Die Staatsanwaltschaft Münster will einen Haftbefehl wegen Körperverletzung mit Todesfolge beantragen. Der Verdächtige soll am Samstag vorgeführt werden.
Update vom Freitag, 02.09.2022, 12.15 Uhr: Nach Attacke am Rande des CSD in Münster - 25-Jähriger tot
Der 25 Jahre alte trans Mann, der am Rande einer CSD-Versammlung in Münster niedergeschlagen wurde, ist tot. Er erlag am frühen Freitagmorgen (2. September 2022) seinen Verletzungen, wie Polizei und Staatsanwaltschaft mitteilten. Er war dazwischengegangen, als ein noch unbekannter Mann Teilnehmer beleidigt hatte, und war von diesem zu Boden geschlagen worden.
Zeugen zufolge soll der Tatverdächtige am 27. August mehrere Frauen mit "Lesbische Hure" oder "Verpisst euch" beschimpft haben und drohend auf sie zugegangen sein. Der 25-Jährige bekam laut Polizei die Situation mit und bat den Störer, die Beleidigungen zu unterlassen. "Die Schlichtungsbemühungen des jungen Mannes sollen Auslöser für die Attacke gewesen sein", teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Freitag mit.
Früheren Angaben der Ermittler zufolge verlor der 25-Jährige das Gleichgewicht, bevor ihn ein weiterer Faustschlag im Gesicht traf. Dann habe der 25-Jährige das Bewusstsein verloren und sei mit dem Kopf auf den Asphalt aufgeschlagen. Nach dem Angriff kam er ins Krankenhaus, schließlich lag er im künstlichen Koma. Der als 18 bis 20 Jahre alter Mann beschriebene Tatverdächtige flüchtete demnach zu Fuß mit einem Begleiter. Laut Zeugen trug der schmächtige Mann eine Jeans mit Schlag, ein T-Shirt und einen Anglerhut. Die Polizei fahndet weiter nach ihm und sucht Zeugen.
Erstmeldung vom Dienstag, 30.08.2022, 12.14 Uhr: Zivilcourage in Münster endet mit lebensbedrohlichen Verletzungen
Nach einem brutalen Angriff auf einer Christopher-Street-Day-Versammlung in Münster am Samstagabend liegt ein 25-jähriger Mann weiter im künstlichen Koma. Das teilte der Verein Trans*Inter*-Münster, dem der Mann angehört, am Dienstag mit. "Sein Zustand ist weiter lebensbedrohlich", sagte Vereinsvorstand Felix Adrian Schäper. Laut Polizei gibt es zahlreiche Hinweise aus der Bevölkerung, aber noch keine konkrete Spur zu dem Tatverdächtigen.
Der junge Mann wurde Opfer eines brutalen Schlags ins Gesicht. Zuvor soll er mehreren Frauen zur Hilfe geeilt sein. Diese seien Zeugen zufolge vom späteren Angreifer mit den Worten "Lesbische Hure" und "Verpisst euch" beschimpft worden. Außerdem habe sich der unbekannte Täter drohend auf sie zu bewegt.
Laut Polizei hat der 25-Jährige diese Situation mitbekommen und den Störer gebeten, die Beleidigungen zu unterlassen. Unvermittelt habe der Unbekannte ihm daraufhin brutal ins Gesicht geschlagen. Der Helfer habe das Gleichgewicht verloren, bevor ihn ein weiterer Faustschlag im Gesicht traf.
Die Täterbeschreibung laut Zeugen
Dann habe der 25-Jährige das Bewusstsein verloren und sei mit dem Kopf auf den Asphalt aufgeschlagen.
Mit einem Begleiter sei der Tatverdächtige zu Fuß geflüchtet. Laut Zeugen soll er zwischen 1,70 bis 1,80 Meter groß, etwa 18 bis 20 Jahre alt und von schmächtiger Statur sein. Er trug eine Jeans mit Schlag, ein T-Shirt und einen Anglerhut. Eine Ermittlungskommission wurde eingerichtet. Die Polizei sucht weitere Zeugen.
Der Landesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) NRW sprach von einem brutalen Angriff und einer "transfeindlichen Gewalttat" gegen einen "jungen trans Mann". Dieser sei mit Hirnblutungen in die Uniklinik Münster eingeliefert worden. "Wir hoffen, dass er sich von dem brutalen Angriff wieder vollständig erholen kann. Die Polizei Münster und der polizeiliche Staatsschutz müssen diese transfeindliche Gewalttat schnell aufklären und als das einordnen, was sie ist: eine politisch motivierte Straftat", forderte LSVD-Vorstandsmitglied Arnulf Sensenbrenner.
Bestürzung in Münster
Der Münsteraner Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) verurteilte die Attacke. Der Angriff erschüttere ihn zutiefst, sagte er laut einer Mitteilung der Stadt. "Münster ist eine weltoffene, tolerante und bunte Stadt - meine besten Wünsche für den Betroffenen, seine Familie, Freunde und Freundinnen."
Auch die Münsteraner SPD zeigte sich betroffen. "Die Tat führt erneut vor Augen, dass der Kampf für die Rechte der LGBTIQ*-Community keineswegs ein ideologischer oder theoretischer ist, wie mitunter suggeriert wird, sondern dass es um den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit aller ihrer Mitglieder geht", teilten die Vorsitzenden Fabian Schulz und Lena-Rosa Beste mit.
mit dpa