Druckartikel: „‚Made in Germany‘ ist ramponiert“ - Telekom-Chef rechnet mit Deutschland ab

„‚Made in Germany‘ ist ramponiert“ - Telekom-Chef rechnet mit Deutschland ab


Autor: Svenja Hentschel

Deutschland, Freitag, 23. Sept. 2022

Wenn es um die Digitalisierung in Deutschland geht, verliert Timotheus Höttges, Chef der Deutschen Telekom AG, kein gutes Wort. Auf der Messe "Digital X" in Köln kritisierte er Deutschlands Stand in Sachen Digitalisierung scharf.
Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG, sprach auf der Bühne bei der Digitalkonferenz Digital X der Deutschen Telekom in Köln.


  • Digitalisierung in Deutschland - wie ist der Stand?
  • Kritik von Telekom-Chef
  • Digitalisierung in den deutschen Behörden wird bemängelt

Seit dem Jahr 2014 überwacht die Europäische Kommission die Fortschritte beim Stand der Digitalisierung in den EU-Mitgliedsstaaten und dokumentiert die Erkenntnisse in den jährlich veröffentlichten Berichten zum "Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft" (DESI). Dabei erreicht Deutschland im Jahr 2022 unter den 27 Mitgliedsstaaten gerade einmal den 13. Platz. Im Jahr zuvor stand Deutschland immerhin noch an 11. Stelle. 

"Wir fallen zurück" - Telekom-Chef warnt vor Verschlafen der Digitalisierung

Bei seiner Rede auf der Messe "Digital X" äußerte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, dass sich Deutschland zu lange auf seinem Wohlstand ausgeruht habe. Es sei kein "Führungsanspruch" mehr vorhanden. Zudem kritisiert er Deutschland als "zu selbstgefällig", wie der Focus berichtet. In Hinblick auf das verbesserungswürdige Ranking und die großen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft - Energiekrise, Fachkräftemangel und Inflation - sage Höttges: „Es muss wieder unser Anspruch werden, führend zu sein.“

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Weiter fordere der Telekom-Chef höhere Ausgaben im Bereich Digitalisierung, denn "Innovation ist der Wohlstand von morgen." Höttges habe deshalb eine klare Forderung: Idealerweise sollten jährlich sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Digitalisierung investiert werden. Im Jahr 2021 sei in Deutschland jedoch nur ein Prozent des BIP ausgegeben worden. "Wie soll ‚Made in Germany‘ überleben, wenn Deutschland nicht in Innovationen investiert?“

Höttges stellte außerdem einen bildhaften Vergleich auf: „Deutschland sitzt wie ein Frosch zufrieden in einem Topf, der immer heißer wird. Würde der Frosch direkt in heißes Wasser geworfen werden, würde er sofort rausspringen." So wie die Situation allerdings aktuell sei, bleibe der Frosch im Topf, "bis er verbrüht".

„Es ist ein Skandal, wie es um die Digitalisierung in deutschen Behörden steht“

Auch die Digitalisierung in den deutschen Behörden kritisiert der Manager. Die derzeitige Lage sei "ein Skandal".  Deutschland würde es in diesem Jahr wahrscheinlich nicht einmal schaffen, 35 Behörden auf den aktuellen digitalen Standard zu bringen. Daher brauche es "ein Jahrzehnt der Kraftanstrengung", um "Made in Germany" wieder zu neuer Blüte zu bringen. Dabei sieht er auch sein eigenes Unternehmen in der Verantwortung. Telekom wolle jedes Jahr sechs Milliarden Euro in die Digitalisierung stecken. Den Glasfaser- und 5G-Ausbau wolle man vorantreiben, versichert Höttges. Aber auch auf der Seite der Politik und Regierung müsse sich etwas tun. 

Dieser Meinung ist auch die Bundestagsfraktion der Linken. Die hat Berichten der Tagesschau zufolge eine kleine Anfrage an das für die Behördenmodernisierung zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI) gestellt. In der Anfrage wird erneut deutlich, dass die "Digitalisierung der deutschen Verwaltung nach wie vor eine riesige Baustelle" ist. Die Antwort des BMI bezeichnet die Tagesschau als "ein Dokument des Schulterzuckens".

Digitaler Führungsanspruch oder digitale Aufbruchstimmung, wie sie die Ampel-Koalition eigentlich versprochen habe, sei nicht zu finden. Es falle auf, dass viele Gelder, die der Bund für die Digitalisierung der Verwaltung bereitstelle, dieses und vergangenes Jahr von den Ländern nicht abgerufen worden seien. "Es zeigt, dass Bund, Länder und Kommunen nicht an einem Strang ziehen", sagt Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion, gegenüber der Tagesschau. Auch die Professorin für E-Government an der Universität zu Lübeck, Moreen Heine, kritisiere, dass an vielen Stellen geeignetes Personal und ein Plan für sinnvolle Investitionen fehlen würden.

Digitalisierung in deutschen Behörden: "In Wirklichkeit sind wir Jahre hinterher" 

Eigentlich müssten Behörden die meisten Verwaltungsdienstleistungen bis Ende 2022 bundesweit digital anbieten. So lautet die Vorgabe im Onlinezugangsgesetz (OZG), das 2017 verabschiedet wurde. Von diesem Ziel scheint sich die Regierung allerdings bereits verabschiedet zu haben.

Sie setze nun darauf, dass in den Bundesländern wenigstens "ein Grundgerüst an Leistungen flächendeckend online" abrufbar sei. Das Onlinezugangsgesetz müsse angepasst werden. Aber wann das im Koalitionsvertrag angekündigte Update des OZG komme, sei unklar.

"Gegenwärtig finden vorbereitende Gespräche statt", heiße es vom BMI. Domscheit-Berg schüttele dabei nur den Kopf: "Das klingt so, als hätten wir noch ewig Zeit, in Wirklichkeit sind wir Jahre hinterher."