Luisa Neubauer und das große Wir
Autor: Christoph Hägele
Bamberg, Montag, 17. Februar 2020
Warum lässt sich eine 23-Jährige einfach so mit "Du" anreden? Beobachtungen von der Lesung Luisa Neubauers im Hallstadter Kulturboden.
Einfach so und ohne begleitende Erklärung wurde Luisa Neubauer ihrem Publikum als "Luisa" vorgestellt - und eben nicht als "Frau Neubauer". Auch der Bamberger OB Andreas Starke, mit dem das sogenannte Gesicht der deutschen "Fridays for Future"-Bewegung später über kommunalpolitische Gestaltungsspielräume diskutierte, blieb ganz selbstverständlich bei "Luisa" und "Du".
Mit herkömmlichen Umgangsformen jedenfalls war dieser ungezwungen-lockere Ton kaum vereinbar.
Denn immerhin handelt es sich bei Luisa Neubauer um eine Frau von 23 Jahren, die nicht nur bereits einen Bestseller geschrieben hat, sondern sich darüber hinaus mit politischen Eliten auf Augenhöhe trifft, den Entscheidern global tätiger Unternehmen ihre Selbstwidersprüche vor Augen führt und mit "Fridays for Future" die in Deutschland wohl wirkungsmächtigste soziale Bewegung dieses Jahrtausends aufs Gleis gesetzt hat.
Das "Du" also wäre zumindest erklärungsbedürftig gewesen. Mindestens genauso erklärungsbedürftig im Übrigen wie das "Ihr" oder "Hey Leute", mit denen sich Neubauer ihrerseits an das Publikum wandte. War es aber alles nicht. Keiner nahm Anstoß am kumpelhaften "Du". Neuerbauer nicht und auch das Publikum im Kulturboden nicht. Dort las unter dem Banner des Literaturfestivals Luisa Neubauer am Sonntag aus ihrem Buch "Vom Ende der Klimakrise". Ihre darin entfalteten Thesen sind längst gesellschaftspolitisches Allgemeingut. Sie besagen in aller Kürze, dass die Menschheit vor der größten Katastrophe ihrer Geschichte stehe, es aber noch nicht zu spät zum Handeln sei.
Sich selbst bezeichnet Neubauer in Abgrenzung zum Pessimisten und Optimisten als "Possibilisten": Sie will sich weder über den Klimawandel belügen noch sich von der Angst vor dessen möglichen Folgen lähmen lassen. Stattdessen: loslegen, einfach mal machen.
Dass die klimapolitisch noch nicht Bekehrten von Neubauer leichtfertig mit der AfD identifiziert wurden, zeugt einerseits von einer defizitären Analyse der politischen Konstellationen; noch mehr aber von der tiefen Überzeugung, klimapolitisch die große Mehrheit der Deutschen zu repräsentieren.
"Hey Leute"
Zumindest am Sonntag hatte sie damit auch recht: Luisa Neubauer war die Tochter, deren wacher Geist auch den Eltern schmeichelt. Sie war die toughe Schwester, an deren starker Schulter man sich anlehnen kann. Mit gut gelauntem Pragmatismus rettete sie in Hallstadt eine junge Frau aus deren moralischem Dilemma: Ob man guten klimapolitischen Gewissens Avocados kaufen könne? (Ja, könne man. Es gebe halt kein perfekt nachhaltiges Leben in einer nicht-nachhaltigen Welt.)