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"Lückenhaft und unterbesetzt" - Verband kritisiert Lehrplan


Autor: Svenja Hentschel

Deutschland, Mittwoch, 07. Sept. 2022

Im Zuge der Digitalisierung werden digitale Kompetenzen immer wichtiger. Diese können unter anderem im Informatikunterricht in der Schule erlernt werden. Aber wie steht es eigentlich um das Informatikangebot an den deutschen Schulen?
Der Stifterverband fordert eine bundesweite Verpflichtung für Informatikunterricht.


  • Diskussionspapiere: So steht es um den deutschen Informatikunterricht
  • Das sind die Auswirkungen von Informatik als Pflichtfach
  • Warum Informatikunterricht so wichtig ist 

"Informatikunterricht: Lückenhaft und unterbesetzt" - So lautet der Titel eines Diskussionspapiers des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft, das am Mittwoch (7. September 2022) erschienen ist. Die derzeitige Situation bezeichnen die Autor*innen als "Flickenteppich". Die Forscher*innen kritisieren, dass der Wunsch nach mehr Informatikunterricht da sei, man jedoch nicht einmal den Status Quo gut genug kenne. Grund dafür sei die Tatsache, dass es keinen öffentlich verfügbaren und geeigneten Datensatz gebe. Daher hat es sich der Verband zunächst zum Ziel gesetzt, mit einzelnen statistischen Berichten der Kultusministerien und durch entsprechende Anfragen die Datenlage zu rekonstruieren. 

Informatikunterricht: So ist der aktuelle Stand in Deutschland

Vor allem in der Sekundarstufe I sei es sehr unterschiedlich geregelt, ob Informatik ein Pflichtfach ist oder nicht. Die Sekundarstufe I meint die mittlere Bildung in Deutschland, das heißt von der Klasse fünf nach der Grundschule bis zur Klasse neun oder zehn einer weiterführenden Schule. Der Verpflichtungsgrad von Informatik sei je nach Bundesland und teilweise auch innerhalb der Bundesländer verschieden. In Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und zum Teil auch in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern werden Informatik-Kenntnisse bereits in einem verpflichtenden Fach gelehrt. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein sowie das Saarland planen ein Pflichtfach beziehungsweise wollen die Verbindlichkeit des Fachs ausweiten. Wenig Angebote im Informatikbereich und keine Rahmenlehrpläne für den Fachbereich gibt es bisher in Bremen und Hessen. In den übrigen Bundesländern ist Informatik meist lediglich eine Wahloption.

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In der Oberstufe der allgemeinbildenden Gymnasien und der integrierten Gesamtschulen haben die Schüler*innen in allen Bundesländern die Möglichkeit, in der Qualifikationsphase Informatikunterricht zu wählen. Zumindest mit einem grundlegenden Anforderungsniveau, das heißt mit bis zu drei Stunden in der Woche. In zwölf Bundesländern kann Informatik auch mit einem erhöhten Niveau gewählt werden, also mit mindestens vier Wochenstunden. In zehn Bundesländern ist die Belegung eines Informatikkurses sogar mit der Belegung einer Naturwissenschaft gleichgestellt - zumindest auf der Ebene der Grundkurse. 

Ein allgemeiner Blick auf die weiterführenden allgemeinbildenden Schulen ergibt sich ein lückenhaftes Bild: Auch hier gibt es große Unterschiede bezüglich des Informatikunterrichts. Während zum Beispiel in Berlin an etwa 50 Prozent der allgemeinen weiterführenden Schulen Informatik angeboten wird, findet der Unterricht in Hamburg an knapp 60 Prozent der Schulen statt. In Thüringen dagegen nur an etwa 30 Prozent.

Deshalb ist Informatikunterricht so wichtig 

Wie viele Schüler*innen tatsächlich von dem Informatikunterricht erreicht werden, war den Autor*innen des Stifterverbands nur in sechs Bundesländern ersichtlich. Die Datenlage sei geprägt von Lücken. Im Vergleich mit den vorhandenen Daten schneiden aber Bayern und Sachsen in diesem Bereich gut ab. Aber auch bei der Anzahl der Wochenstunden gibt es erhebliche Datenlücken: Nur die Hälfte der Bundesländer hat hier Angaben gemacht. Bayern belegt hier den ersten Platz. Allerdings ist dieser Status mit Vorbehalt zu betrachten, da von so vielen Bundesländern keine Daten verfügbar sind. Als "Spitzenländer im Bereich Schulinformatik" bezeichnen die Autor*innen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. 

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In einem weiteren Diskussionspapier mit dem Titel "Informatik für alle!" weist der Stifterverband auf die Vorteile von Informatikunterricht hin. So seien digitale und informatische Kompetenzen für die gesellschaftliche Teilhabe sehr relevant. Für den Erwerb dieser Kompetenzen sei Informatikunterricht essenziell. Daten des nationalen Bildungspanels in Bamberg würden zeigen, dass vor allem Informatik als eigenständiges Pflichtfach zur Entwicklung der Fähigkeiten beitragen würde. "Fächerintegrative Lehre" sei nicht ausreichend.

Auch interessant, dass besonders Mädchen durch einen verbindlichen Informatikunterricht Unterschiede bei den Kompetenzen ausgleichen könnten. Mit einer frühen Förderung im MINT-Bereich (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Technik) könnte möglicherweise auch den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der späteren Studienwahl entgegengewirkt werden. Forscher*innen der Universität Bamberg weisen darauf hin, dass sich nur 25,8 Prozent der Frauen für einen MINT-Studiengang entscheiden, während sich von den Männern dagegen 51,4 Prozent für den Bereich interessieren. Allerdings würden auch Aspekte wie gesellschaftlich verankerte Geschlechterrollen und der familiäre Hintergrund, also beispielsweise die Bildung der Eltern, eine Rolle bei der Studiengangwahl spielen.

Das sind die Vorteile eines verpflichtenden Informatikfaches

Die Autor*innen des Stifterverbands betonen weiter, dass ein verpflichtendes Informatikfach auch dabei helfen könne, Kompetenzrückstände bei Kindern aus niedrigen sozioökonomischen Schichten zu beheben. Außerdem würde in den Bundesländern, in denen Informatik in der Sekundarstufe I verpflichtend ist, auch häufiger Informatik in der Oberstufe gewählt werden. Zusätzlich seien dann die Geschlechterverhältnisse in den Kursen ausgeglichener. Ein weiterer Punkt, den die Forscher*innen erwähnen, ist der Fachkräftemangel. Diesem könne durch den Informatikunterricht entgegengewirkt werden.

Der Stifterverband fordert also verpflichtende "Informatik für alle". Dabei gebe es jedoch einige Probleme:

  • Lehrkräftemangel: Es herrscht ein enormer Mangel an Lehrer*innen im Bereich Informatik. Deshalb müsse die Ausbildung unterstützt und Regelungen für Quereinsteiger*innen überarbeitet werden.
  • Flickenteppich in der Rechtslage: Laut Artikel 30 und 70 des Grundgesetzes ist Schulpolitik "Ländersache". Daher gibt es keine bundesweite Regelung und somit keinen flächendeckenden Pflicht-Informatikunterricht. Jedes Bundesland müsste die Pflicht also eigenständig einführen beziehungsweise beibehalten.
  • 15 Jahre Stagnation: Seit 2005 habe sich in den Oberstufen nicht viel verändert. Nur zwei Prozent aller Grund- und Leistungskurse seien Informatikkurse. 
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