Lesung in Höchstadt: Liebevolle Satire übers jüdische Leben
Autor: Rudolf Görtler
Höchstadt a. d. Aisch, Mittwoch, 03. Dezember 2014
Mit einem komischen Roman über die Emanzipation eines jungen Juden hat der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer einen Überraschungserfolg gelandet. Seine Lesung in der Bücherstube Höchstadt fand großen Anklang.
"Nun nannte mich die mame: a grubian, an ojswurf, a hefker-hunt und a malech-chabole, mechule sei ich und diese Laura a schlumpe und a geschwilechz und die Geschichte mit ihr a ganz a linke libe!" Wie bitte? Dass es sich um wüste Beschimpfungen handelt, ist leicht zu erraten. Die Übersetzung der Reihe nach: Grobian, Abschaum, streunender Hund, Ausgeburt der Hölle, verdorben, Schlampe, Geschwür, unechte Liebe.
Aber welche Sprache? Es ist eine Melange aus Standardsprache und Jiddisch, und das wiederum ist eine Melange aus Mittelhochdeutsch, Hebräisch und slawischen Einsprengseln. Alles klar? Einige jiddische Wörter haben sich gehalten: ausbaldowern, meschugge, Schmonzes, Chuzpe ... Wer Thomas Meyers Roman "Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse" gelesen hat, ist klüger.
Hatte er das vielleicht von Anfang an im Hinterkopf? Zuzutrauen wäre es dem etwas schüchtern, überaus bescheiden und wohlerzogen auftretenden, jungenhaft wirkenden Mann durchaus, der nach einem abgebrochenen Jurastudium als Werbetexter und Journalist gearbeitet hat. Er wirkt so harmlos, hat es jedoch faustdick hinter den Ohren. In seiner Heimatstadt gibt er sich als Mitarbeiter eines "Amts für ordnungsgemäße Texte" aus oder drapiert seinen Wagen mit dem hoch offiziell aussehenden Signet "Stadt Zürich - Amt für Ironie". Das ist eine verhalten-hintergründige Komik schweizerischer Provenienz, wie sie etwa auch in der Zeitschrift "Nebelspalter" oder während der Basler Fasnacht gepflegt wird.
Niemals bösartig ist der Humor auch in Meyers Debütroman. Der Plot ist ganz einfach: Mordechai Wolkenbruch, 25, Mitglied einer sehr orthodox lebenden jüdischen Familie in Zürich, wird von seiner "mame", der Mutter, zwecks baldiger Heirat, "chassene", zu Rendezvous mit ebenso orthodoxen Mädchen genötigt, von denen ihm keins gefällt, weil sie allzu sehr der dominanten mame ähneln. Eine Reise nach Tel Aviv bringt mit der reizvollen Michal den erotischen Befreiungsschlag, die - auch im Bett gepflegte - Bekanntschaft mit einer nichtjüdischen Laura, einer "Schickse", die endgültige Emanzipation von den Dogmen des Glaubens und der Familie. Aus deren Schoß hochkant hinausgeflogen ist Motti da eh schon.
Rezept für "Knajdl"
Dies alles erinnert sehr an Philip Roth ("Portnoys Beschwerden"), an Edgar Hilsenrath, an Woody Allen oder an Hal Ashbys Film "Harold und Maude". Der Held ist ein pikarischer auch, ein Simplicissimus, der weder Hip-Hop noch Gin Tonic kennt. Doch das Alleinstellungsmerkmal des "Wolkenbruch" ist das kuriose Gemengsel von Jiddisch und Hochdeutsch - für jeden verständlich, nebenbei, und für alle Fälle ist ein Glossar angefügt. Nebst einem Rezept für "Knajdl". Liebevoll, keineswegs satirisch ätzend schildert Thomas Meyer seine jidn, und das könnte man dem Buch auch vorwerfen: eine Verniedlichung der Protagonisten, die mit Klischees überladene Schilderung der orthodoxen jüdischen Gemeinde in Zürich als eine Art putziger Hobbits.
Doch Komik kommt nie ohne Klischees aus, und es gibt eine Menge komischer Passagen in diesem Roman. Da sucht der junge Mann im Internet nach "naket froj" und findet moderne Kunst. Da rennt die erzürnte mame aus der kich mit dem Messer, um den ungehorsamen Sohn zu erdolchen, und merkt, "es ist ja das meser für milchikes, es tauschen gegen jenes für das fleischike und a neuen anlojf holen" oder ein "zornentbrannter dajtsch und ein untrainierter jid in einem Raum. Prima Versuchsanordnung". Klar, dass die Orthodoxen nicht erfreut waren über das Buch. Meyer selbst stammt aus einer säkular lebenden jüdischen Familie. Die Geschichte seines Motti steht beispielhaft für einen Befreiungsprozess. Er könnte auch Muslim sein oder Zeuge Jehovas ... und die mame dient als Parabel für alle Übermütter dieser Welt.
Nebenbei bekommen auch noch esoterische Spinner ihr Fett weg, oder der Held (und sein Autor) stilisiert sich als "Chef der jüdischen Weltverschwörung". Wenn er im Buch auch milde spottet über die Paranoia seiner Juden, ist Meyer doch sehr bewusst, wie sehr Antisemitismus gerade heute virulent ist. Der Satz "Ich habe nichts gegen Juden, aber ..." nervt ihn ungeheuer. Es ist ein Antisemitismus, der sich z. B. als Israelkritik tarnt. Sein "übernächstes Buch", kündigt er an, werde das thematisieren. Das zweite jedoch ist ein ganz anderes: ein historischer Roman um die langen Kerls des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. Vorerst jedoch ist Meyer allüberall zu hören mit seiner liebenswerten jiddischkajt. Seinen Zuhörern geht es niemals wie Motti im Buch: "Die gojim sind immer völlig aufgeregt, wenn sie mit a jid zu tun haben. Als hätten sie einen Astronauten vor sich."
Die Bücher Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse. Zürich: Diogenes 2014. 282 Seiten, 10,90 Euro. Hörbuch: Diogenes 2014, 4 CDs, ISBN 978-3-257-80339-6. Thomas Meyer: Rechnung über meine Dukaten. Zürich: Salis 2014. 320 Seiten, 22,95 Euro