Defektes Material, Fehlplanungen: Die Bundeswehr steckt in der Krise. Ein Militärbischof warnt vor der Unterschichtenarmee. Ein Defekt macht in Mali Ärger.
Wie einsatzbereit ist die Bundeswehr? Hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) versagt? Die Diskussionen um die deutschen Streitkräfte reißen nicht ab. Kritik hagelt es von mehreren Seiten. Und dann sitzen auch noch Soldaten in mail fest: Weil das Fluggerät versagt.
Doch eins nach dem anderen: Aktuell meldet sich der Deutsche Bundeswehrverband mit deutlichen Aussagen zu Wort. Im Gespräch mit der WELT sagt dessen Vorsitzender André Wüstner: "Die Kernfrage, die Politik parteiübergreifend beantworten muss, ist: Soll Deutschland wieder einsatzbereite Streitkräfte haben oder nicht? Wenn nein, schlage ich die Auflösung der Bundeswehr vor."
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Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen stellt der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel ein miserables Zeugnis aus: So sei der Ausrüstungsstand der Bundeswehr wegen der vielen ausgefallenen Waffensysteme ein "Skandal" und ein "staatlicher Offenbarungseid", sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" (Freitag) vor Beginn der Sicherheitskonferenz in München.
In Krim-Konflikt versagt
Die Bundesregierung habe es zudem in fundamentaler Weise versäumt, auf die seit der Annexion der Krim durch Russland sehr viel gefährlichere Sicherheitslage der Bundesrepublik auch nur ansatzweise zu reagieren. "Deutschland hat auf diesen historischen Wandel, der gefährlich für uns ist, noch überhaupt keine angemessene Antwort", sagte Röttgen. Dieses Versäumnis sei "mehr als grob fahrlässig".
Besserung sei nicht in Sicht. Zwar seien Erhöhungen des Verteidigungsetats vorgesehen. Das reiche aber bei weitem nicht aus, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wiederherzustellen sowie die Nato-Verpflichtungen und die vereinbarten Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit zu erfüllen. "Ohne das nötige Geld sind das alles leere Worte. Da klafft eine Glaubwürdigkeitslücke, die weltweit sehr genau wahrgenommen wird."
Kaum einsatzbereite Panzer
Laut "Welt" (Donnerstag) mangelt es dem Heer aber derzeit an einsatzbereiten Kampfpanzern. Wie die Zeitung unter Berufung auf ein vertrauliches Papier des Verteidigungsministeriums zur materiellen Einsatzbereitschaft berichtet, stehen für die 2014 von der Nato gegründeten "Speerspitze" für rasche Einsätze von den vorgesehenen 44 Leopard-2-Panzern nur neun zur Verfügung. Zudem seien von den 14 benötigten Schützenpanzern des Typs Marder nur drei einsatzfähig.
Bereits am Montag hatte das Verteidigungsministerium erklären müssen, dass die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr "generell nicht zufriedenstellend" sei. Bei Material und Finanzen seien aufgrund des veränderten sicherheitspolitischen Umfelds zwar "Trendwenden" eingeleitet worden. Damit diese die gewünschte Wirkung entfalten könnten, seien jedoch "Nachhaltigkeit und Zeit" nötig, sagte ein Sprecher des Ministeriums.
Der CDU-Politiker Röttgen sagte, der Ausrüstungsstand der Bundeswehr sei wegen der vielen ausgefallenen Waffensysteme ein "Skandal" und ein "staatlicher Offenbarungseid". Zwar seien Erhöhungen des Verteidigungsetats vorgesehen. Das reiche aber nicht aus, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wiederherzustellen sowie die Nato-Verpflichtungen und die vereinbarten Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit zu erfüllen. "Ohne das nötige Geld sind das alles leere Worte. Da klafft eine Glaubwürdigkeitslücke, die weltweit sehr genau wahrgenommen wird."
Die fachlich zuständige Vize-Fraktionschefin der Grünen, Agnieszka Brugger, warf Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) Versagen vor. Nach vier Jahren im Amt werde deutlich, "dass sich trotz aller großspurigen Ankündigungen im Scheinwerferlicht und der stetigen Erhöhung des Etats kaum etwas zum Besseren verändert hat", sagte Brugger der "Augsburger Allgemeinen" (Freitag).
Statt immer nur mehr Geld zu fordern, müssten die Ursachen der ständigen Fiaskomeldungen beseitigt werden. "Vier weitere Jahre der üblichen von-der-Leyen-Show werden die Probleme nicht lösen, sondern verschleppen und vergrößern." FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lamdsdorff sprach in der "Welt" vom Abschied Deutschlands als sicherheitspolitischer Akteur, der ungebremst weiter gehe.
Bundeswehr-Maschine defekt: Soldaten müssen in Mali warten
Mitten in die Diskussion platzt eine Meldungen aus Mali. Dort konnten am Donnerstag rund 100 Soldaten nach dem Ende ihres Einsatzes nicht nach Hause fliegen, weil an dem Airbus A310, der für ihren Heimflug vorgesehen war, ein Defekt entdeckt worden war. Wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Freitag berichtete, waren einige der insgesamt 155 Soldaten am Donnerstag ersatzweise mit Linienflügen von der Hauptstadt Bamako ausgeflogen worden. Für die verbliebenen rund 100 werde "zeitnah" eine Alternative gesucht. Möglicherweise könnten sie an diesem Samstag mit einer Maschine der französischen Luftwaffe ausgeflogen werden. Der deutsche Airbus, der die Ablösung für die Soldaten nach Bamako gebracht hatte, wird laut Ministerium noch in der senegalesischen Hauptstadt Dakar repariert.
Von den betroffenen Soldaten gehörten 145 zum deutschen Kontingent der UN-Friedensmission Minusma. Sie sind im gefährlichen Norden des Landes stationiert. Die restlichen zehn Soldaten waren als Teil der europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali in dem westafrikanischen Land.
Militärbischof warnt vor neuen Söldnern
Derweil sieht der evangelische Militärbischof Sigurd Rink sieben Jahre nach der Aussetzung der Wehrpflicht die Entscheidung für eine Berufsarmee kritisch. In einem am Mittwoch veröffentlichten Gastbeitrag für den "Tagesspiegel" warnte Rink vor "neuen Söldnern": "Die Aussetzung der Wehrpflicht führt dazu, dass immer mehr Menschen von der ökonomischen Verliererseite in die Bundeswehr eintreten." Es seien Bürger, die auf dem zivilen Arbeitsmarkt kaum Chancen bekämen.
"Das sind - diese Gefahr möchte ich beim Namen nennen - neue Söldner. Menschen, die im Krieg ihren Lebensunterhalt verdienen, weil sie wenig andere Möglichkeit finden", schreibt Rink und ergänzt: "Wir delegieren Militäraktionen an die Armen." Der Militärbischof wollte am Donnerstag einem Vortrag auf der Münchener Sicherheitskonferenz zu dem Thema halten.
"Unterschichtarmee"?
Die soziale Ungleichheit des Landes bilde sich in der Armee ab, schreibt Rink. Man könne zwar noch nicht sagen, dass die Bundeswehr insgesamt eine "Unterschichtarmee" geworden sei, "aber es häufen sich Anzeichen, dass das politische Interesse selbst unter jungen Offizieren abnimmt".
Rink erinnerte an die Gründungsidee der Bundeswehr, nach der sich Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" verstehen sollen. Er wünsche sich eine Armee, die ein Spiegelbild der ganzen Gesellschaft sei und Menschen aus allen Regionen Deutschlands anziehe. Überproportional stammten Soldaten derzeit aus Ostdeutschland, wo die ökonomischen Strukturen schwächer seien, beklagte Rink.
"Uns darf nicht gleichgültig lassen, wenn Menschen aus Not und aus Mangel an Alternativen Soldat werden", sagte der Theologe. Wenn sich an der Tendenz nicht ändere, laufe die deutsche Armee Gefahr, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren. Für die Militärseelsorge der evangelischen Kirche arbeiten rund 100 Pfarrer und ebenso viele Pfarrhelfer. 15 Auslandseinsätze der Bundeswehr werden von Seelsorgern begleitet.