Können sich Arbeitnehmer bald selbst krankschreiben?

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Ist man länger als drei Kalendertage krank, muss man eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Foto: dpa
Ist man länger als drei Kalendertage krank, muss man eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Foto: dpa

Mediziner der Universität Magdeburg plädieren für eine Lockerung der Regeln bei Krankschreibungen. Politiker und Arbeitnehmervertreter sehen allerdings keinen Anlass für eine Änderung.

Die Grippewelle rollt derzeit durch Deutschland, die Wartezimmer der Arztpraxen sind überfüllt. Forscher der Universität Magdeburg sind sich sicher: Daran könnte man etwas ändern - beispielsweise durch eine Lockerung der Regeln bei Krankschreibungen. "Ziel kann es sein, dass Beschäftigte sich für bis zu einer Woche selbst krankmelden können", sagt Wolfram Herrmann vom Institut für Allgemeinmedizin der Otto-von-Guericke-Universität.

Drei Jahre haben die Mediziner recherchiert. Sie wollten herausfinden, warum die Deutschen besonders häufig zum Arzt gehen. Bis zu 18 Arztbesuche pro Kopf sind es im Jahresschnitt. In anderen europäischen Ländern sind es deutlich weniger, ohne dass die Menschen dort einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen.
Für die Forscher steht fest: Die Bitte um Krankschreibung ist für die Deutschen ein besonders häufiger Anlass für kurzfristige Besuche bei ihrem Hausarzt - und ein Grund für die überfüllten Wartezimmer. "Wir sollten in Deutschland darüber nachdenken, die Regeln für Krankschreibungen zu lockern", erklärt Herrmann.

Hierbei lohne sich ein Blick nach Norwegen. In vielen Unternehmen ist die eigenständige Krankmeldung sogar bei Ausfällen von bis zu acht Tagen am Stück möglich. Und: In Norwegen ist die Zahl der Fehltage seit Jahren rückläufig.

Politiker und Arbeitnehmervertreter reagieren eher verhalten. Ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sagt, man halte die Regelung so, wie sie ist, "für sinnvoll und nützlich". Auch aus Sicht des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern besteht keine Veranlassung, die gesetzlichen Regelungen zu ändern. Derzeit bestehe "ein bewährter Ausgleich zwischen den Interessen der Beschäftigten, nicht bei jeder Kurzerkrankung den Arzt aufsuchen zu müssen und dem Interesse des das Entgelt fortzahlenden Arbeitgebers, die Arbeitsunfähigkeit bei länger andauernden Krankheitsperioden überprüfen zu können", so die stellvertretende Geschäftsführerin Anette Dassau.


Abbau von Bürokratie

Die Kassenärztliche Vereinigung sieht den Vorschlag ebenfalls kritisch. "Ein Arzt sollte den Patienten möglichst früh sehen, um festzustellen, welche Krankheit er hat. Wenn sich jeder eine Woche krankmelden kann, bedeutet dies nicht, dass die Notwendigkeit eines Arztbesuchs entfällt", betont Pressesprecher Roland Stahl. Es wäre fatal, "wenn Krankheiten verschleppt werden oder verspätet diagnostiziert würden".

Generell gäbe es in Deutschland "ein einzigartiges Gesundheitswesen". Die freie Wahl des Haus- und Facharztes sei weltweit einmalig. Entlastung müsste vielmehr durch den Abbau von Bürokratie erfolgen. "Dazu zählen die vielen Anfragen von Krankenkassen und eine Masse an Dokumentationspflichten."


Regeln bei Krankheit


Wer krank ist, muss sich so schnell wie möglich beim Arbeitgeber melden. Dauert die Erkrankung länger als drei Kalendertage, ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Form eines ärztlichen Attests vorzulegen. Eventuell darf der Arbeitgeber den Nachweis früher verlangen, auch schon am ersten Tag.

Wer sich zu spät krankmeldet oder den Nachweis beim Arbeitgeber nicht rechtzeitig einreicht, dem droht eine Abmahnung. Kommt dieser Verstoß häufiger vor, kann er sogar zur Kündigung führen. Außerdem dürfte der Arbeitgeber den Lohn zurückbehalten, bis ihm eine Bescheinigung vorliegt.