Druckartikel: Kirchenkritiker Karlheinz Deschner ist tot

Kirchenkritiker Karlheinz Deschner ist tot


Autor: Rudolf Görtler

Haßfurt, Donnerstag, 10. April 2014

Der Schriftsteller Karlheinz Deschner ist gestorben. Er galt als der bedeutendste lebende Kirchenkritiker, schrieb jedoch auch Romane, war Literaturkritiker und Aphoristiker.
Karlheinz Deschner vor etwa zehn Jahren in seiner Bibliothek Foto: Jochen Bopp/Archiv


Vielleicht hätte er doch bei der Literaturkritik bleiben sollen, seufzte Karlheinz Deschner in späteren Jahren einmal, statt Jahrzehnte seines Lebens der Kritik des Christentums zu widmen, bis zu 80 Stunden in der Woche im Studierzimmer sitzend, lesend, exzerpierend, schreibend.

Denn als fulminanter Literaturkritiker ist der Autor in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt geworden, als er unermüdlich durch die Lande reiste und statt des in den Nachkriegsjahren populären Kanons von Hesse, Carossa, Bergengruen oder Ernst Jünger ("Das Publikum fühlt sich immer zur Mediokrität hingezogen") in der Streitschrift "Kitsch, Konvention und Kunst" die heute allgemein als Klassiker anerkannten Robert Musil, Hanns Henny Jahnn und Hermann Broch lobte. Seine Methode war die Sprachkritik, mit der er nicht nur Stilblüten des Nobelpreisträgers Hesse entlarvte, sondern auch auf die seinerzeit als sensationell empfundene Lyrik eines Hans Magnus Enzensberger losging.

Da hatte Deschner seinen Status als Feuerkopf, als Jahrhundert-Polemiker definiert, den er unbeirrt beibehielt bis zu dem eines alten Wilden. Niemals hat sich Karlheinz Deschner gebeugt, antichambriert eines Postens wegen, sich angepasst, rücksichtslos gegen sich selbst, und seine Familie, bekannte er reuevoll, musste mitleiden.

Geboren wurde Deschner 1924 in Bamberg und wuchs in Tretzendorf im Steigerwald als Förstersohn auf. Man muss diese Aurachtal-Idylle gesehen haben, um den späteren Hitzkopf ganz zu verstehen - der die Vertreibung aus einem fränkischen Kleinparadies nie ganz verwand. Der Kriegsdienst als Fallschirmjäger desillusionierte ihn zutiefst. Ab 1946 studierte Deschner in Bamberg und Würzburg Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte und promovierte mit einer Arbeit über Lenau. Als Schüler hatte er ein Dettelbacher Franziskanerseminar besucht. Seinen Paten, einen Geistlichen Rat, schätzte er ein Leben lang. Deshalb wäre es grundfalsch, Deschner eine ekklesiogene Neurose zu unterstellen ("Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner"), auch wenn er wegen seiner Ehe mit einer geschiedenen Frau vom Würzburger Bischof mit Kirchenbann belegt und exkommuniziert wurde.

Parteilichkeit als Methode

1956 debütierte er mit "Die Nacht steht um mein Haus" , einem enragierten, autobiografisch geprägten Ausbruch. Die Belletristik gab er nach einem zweiten Roman auf und fand Anfang der 1960er Jahre mit "Abermals krähte der Hahn", einer Kirchengeschichte, sein Lebensthema. Als kritischer Historiker stand er stets auf der Seite der Unterdrückten, der im Namen der Religion der Liebe gemeuchelten Massen. Das ist ihm als Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen worden, ebenso wie seine Bücher nicht auf Quellenstudium fußten, sondern auf Sekundärliteratur und der historisch-kritischen Theologie etwa eines Rudolf Bultmann. Das besondere Interesse Deschners galt dem Themenkomplex Kirche und Faschismus, wozu er bereits 1965 ein bahnbrechendes Werk veröffentlichte und z. B. als einer der Ersten in Deutschland auf die Verbrechen der kroatischen Ustascha hinwies. Fast nebenbei räumte er auch mit dem Mythos einer im "Dritten Reich" widerständigen Kirche auf.
Weitere kirchenkritische Bücher folgten, etwa 1971 "Der manipulierte Glaube" oder 1974 eine Sexualgeschichte des Christentums ("Das Kreuz mit der Kirche"). Als Herausgeber betreute er zwei Bände "Das Christentum im Urteil seiner Gegner" (1969/71), einer heute noch überaus lesenswerten Anthologie, und "Kirche und Krieg" (1970). Leben konnte er trotz hoher Auflagen von den Erträgen seiner Bücher eher schlecht als recht und fand Mäzene, die ihm die Arbeit an zehn Bänden "Kriminalgeschichte des Christentums" (1986 bis 2013) ermöglichten.
In einer Vorrede zum ersten Band skizzierte er seine - von Kant, Schopenhauer und Nietzsche geprägte - Weltanschauung und Methode: "Eine Wissenschaft, die nicht wertet, unterstützt ... den Status quo, sie stützt die Herrschenden und schadet den Beherrschten." Damit konnten die Fachkollegen freilich nichts anfangen, die sich an seinen Thesen abarbeiteten. Deschner setzte sich als Vegetarier aus ethischen Gründen auch vehement für Tierrechte ein, verfasste mit "Dornröschenträume und Stallgeruch" Liebeserklärungen an "Franken, die Landschaft meines Lebens", mit dem "Moloch" eine kritische Geschichte der USA, sein vielleicht schwächstes Buch, weil es sich auch auf dubiose Verschwörungstheoretiker bezog, und veröffentlichte mehrere Bände mit Aphorismen. In seinen letzten Lebensjahren erfuhr der einst verpönte Kritiker ("Sie Oberteufel!" heißt ein Band mit Leserzuschriften, Zehntausende waren es im Lauf der Jahre) auch einige Ehrungen: 1988 den Arno-Schmidt-Preis, 1993 als erster Deutscher den International Humanist Award, 2004 den Wolfram-von-Eschenbach-Preis des Bezirks Mittelfranken, 2007 den Giordano-Bruno-Preis. Auch die Stadt Haßfurt würdigte den prominenten Autor. Dennoch wird Deschner weniger als großer Historiker in Erinnerung bleiben, sondern als begnadeter Polemiker und als aufrechter Mensch, dessen Empathie und Freundlichkeit alle schätzten, die ihn kannten. Am vergangenen Dienstag ist Karlheinz Deschner nach längerer schwerer Krankheit im Haßfurter Klinikum gestorben.